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Wie tickt Österreichs Jugend? 1600 Schüler haben ihr Leben aufgeschrieben.
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Wien. Achmaneva, Alagic, Alesi, Algic, Aydin, Bahtijari, Bauböck. So heißt das neue Österreich. Und so lauten die Namen der ersten - alphabethisch gereihten - sieben jungen Menschen aus Oberösterreich, die ein Team um Ernst Schmiederer (mit Medienpädagogin Sigrid Pohl, Fotograf Marco Büchl und Oliver Poschner) gebeten hat, ihr Leben in gelben, blauen, grünen und weißen Schulheften niederzuschreiben. Die jungen Menschen porträtieren sich selbst, die handschriftlichen Texte, die in Workshops in berufsbildenden Schulen und Berufsschulen entstanden sind, werden transkribiert, die ersten liegen jetzt in Buchform vor. Insgesamt 1600 Jugendliche haben bisher ihr Leben in die bunten Hefte niedergeschrieben, wenn das Projekt zu Ende ist, werden 5000 junge Schülerinnen und Schüler von sich selbst und aus dem neuen Österreich berichtet haben.
Doch was genau versteht Schmiederer, der viele Jahre Journalist beim Nachrichtenmagazin "profil" und für "profil" auch einige Jahre in New York als Korrespondent tätig war, unter dem "neuen Österreich"? "Wir leben inzwischen in einer interkulturellen Gesellschaft. Wir reden immer noch über Dinge, die längst Realität sind", sagt Schmiederer, dem in New York bewusst geworden ist, was es heißt, als - wenn auch privilegierter - Ausländer in einem "melting pot" zu leben.
Der Journalist und Medienunternehmer Schmiederer hat bereits 2010 mit einem ähnlichen Projekt ("Import/Export") von sich reden gemacht. Damals stellte er einen pink-giftgrün-gelb-kunterbunt bemalten Container vor die Hauptbibliothek, mitten ins urbane Multikulti-Gewusel des 15. Bezirks. Der Container war später am Donaukanal und an anderen Orten überall in Österreich auf Tour. Damals animierte Schmiederer Menschen dazu, in die vier Tonnen schwere Blechkiste, in der ein Studio eingebaut war, zu kommen und vor der Kamera ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Schmiederer ist auch Autor einer "Zeit"-Kolumne, in der Österreicher, die im Ausland leben und Migranten, die in Österreich leben, porträtiert werden. Das Projekt wird von Margot Wieser vom Wiener Stadtschulrat und Rüdiger Teutsch vom Unterrichtsministerium unterstützt.
In "Wir. Berichte aus dem neuen OE" verleiht Schmiederer diesmal jungen Lehrlingen und Schülern eine Stimme: Zuerst gehe es in Workshops, die am Anfang des Schreibprozesses stehen, "um die Dinge, die uns einen", erzählt Schmiederer: "Jeder Mensch hat Wurzeln, egal ob er oder sie in Österreich geboren ist, in Indonesien oder in der Slowakei."
Konzentrische Kreise
Anschaulich wird das, wenn die Schüler und Lehrlinge auf einem Plakat mit konzentrischen Kreisen jenen Entfernungskreis markieren, der darstellt, wie weit vom Schulort entfernt ihre Eltern geboren sind. Einen Kilometer? 50 Kilometer? 1000 Kilometer oder noch weiter? In manchen Schulklassen klebten die Punkte, die die Schülerinnen und Schüler aufgeklebt hatten, am Rand der Plakate, die Eltern österreichischer Schüler kommen heute eben aus aller Welt. Das zweite Plakat zeigte meist ein anderes Bild: Hier sollten die Lehrlinge oder Schüler einen Marker auf die im Plakat aufgedruckten konzentrischen Kreise kleben und so die Entfernung ihres Geburtsorts vom Wohnort angeben. Bei diesem Plakat gruppierten sich die Marker um die Mitte des Plakats. Fast alle in den Klassen waren in der Nähe ihres Wohnorts geboren.
"Das ist das Bild des neuen Österreich", sagt Schmiederer, die Eltern kommen aus aller Welt, ihre Kinder sind Österreicher. Diese jungen Bürger seien in zwei Ländern verankert, "sie sagen: Ich bin Türke und ich bin in Wien geboren, oder: Ich bin Serbe und ich bin in Wien geboren. Diesen Teil ihrer Identität geben sie nicht auf." Dass dieser Reichtum an Identitäten als Gewinn und nicht als Bedrohung wahrgenommen wird, möchte Schmiederer mit seinem Projekt erreichen.
"In den Schulheften ist im Positiven und Negativen alles drin, was das Leben zu bieten hat, Scheidungen, Verlust", sagt Schmiederer. Es geht aber auch um Liebe und Träume und was vom Leben zu erwarten ist. Eine aus dem Kosovo stammende Welserin schreibt davon, wie sie schon als Kind gerne Fußball gespielt hat, wie die albanischen Nachbarn der Familie meinten, die Tochter solle doch nicht mit den Jungs spielen dürfen. Der Vater fand, doch, das darf sie. Heute spielt sie in der zweiten Bundesliga in Oberösterreich.
Veranstaltung
Wir. Berichte aus dem neuen OE. Hauptbücherei Wien, 19. Februar bis 30. März, täglich 11 bis 19 Uhr, Samstag bis 17 Uhr. Eröffnung: 18. Februar, 19 Uhr, Harald Krassnitzer und 20 Jugendliche lesen aus den Berichten.