Die Schwerter von Kadesia in Bagdad als Sinnbild für die Vereinigung von Schönheit und Brutalität, die das ganze Land durchziehen. Aufzeichnungen von einer Reise durch den Irak.
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Alles begann 2007 mit einem Titelbild eines deutschen Nachrichtenmagazins: Auf diesem war unter großen, schwarzen Lettern ein Teil der Schwerter von Kadesia zu sehen; dahinter Palmen, davor Sträucher, darüber ein im Vergleich lächerlich winzig anmutender Armeehubschrauber, der Sandstaub in die Luft wirbelt.
Die Erde wölbt sich über dem Austrittspunkt der steinernen Arme, welche die Schwerter von Kadesia tragen und auch "Hände des Sieges" genannt werden. Saddam Hussein hat diese Triumphbögen - die je 43 Meter langen Schwerter kreuzen sich an der Spitze - 1989 nach seinem "Sieg" über den Iran im Zentrum Bagdads errichten lassen. Die Arme schießen mit einer Macht aus der Erde, die vermuten lässt, ein Riese würde ihnen gleich folgen und die ganze Straße aufreißen, um herauszukommen. Ich war von dieser Skulptur fasziniert, fand sie in meiner Naivität beeindruckend, machtvoll und wunderschön. Ein Mensch - gerade einmal so groß wie ein Daumen! Kaum erblickt, war es um mich geschehen: Ich wollte, nein, ich musste zu dem Ort, den sie so beeindruckend schmückten.
Unpraktisch war freilich nur, dass sie inmitten eines de-facto-Kriegsgebietes stehen: in Bagdad, im Irak. Und dass sie auch keine bewundernswerte Geschichte haben: Angeblich sind die Arme eine exakte Nachbildung der Hände von Ex-Diktator Hussein, bis hin zu den Fingerabdrücken. Zudem ließ er nach Fertigstellung rund um den Austrittspunkt der Arme tausende Helme iranischer Soldaten legen, die im irakisch-iranischen Krieg (1980 bis 1988) gefallen waren. Manche waren noch ganz, manche hatten Einschusslöcher. Erst nach dem Fall Saddams wurden die Helme entfernt, die Schwerter jedoch - wenn auch nach einiger öffentlicher Diskussion - fast unberührt belassen.
Reisen in den krisengebeutelten Irak sind nach wie vor keine Alltäglichkeit. Alleine ein Visum zu erhalten, ist fast unmöglich. Die irakische Botschaft in Wien stellt für Österreicher kaum mehr Visa aus, generelle Informationen über konsularische Angelegenheiten sind auf der Website "under construction" oder generell nicht aufrufbar. Ruft man an, wird einem mitgeteilt, dass man nur mit Einladung eines irakischen Ministeriums ein Visum beantragen kann, oder wenn man einen privaten irakischen Sponsor hat. Touristenvisum? Der Mann am anderen Ende der Leitung lachte auf meine Frage hin bloß - und verabschiedete sich.
Auch Beziehungen helfen wenig, meist wird man abgewimmelt, wenn man die Idee einer touristischen Reise in den Irak erwähnt. Eine Dame, die für die EU-Kommission in Bagdad tätig war, meinte am Telefon unumwunden: "Ich gebe Ihnen zwanzig Minuten in Bagdad, bis sie entweder tot oder entführt sind!" Jeder scheint überzeugt zu sein, dass ein solches Unterfangen nicht gut ausgehen kann. So lief ich lange im Kreis.
Das Leben scheint aber Hartnäckigkeit zu belohnen, und nach mehr als vier Jahren und einem kleinen Wunder marschiere ich schließlich an einem sonnigen Junitag durch die Passkontrolle in Bagdad. Der gähnend leere Flughafen ist - in einem Land, in dem Selbstmordattentate nach wie vor an der Tagesordnung sind - weiträumig abgeriegelt: Es wäre unmöglich, zu Fuß vom Gelände zu kommen. Marwan, der junge Taxifahrer, ist ganz interessiert daran, was ich in Bagdad machen will. Es mag nicht so recht in seinen Kopf gehen, dass man auf die Idee kommt, als Ausländer freiwillig hierher zu kommen.
"Ich bin Touristin, ich will Bagdad und vor allem diese Schwerter sehen", sage ich, und er schüttelt ungläubig den Kopf und meint, während er kurz die laute Musik leiser dreht und der Duftbaum mit dem Totenkopf am Rückspiegel baumelt: "Wir hatten seit Jahrzehnten keine Touristen mehr!"
Etwas bleich übergibt mich Marwan an Maad, meinen irakischen Reisebegleiter, der mich am äußersten Gate des Flughafens schon von weitem anstrahlt und mir sogleich die Hand schüttelt. Maad ist ein Freund meines kurdischen Freundes Balin, Anfang vierzig, trägt schwarze Jeans und Schuhe, ein dunkles T-Shirt, hippe Sonnenbrillen und kaut Kaugummi. Wir gehen ein Stück zu seinem Auto, einem riesigen, alten, von Staub überzogenen grauen Ford mit mehreren Rissen in der Windschutzscheibe.
Kaum sitzen wir in dem Wagen, macht Maad mir ein Kompliment: Ich hätte eine sehr gute Kleiderwahl getroffen. Er war sich sicher, unsere erste Aufgabe würde sein, mir passendes Gewand zu besorgen. Ich trage ein Kopftuch und lange, weite, schwarze Kleidung. Ich sage in leicht verständlichem Englisch zu ihm: "Nun ja, es ist zwar sehr heiß hier, aber Balin sagte: kein Bikini!" Maad verdreht die Augen nach oben, als ob er Gott danken wolle, dass die Idee, in einem Bikini hier aufzukreuzen, nur ein Scherz war.
Ausgangssperre
Wir planten vier Tage in Bagdad, müssen aber umdisponieren. Über die Hauptstadt wurde für den folgenden Tag eine Ausgangssperre verhängt, da die Behörden Anschläge befürchten. Wir entschließen uns daher, vorerst nur eine Runde mit dem Auto durch Bagdad zu drehen und dann weiter Richtung Norden zu fahren - nach Samarra, Tikrit und Sherqat und Zwischenstopps einzulegen, wo es uns gefällt.
Autofahren ist im Irak jedoch mühsam. Die Straßen sind zwar in einem sehr guten Zustand, aber zum Schnellfahren kommt man nicht wirklich: Kaum gibt man ein wenig Gas, nötigt einen schon der nächste Checkpoint zum Bremsen - auch auf der Autobahn. Es ist immer das gleiche Procedere: Bremsen, Radio leiser drehen, Fenster runter, und sobald es dunkel wird, Scheinwerfer aus, Innenlicht an - damit die Polizisten oder Soldaten sogleich erkennen können, wer im Auto sitzt. Einmal winken, ein kurzes "Salaam" oder ein Witz von Maad.
Fast alle, bis auf wenige Stocksteife, lächeln und grüßen zurück, während sie sich routinemäßig leicht beugen, um einen schnellen Blick ins Fahrzeuginnere zu werfen. Viele Sicherheitskräfte lagern ihre Hände auf dem griffbereit vor dem Brustkorb umgehängten Maschinengewehr; nach einem Ausweis fragt niemand.
Fenster wieder zu, Innenlicht aus, Scheinwerfer an und weiter geht es. Nach oftmaligem Gas geben und wieder bremsen erreichen wir Tikrit. Die Stadt ist das Herz des "alten" Irak, Saddam Hussein stammt von hier. Maad zeigt mir den Sitz der Stadtverwaltung mit dem Hinweis, dass dieses Gebäude zwei Monate vorher schwer angegriffen worden war - der Attacke fielen mehr als sechzig Personen zum Opfer, das halbe Gebäude brannte ab.
Er merkt, dass ich ihn sehr zweifelnd ansehe - denn an dem Ort, den er mir zeigt, steht ein intaktes Haus. Er erklärt mir sogleich, dass nach einem Anschlag die betroffene Infrastruktur schnellstmöglich wieder aufgebaut wird und alle Spuren verwischt werden - als ob nie etwas geschehen wäre. Überall funktioniert das freilich nicht: Wir kommen immer wieder an Orten vorbei, an denen noch deutliche Angriffsspuren sichtbar sind - mal fehlt eine halbe Brücke, mal machen wir einen Bogen um einen Krater in der Straße oder sehen zerfetzte Riesensandsäcke, die Explosionen abfedern soll(t)en.
Nur wenige Meter weiter müssen wir in eine Umleitung abbiegen. Maad zeigt mit dem Finger auf die gesperrte Straße, an der wir vorbeifahren. Und erzählt, dass sich hier vor eineinhalb Tagen ein Selbstmordattentäter an einem Checkpoint mit dem Auto die Luft gejagt hat. Dann zeigt er mit dem Finger auf den Ort, wo er gerade mit seinem Auto fuhr, als es passierte. Maad scheint nicht sehr beeindruckt davon, dass er dem Anschlag nur knapp entkommen ist; Er erzählt es so, als ob er Zuseher in einem Theater gewesen wäre. Ich muss ihn zwei, drei Mal fragen, was er direkt nach der Explosion getan hat, bis er sagt, er sei einfach weitergefahren, weil ohnehin sofort alle Sicherheitskräfte hingestürmt sind.
Im Zuge dessen lerne ich mein erstes arabisches Wort - "majnun". Es bedeutet "verrückt". Auch für Maad ist es ein ungelöstes Rätsel, wie man auf die Idee kommen kann, sich selbst in die Luft zu jagen.
Wir halten an einer belebten Straße und gehen ins Restaurant "5 Friends", das Maad mir bereits die ganze Fahrt über angepriesen hat. Ich fühle mich nach dem bisher Gesehenen mehr als unwohl und will mich eigentlich gar nicht in der Öffentlichkeit aufhalten. Im Restaurant bin ich nicht nur die einzige Ausländerin, sondern auch die einzige Frau. Alle starren mich an, und von unserem Fensterplatz im ersten Stock sieht man die Stelle, an welcher die Bombe vor zwei Tagen hochging. Als wir das Restaurant endlich verlassen, fällt Maad plötzlich ein, dass er noch Sandwiches mitnehmen will, und er lässt mich minutenlang mitten auf einer Kreuzung alleine. Meine Phantasie überschlägt sich, ich wähne hinter jedem vorbeilaufenden Menschen einen Geiselnehmer.
Paranoia und Genuss
Als Maad endlich wieder auftaucht, setzt er sich kurz zu mir. Er beobachtet das quirlige Treiben rund um uns und meint: "Ein herrlicher Abend, oder?" Mir wird klar, dass es umsonst ist, sich hier andauernd zu fürchten, und verspreche mir selbst, damit aufzuhören, dermaßen paranoid zu sein, und stattdessen zu versuchen, die Zeit zu genießen, so wie Maad es tut.
Am nächsten Tag fragt er mich, ob ich Lust hätte, mit seinen Freunden und Verwandten am Abend am Fluss in Sherqat zu grillen. Ich stimme zu, und mit Verspätung - wir konnten uns untertags kaum sattsehen an all den Kulturschätzen in Al Hatra - kommen wir hin, als es bereits dunkel ist. Die Burschen, etwa zehn an der Zahl, haben schon fleißig den Grill aufgebaut, die Wasserpfeife angeworfen und Bier im rauschenden Fluss eingekühlt. Die Autos sind gleich neben unserem Sitzplatz geparkt, die Türen offen und das Radio läuft. Ich muss lachen, als sich die Männer wundern, warum ich ein Kopftuch trage, wenn ich doch keine Muslimin bin. Wenn ich nicht als Ausländerin erkannt werden möchte, dann solle ich es doch bitte so tragen wie die einheimischen Frauen.
Manche der Jungs beschließen, wohl vom Alkohol beflügelt, sich in die Fluten zu werfen. Mir war gar nicht aufgefallen, wie stark die Strömung ist - es wäre unmöglich, auf die andere Seite zu schwimmen, auch wenn der Fluss an der Stelle, an der wir sitzen, nicht übermäßig breit ist. Einer nach dem anderen stürzt sich hinein - und wird in Sekundenschnelle unter Wasser gezogen und fortgerissen. Meine Phantasie sieht mich schon Wasserleichen an Land ziehen, daher bedränge ich Maad, ihnen das doch zu verbieten! Der aber winkt nur ab und applaudiert, als sich der Nächste in die Fluten wirft und ein anderer ihm "Komm schon, Michael Phelps!" nachschreit.
Für mich ist klar, dass sie alle absaufen werden. Zu meiner Erleichterung aber sehe ich, wie sie weiter unten am Fluss an einer ruhigen Stelle mit Gejohle und lautem Gelächter wieder auftauchen. Als ich noch den Kopf schüttle, entdecke ich den Großen Wagen am Himmel. Ich freue mich und weiß eigentlich gar nicht, warum. Dachte ich, im Irak sähe man keine Sterne!?
Ab zu den Schwertern
Mein letzter Tag bricht an, aber meine wichtigste Aufgabe steht noch bevor: die Schwerter von Kadesia! Das Objekt meiner Begierde befindet sich innerhalb der Grünen Zone, einem zehn Quadratkilometer großen, hermetisch abgeriegelten Bereich im Zentrum Bagdads. Da das Areal Botschaften, Militäreinrichtungen und Regierungsgebäude beherbergt, ist es komplett von hohen Betonmauern und Stacheldrahtzäunen umgeben. Zugang zum Gebiet bieten einige Checkpoints - und das auch nur, wenn man eine Zutrittserlaubnis hat.
Die habe ich natürlich nicht, und es war in der kurzen Zeit auch nicht möglich, eine aufzutreiben. Maad meint, wir müssten nur nahe genug an die Grüne Zone herankommen, dann bei einem Haus klopfen und fragen, ob wir aufs Dach dürfen, um einen Blick auf sie zu werfen.
Als wir durch das Zentrum von Bagdad kurven, wird Maad unruhig, und ich frage ihn, was los ist. Er erklärt, dass laut Radiobericht angeblich zehn Autobomben in Bagdad unterwegs seien und die Bevölkerung aufgerufen wird, vorsichtig zu sein und Verdächtiges zu melden - und möglichst zu Hause zu bleiben. "Hört denn das nie auf?", frage ich ihn. Er zuckt mit den Schultern.
Schließlich nähern wir uns der Grünen Zone. Je näher wir kommen, desto mehr Checkpoints gibt es und desto langsamer wird der Verkehr. Wir werden zig Mal umgeleitet. Wegen der vermuteten Autobomben wurde die Grüne Zone weiträumig abgeriegelt und die Straßen davor sind für den Autoverkehr gesperrt.
Nach der x-ten Sackgasse geben wir schließlich auf und lassen das Auto stehen, um zu Fuß so nahe wie möglich heran zu kommen. An einer Kontrollstelle stehen drei Iraker mit langen Listen und Zetteln. Maad weist mich an, die Klappe zu halten, nicht aufzusehen, und nur er spricht. Nach einem kurzen Plausch mit den Kontrolleuren dürfen wir in die autofreie Zone weitergehen und schlängeln uns durch die Gassen und Hinterhöfe der reichen Iraker, die ihre Häuser im Zentrum Bagdads haben. Die Häuser sehen alle sehr nobel aus, aber die meisten wirken verlassen, wie in einem Dornröschenschlaf. An jeder Kurve sitzen zwei Uniformierte; Maad und ich wiederholen gebetsmühlenartig "Salaam", nicken freundlich und schleichen weiter.
Rettung Riesenrad
Maad tut zwar so, als würde er sich auskennen, aber ich merke bald, dass er keine Ahnung hat, wo wir sind und wie wir näher zu den Schwertern kommen. Nach jeder Ecke schaut er ganz gebannt, ob sich die Schwerter dort erheben, aber nichts.
Aus dem Labyrinth an kleinen Straßen kommen wir schließlich wieder an einer der großen dreispurigen Straßen heraus, und gerade als Maad schweren Herzens eingesteht, dass das jetzt vielleicht doch nichts wird mit den Schwertern - ich muss spätestens in einer halben Stunde zum Flughafen aufbrechen - erblicke ich ein Riesenrad. Voller Freude sage zu ihm, dass wir damit fahren, denn dann müssten wir die Schwerter von da oben ja sehen!
Er zögert kurz, aber schon laufen wir über die beiden dreispurigen Straßen zum Eingang. Ich fasse es nicht, dass mitten in Bagdad ein riesiger Vergnügungspark steht, der noch dazu in Betrieb ist, bereits am Vormittag.
Wir hetzen zum Einstiegstor des frisch lackierten Riesenrades und springen auf die Plätze. Dann steigen und steigen wir, drehen uns wie auf einem Ringelspiel nach allen Seiten - und endlich entdecke ich meine Schwerter, und versinke in ihrem Anblick.
Still ist es, oben im Riesenrad über Bagdad. Je höher man steigt, desto winziger werden die Autos, Checkpoints und Stacheldrähte, und alles scheint friedlich zu schlummern. Die Stadt ist nicht zu hören, nur das Gelächter einzelner Menschen im Vergnügungspark erreicht unsere Höhe. Und ich starre auf die Schwerter, die ein perfektes Sinnbild für die übergangslose Vereinigung von Schönheit und Brutalität sind, die das ganze Land durchziehen.
Veronika Eschbacher, geboren 1980, arbeitet als freie Mitarbeiterin im Europa@Welt-Ressort der "Wiener Zeitung".