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Autokraten und Prediger

Von Markus Schauta

Gastkommentare

Religiöses und politisches Establishment in Ägypten mögen sich in manchen Punkten uneins sein. In ihren autoritären Vorstellungen von Gesellschaft sind sie es nicht.


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Der TV-Auftritt des ägyptischen Islamgelehrten Ahmed al-Tayeb im Mai sorgte für Schlagzeilen. In der Sendung erklärte der 73-Jährige, dass Frauen das Haus nicht verlassen dürften, ohne ihren Ehemann um Erlaubnis zu fragen. Auch Arbeit außerhalb des Haushaltes sei nur mit Zustimmung des Ehegatten möglich. Als Draufgabe stellt Al-Tayeb Ende Mai in einer Fatwa fest, dass es Ehemännern erlaubt sei, ihre Frauen zu schlagen. Solange dabei keine Knochen brächen, sei dies in Ordnung.

Ahmed al-Tayeb ist nicht irgendein Prediger. Er ist Scheich der Al-Azhar, einer der wichtigsten Institutionen des sunnitischen Islam; Bildungsapparat und theologische Denkfabrik mit zahlreichen Filialen, zu denen unter anderem die berühmte Al-Azhar Universität in Kairo zählt.

Die Reaktionen auf Al-Tayebs Aussagen kamen prompt. Ägyptische Menschenrechtsvertreter etwa wiesen darauf hin, dass Al-Tayebs Fatwa nicht nur gegen die Menschenrechte, sondern auch gegen das Gesetz verstoße. Seine Äußerungen stünden in direktem Gegensatz zur ägyptischen Verfassung, die die Gleichheit zwischen Mann und Frau garantiere. Rückendeckung hingegen erhielt Al-Tayeb von Kollegen in der Azhar, die auf die Scharia verwiesen, laut der es einem Mann grundsätzlich erlaubt sei, seine Ehefrau zu schlagen.

Zwiespältige Beziehung zwischen Al-Azhar und Staat

Die Jahrhunderte alte Al-Azhar gilt allgemein als moderate islamische Institution. Zu vielen gesellschaftlichen Fragen aber vertritt sie eine konservative, patriarchal geprägte Sichtweise. Anfang Juni ruderte der Scheich dann doch etwas zurück. In einem Kommentar forderte er eine gesetzliche Regelung, die das Schlagen von Frauen unter Strafe stellt. Ob dieses Gesetz nur bei Knochenbrüchen in Kraft treten solle, blieb offen.

Die Beziehung zwischen Al-Azhar und dem Staat ist zwiespältig. Der Azhar ist per Gesetz eine gewisse Unabhängigkeit garantiert. So kann der ägyptische Präsident den Scheich zwar absetzen, hat aber kein Mitspracherecht bei der Wahl desselben, die durch ein Gremium der Azhar erfolgt. Ebenso ist der Staat per Verfassung verpflichtet, ihr jene finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie benötigt, um ihren zentralen Aufgaben - theologische Studien, Lehre, Mission - nachzukommen.

In den vergangenen Jahren hat Präsident Al-Sisi von der Azhar immer wieder gefordert, den religiösen Diskurs zu reformieren. Beobachter sagen, dies geschehe nur schleppend oder gar nicht. Die Azhar beteiligt sich an der Bekämpfung von Extremismus. So ist Al-Tayeb - sehr zum Gefallen Al-Sisis - ein Sprachrohr gegen die Muslimbrüder und wendet sich offiziell gegen den Islamischen Staat (IS): Die Dschihadisten seien, so Al-Tayeb, Muslime, die angesichts der Schwere ihrer Verbrechen aus islamrechtlicher Sicht als "Abtrünnige" zu behandeln seien. Für solche sehe der Koran (Sure 5:33) Strafen wie Kreuzigung, das Abschlagen von Gliedern oder den Tod vor, erklärte Al-Tayep im Jahr 2015 als Reaktion auf die Verbrennung eines jordanischen Piloten durch die Dschihadisten.

Verstümmelung und Mord im Namen des rechten Glaubens

Folter und Mord sind für den Scheich also nicht per se falsch. Relevant ist nur, wer die Taten ausübt. Seiner Sichtweise folgend, ist der IS dazu nicht berechtigt. Al-Tayeb, der sich als Vertreter der Orthodoxie, der rechten Auslegung des Islam, versteht, darf Verstümmelung und Mord aber sehr wohl befürworten. Eine Denkweise, die all jene unterstützt, die glauben, im Namen des Islams alles tun zu können - sofern sie nur im Besitz des rechten Glaubens und damit der rechten Auslegung des Korans sind. Ob das der von Al-Sisi eingeforderte reformierte Diskurs ist, bleibt zu bezweifeln.

Und hier schließt sich der Kreis: Wenn Al-Tayeb über die Familie spricht, wendet er sich auch nicht grundsätzlich gegen Freiheitsberaubung und physische Gewalt. Beide seien im Sinne der "patria potestas" - der Ausübung "väterlicher Gewalt" durch den Familienvater - legitim. Präsident Al-Sisi und Scheich Al-Tayeb mögen sich in manchen Punkten uneins sein. In ihrer Vorstellung, wie Gesellschaft zu funktionieren habe, sind sie es nicht. Al-Tayeb predigt eine patriarchale Gesellschaft, in der der Mann als Vorstand des Haushaltes bestimmt, was zu geschehen hat und was nicht. Und auch Präsident Al-Sisi, sozusagen Vorstand des ägyptischen Haushaltes, beansprucht für sich die unumschränkte Autorität. Religion und Politik legitimieren einander gegenseitig.