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Autokanzlerin statt Klimakanzlerin

Von Ronald Schönhuber

Politik

Angela Merkel gibt gerne die Klimaschutzvorreiterin, bei strengeren Pkw-Abgaslimits war Deutschland aber stets ein Bremsklotz.


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Luxemburg. Als Angela Merkel im August 2007 in einer feuerroten Daunenjacke über einen grönländischen Gletscher stapfte, um sich selbst ein Bild von der voranschreitenden Eisschmelze zu machen, galt die deutsche Kanzlerin als Lichtgestalt der internationalen Klimaschutzbemühungen. Nicht zuletzt unter dem Eindruck des im selben Jahr veröffentlichten Weltklimaberichts, der mit bisher nicht gekannter Deutlichkeit vor den Risiken der globalen Erwärmung warnte, hatte sich die EU unter Merkels Federführung das weltweit ambitionierteste Klimaschutzprogramm mit einer Treibhausgasreduktion in Höhe von 20 Prozent bis zum Jahr 2020 verordnet.

Heute, 11 Jahre nach Merkels denkwürdigem Auftritt am Eqi-Gletscher, gilt es dagegen als so gut wie ausgeschlossen, dass Klimaschützer die deutsche Kanzlerin in ähnlicher Form auf Podest heben. Denn wie sehr der deutsche Anspruch des globalen Klimaschutzvorreiters mit der Realität kollidiert, zeigt sich nicht nur im zögerlichen Hin und Her beim Ausstieg aus der Braunkohle, sondern vor allem auch in der Debatte um neue europaweite Emissions-Grenzwerte für die Autoindustrie.

So hat Deutschland am Dienstag dafür gesorgt, dass die Entscheidung im EU-Umweltministerrat über eine gemeinsame Linie bei der Begrenzung von klimaschädlichen Autoabgasen zu einem harten Kampf zwischen Gegner und Befürwortern von strengeren Limits geworden ist. Gemeinsam mit einigen osteuropäischen Ländern hatte sich Deutschland dabei von Anfang an auf einen EU-Kommissionsvorschlag festgelegt, demzufolge Neufahrzeuge im Jahr 2030 um 30 Prozent weniger CO2 ausstoßen müssen als im Referenzjahr 2021. Eine Gruppe von 15 bis 20 Staaten, darunter auch Schwergewichte wie Frankreich, Spanien und die Niederlande, war jedoch mit dem Wunsch nach einer deutlich höheren Senkung in die bis in die Abendstunden dauernden Verhandlungen gegangen. Angesichts der stellenweise düsteren Prognosen des am Vortag erschienenen Sonderberichts des Weltklimarats IPCC plädierten viele dieser Länder dafür, dem 40-Prozent-Vorschlag des EU-Parlaments zu folgen. Durchaus Zustimmung gab es aber auch für den 35-Prozent-Kompromiss, den die österreichische Ratspräsidentschaft ins Spiel gebracht hatte.

Es ist allerdings bei weitem nicht das erste Mal, dass sich die deutsche Bundesregierung unter Merkels Führung gegen zu strenge Abgasgrenzwerte sträubt. So hatte Deutschland auch schon im Jahr 2013, als es um neue Grenzwerte für die Periode von 2020 bis 2030 ging, massiv auf eine Aufweichung der Limits gedrängt. Angetrieben hat Merkel damals wie heute die Sorge um eine deutsche Schlüsselindustrie. Von den Autobauern und der mit ihnen eng verbundenen Zulieferindustrie hängen nicht weniger als 900.000 Arbeitsplätze ab. Und viele davon sieht Merkel als bedroht an, wenn die Grenzwerte zu sehr verschärft werden. "Alles, was über das 30-Prozent-Ziel hinausgeht, birgt die Gefahr, dass wir die Automobilindustrie aus Europa vertreiben und sie dann woanders Autos produziert, die wir hier dann kaufen", betonte Merkel, die von Anfang an auch immer Auto-Kanzlerin war, vor kurzem bei einem Kongress des Bundes der Deutschen Industrie.

Diesel-Fahrverbote in Berlin

Allerdings hat die Autoindustrie, die viele Jahre lang auch über einen privilegierten Zugang zur Regierung besaß, bei der Kanzlerin zuletzt viele Sympathien verspielt. So nimmt Merkel den Konzernen nach wie vor übel, dass sie bei Abgaswerten von Millionen Dieselautos dreist betrogen haben. Dabei geht es nicht nur um die Glaubwürdigkeit einer ganzen Industrie, sondern auch um die noch lange in die Zukunft nachwirkenden Folgen. So hat erst am Dienstag ein Gericht in Berlin entschieden, dass die deutsche Hauptstadt Diesel-Fahrverbote für einige Straßen verhängen muss, um den EU-Luftreinhaltevorgaben gerecht zu werden.