In Hollywood wird Autismus gerne als Mittel zum Zweck genutzt. Aber es geht auch anders.
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Klischees dominieren Hollywood. Wenig verwunderlich also, dass auch die berühmteste Darstellung eines Autisten nur so davon trieft. Denn denkt man an Autismus im Film, dann immer auch an "Rain Man". Wer den Film gesehen hat, erinnert sich an die Szene, in der Charlie und sein autistischer Bruder Raymond im Café sitzen und Ray beim Anblick des Namensschilds der Bedienung laut ihre Telefonnummer aufsagt. Serviererin und Bruder sind gleichermaßen schockiert von seinem unheimlichen Wissen. Ray entgegnet nur trocken: "Aber du hast mir doch letzte Nacht gesagt, ich soll das Telefonbuch lesen."
Prägend war das Bild des Autismus, das Dustin Hoffman in "Rain Man" abgab, für viele. Der Autist mit der Inselbegabung hat sich zur Hollywood-Trope gemausert. Dass damit falsche Vorstellungen zur autistischen Störung in der Gesellschaft gezeugt wurden, interessierte die Produzenten wenig. Immer weiter wurde der Mythos des Savants befeuert. Dabei haben gerade einmal zehn Prozent der Menschen mit einer Autismus-Diagnose eine Inselbegabung.
Aber von Sheldon in "Big Bang Theory" bis Sherlock in der gleichnamigen Serie - Autisten werden in der filmischen Darstellung allzu gerne auf das Asperger-Syndrom reduziert. Andere Facetten des breiten Spektrums an Diagnosen werden geflissentlich ausgeklammert. Dafür müsste man sich ja abseits der Klischees damit befassen. Genehm kommt da für Hollywood und Konsorten, dass bei Asperger generell die Intelligenz im menschlichen Durchschnitt liegt. Nur zu gerne wird es dann auf eine "quirky" (also schrullige) Charaktereigenheit reduziert, wie etwa Regisseur Simon Beaufoy in einem Interview die Störung von Hauptcharakter Fred (gespielt von Ewan McGregor) im Film "Lachsfischen im Jemen" bezeichnete. Es hinterlässt einen faden Nachgeschmack, wenn Asperger dazu instrumentalisiert wird, ein bisschen mehr "Pep" in einen Film zu bringen.
Hollywoods Instrumentalisierung
Bitter auch für das geschätzte 1 Prozent der Weltbevölkerung, das sich im autistischen Spektrum befindet und trotzdem selten repräsentiert wird. Denn in den meisten Fällen von Autismus handelt es sich nun mal nicht nur um einen einseitig interessierten Menschen mit Eigenarten im sozialen Umgang. Zu den weitaus weniger filmtauglichen Aspekten der Störung gehören auch Selbstverletzung, die bei ungefähr der Hälfte der diagnostizierten Menschen im Spektrum ein Teil ihres Lebens ist. Dazu kommen oft Angststörungen, Depressionen und besonders wenig gezeigt werden die 25 bis 50 Prozent der Menschen im autistischen Spektrum, die Sprachstörungen haben.
Man beschränkt sich sogar in aktuellen Serien noch lieber auf den genialen Arzt in "The Good Doctor" oder den von Pinguinen faszinierten Malexperten in "Atypical". So liebenswert die Charaktere sind, so schönen sie das Bild des Autismus und welche Schwierigkeiten die vielen Ausprägungen der Störung mit sich bringen können. Immerhin: Von Sams Verhalten bei Überlastung und seiner Unfähigkeit, adäquat auf soziale Situationen zu reagieren in "Atypical", kann man ableiten, dass versucht wird, ein realistischeres Bild vom Autismus zu vermitteln.
Ungeschickt eiert derweil die deutsche Filmszene um das Thema. "Lustig" aufarbeiten wollte es "Fack Ju Göthe 2". Die Filmemacher machen es sich einfach: Etienne hat natürlich Asperger - aber zu "nur 11 Prozent". Wie eine 11-prozentige Diagnose funktioniert, sei einmal dahingestellt. Aber man merkt, dass sich auch in deutschen Mainstream-Medien etwas tut und langsam mehr Sichtbarkeit entsteht.
Sogar in der amerikanischen Filmszene gibt es Versuche, die Störung nicht nur als "Pep" zu missbrauchen. Sigourney Weaver versuchte sich 2006 in "Snow Cake" an einer empathischen Herangehensweise an die Autismus-Spektrum-Störung. Ihr Charakter Linda im Liebesdrama speiste sich aus den Erfahrungen der Drehbuchautorin Angela Pell, deren Sohn auch im Spektrum ist. Die filmische Darstellung des Autismus bleibt ein Auf und Ab, das sich außerhalb eines kleinen Kreises der Fachkundigen in der Industrie bis heute stark an Klischees ausrichtet.
Eine Reality-Showals Gegenmodell
Dass es auch anders geht, zeigt "Liebe im Spektrum". Von der australischen Netflix-Serie läuft schon die zweite Staffel. Sie zeigt ohne Schönung, wie Menschen mit der Diagnose Autismus nach der Liebe suchen. Statt auf die üblichen Klischees zu setzen, wird offen auf die Teilnehmer zugegangen. Ihre Eigenheiten, ihre kleinen und großen Probleme im Alltag, ihre Sichtweise. Ohne in die Hollywoodfalle zu tapsen, zeigt "Liebe im Spektrum" die Menschen im Umgang mit dem Gefühl, dass jedem früher oder später mal Probleme bereitet: Liebe.
Wie in jeder Dating-Show starten die Teilnehmer auch hier erstmal in ein ordinäres Rendezvous. Katie und Ronan treffen sich im Park. Er hat, wie es sich für einen Gentleman gehört, ein Bouquet Blumen für die Auserwählte parat. Es wird geplaudert. Über den Alltag, ihre Vorstellungen von einer Beziehung. Die üblichen Themen, die jeden beim ersten Treffen interessieren. Dass die beiden alles besonders deutlich betonen und ihre Kommunikation mit Zeichensprache unterstützen, ist einfach Fakt. Ihre Sprachstörung wird nicht geschönt, aber auch nicht dramatisiert. Statt der üblichen Emotionalisierung wird die Realität der beiden empathisch und pragmatisch gezeigt.
Kassandra sucht zur gleichen Zeit als hochfunktionale Autistin beim Blind Date mit dem neurotypischen Sam ihr Glück. Während sie sich Pommes teilen, hört man das übliche Geplänkel, aber man bemerkt auch Kassandras Schwierigkeiten mit der Außenwelt. Zu viel Lärm überfordert sie, ein flauschiger Hund lenkt sie schon mal vom letzten Gedankengang ab. Letzteres kennt jeder. In "Liebe im Spektrum" zeigt ein diverseres Bild der Autismus-Störung als "Rain Man" und Co.. Ohne künstliches Drama, Savant-Syndrom oder Hollywoodklischees.
Die meisten Darsteller von "Liebe im Spektrum" zeigen mehr Humor als ein guter Teil des Casts von "Sexy Beasts" - einer anderen Netflix-Datingshow. Teilnehmer Mark witzelt beim Präsentieren seiner Dinosaurierfigurensammlung darüber, dass der Velociraptor nicht wie in "Jurassic Park" mannshoch war, sondern eher ein "Mörder-Truthahn". Von der Raffinesse könnten sich so einige aus anderen Datingshows mit ihren plumpen Anmachsprüchen etwas abschauen. Es zeigt: Auch Hollywood könnte davon profitieren, nicht nur ein und dasselbe Stereotyp vom Autisten aus der Mottenkiste zu
kramen.