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Vor 150 Jahren wurde Henry Ford geboren, der sich vom Farmerssohn zum Wirtschaftsführer hinaufarbeitete. Die von ihm konstruierte "Tin Lizzie" war das erste Auto, das für Normalverdiener erschwinglich war.
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"Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde." Das Arbeits- und Lebensmotto des Automobilpioniers Henry Ford war der Fortschritt. Am 30. Juli 1863 erblickte der Sohn irischer Einwanderer in Dearborn nahe Detroit, im US-Bundesstaat Michigan, das Licht der Welt.

Aufgewachsen mit fünf Geschwistern auf einer Farm, zeigt der junge Henry früh Interesse an technischen Dingen. Mit 16 beginnt er eine Lehre als Maschinist. Danach arbeitet er für die Westinghouse Electric Corpora- tion an Ottomotoren. Es folgen Gelegenheitsjobs, unter anderem demonstriert er die Leistung moderner Dampfmaschinen auf Farmen. Stets auf der Suche nach Geschäftsideen, betreibt er zeitweise ein Sägewerk und versucht sich in der Uhrenfertigung. Besonders fasziniert ist er jedoch von einer Erfindung von Gottlieb Daimler und Carl Benz - dem Automobil.
Nach seiner Heirat 1891 mit Clara Bryant zieht das Paar gemeinsam nach Detroit. Hier beginnt Ford als Mechaniker bei der "Edison Illuminating Company". Mit Firmengründer Thomas Alva Edison ist er in späteren Jahren befreundet, 1893 wird er zum Chefingenieur befördert. In seiner Freizeit bastelt Ford weiter an Motoren und Maschinen und konstruiert schließlich ein erstes Auto mit Benzinmotor, das 1896 vorgestellte "Quadricycle". Er glaubt fest an die Zukunft des Automobils, auch wenn er nur zwei seiner vier PS-starken Gefährte verkauft. Er kündigt bei Edison und gründet 1899 die "Detroit Automobile Company". Nach nur zwei Jahren ist die Firma insolvent, doch Ford lässt sich nicht entmutigen und beginnt mit dem Bau von Rennwagen, den legendären "Sweepstakes".
Die eigene Firma
1903, mit fast 40 Jahren, macht Ford den entscheidenden Schritt: Gemeinsam mit elf weiteren Investoren und 28.000 Dollar Kapitaleinlage gründet er die "Ford Motor Company". Das Unternehmen entwickelt sich schnell zu einem bekannten Namen im Fahrzeuggeschäft der USA. Richtungsweisend für den Erfolg wird das neue "Modell T", das die Firma am 1. Oktober 1908 erstmals präsentiert. Innerhalb kurzer Zeit avancieren die Autos aus den Detroiter Montagehallen zu den meistverkauften und beliebtesten Vehikeln Amerikas.
"Tin Lizzie" - auf Deutsch "Blechliesl" - ist einfach und dennoch robust gebaut und kostet 850 Dollar, was einem heutigen Wert von rund 18.000 Euro entspricht. Mit dem neuen Auto revolutioniert Ford nach und nach die Herstellung, indem er den Zusammenbau in kleinste Einzelschritte zerlegt. 1910 verlegt er die Produktion innerhalb Detroits nach Highland Park und startet 1913 mit Einführung der Fließbandarbeit die industrielle Massenproduktion in einer der größten und modernsten Fabriken der Welt. Bis zum Ende des folgenden Jahres sind durch Rollen- und Gleitbahnen alle Bänder zu einer riesigen Fertigungsmaschinerie verzahnt. Dadurch wird die Herstellung achtmal schneller. 1920 verlässt bereits jede Minute ein T-Modell das Band.
Das schlägt sich auch auf den Preis nieder, der jedes Jahr herabgesetzt werden kann. So kostet das T-Modell 1922 nur noch 290 Dollar. Zuvor hatte die Firma schon mit dem Slogan: "Ein Tag - ein Dollar, ein Jahr - ein Ford" geworben. Zudem hat Ford bereits 1914 den Tageslohn seiner Arbeiter für acht Stunden auf fünf Dollar verdoppelt, während in vielen anderen Fabriken noch 2,30 Dollar am Tag die Regel sind. Außerdem verringert er die wöchentliche Arbeitszeit seiner Mitarbeiter von sechs auf fünf Tage. Dieser "Fordismus", eine Kombination von Hochlohn- und Niedrigpreispolitik, bildet einen Grundpfeiler für den immensen Erfolg von "Tin Lizzie". Ein Auto, bis dahin nur für die Oberschicht erschwinglich, wird bezahlbar.
Einfache Konstruktion
Ein weiteres Erfolgsgeheimnis ist das einfache Konzept des Automobils. Es besitzt einen unverwüstlichen Vierzylindermotor mit 21 PS bei einem Hubraum von 2892 Kubikcentimeter, Höchstgeschwindigkeit 75 km/h. Ford hatte auch schon vor dem Modell T derartige Motoren gebaut, jetzt gibt es erstmals einen Motorblock aus einem Guss. Das Planetengetriebe hat zwei Vorwärtsgänge und einen Rückwärtsgang, die durch Pedale bedient werden. Schalthebel - Fehlanzeige.
Für heutige Verhältnisse waren die Fußpedale ungewohnt angeordnet: links das Gangpedal - durchgetreten in den ersten Gang, losgelassen zweiter Gang; in der Mitte der Rückwärtsgang und rechts die Bremse. Der Gashebel wird mit der Hand betätigt und befindet sich am Lenkrad. Statt in der Mitte, wie bis dahin üblich, wird der Wagen links gelenkt.
Die Karosserie ist schwarz lackiert. Henry Ford soll einmal gesagt haben: "Sie können ihn in jeder Farbe haben, sofern sie schwarz ist." Der Grund ist simpel, die schwarze Farbe trocknet am schnellsten. Auf Wunsch von Kunden wird die Farbpalette erst 1925 erweitert - dann gibt es sogar Versionen in knalligem Rot.
Für den Einsatz auf dem Land wird eine "Tin Lizzie" mit besonders hohem Radstand entwickelt, trotzdem bleibt das Fahrzeug mit 840 Kilogramm recht leicht und ist, stark motorisiert, auch für schweres Gelände geeignet. Und reparaturfreundlich. Jeder Farmer, der über einiges handwerkliches Geschick verfügt, kann defekte Teile selber austauschen.
Zudem versetzen die Ford-Ingenieure durch narrensichere Spezialmaschinen selbst ungelernte Kräfte in den Montagehallen in die Lage, Präzisionsarbeit abzuliefern. Laut Fords Autobiografie "Mein Leben und Werk", die 1922 erschien, sei ihm die Idee zur Fließbandproduktion im Schlachthof von Chicago gekommen, wo Rinderhälften an Hängebahnen transportiert wurden.
Obwohl an Fords Auto nichts grundlegend neu ist, wird das Modell T zum Verkaufsschlager. Neben dem niedrigen Preis überzeugt viele Käufer die Qualität. Davor waren die meisten Automobile recht unzuverlässig, das T-Modell bietet vor allem Zuverlässigkeit. Die simple Konstruktion wird zwar nur mit einem Fahrgestell angeboten, aber es bleibt die Wahl zwischen einer Vielzahl von Aufbauten: Am populärsten sind Limousinen und Tourenwagen, daneben bietet der Hersteller auch Town Car, Roadster, Coupé, Runabout und Deluxe Tourer an.
Internationaler Erfolg
Die Produktion der T-Modell-Reihe legt nicht nur in den Vereinigten Staaten den Grundstock für einen einmaligen Siegeszug. Ab 1909 beginnt Fords weltweite Expansion ausschließlich mit "Tin Lizzie". Im Jahr 1921 macht der Wagen aus Detroit 55 Prozent der globalen Automobilproduktion aus. Dazu tragen auch internationale Franchiseverträge bei, die Fertigung der Wagen erfolgt inzwischen ebenso im britischen Manchester und im französischen Bordeaux wie in Spanien, Irland, Dänemark und Japan. Bereits 1907 hatte ein Wiener Autohändler erstmals Autos von Ford in Österreich verkauft, die direkt aus Detroit importiert worden waren.
Doch die Konkurrenz schlief nicht. Sie entwarf neue Funktionen und Designs, die Ford nicht bieten konnte. Das fast zwanzig Jahre lang unveränderte Erscheinungsbild und die spartanische Ausstattung hatten sich 1927 überlebt, die Verkaufszahlen brachen ein. Bis dahin waren mehr als 15 Millionen Exemplare abgesetzt worden. Doch Henry Ford hatte zu lange an dem Modell festgehalten. Sein einziger Sohn Edsel, der inzwischen Vorsitzender des Unternehmens war, konnte sich mit neuen Ideen lange nicht gegen seinen Vater durchsetzen. Erst 1926 wurde mit dem Modell A ein Nachfolger präsentiert, mit hydraulischem Bremssystem und Schaltgetriebe.
Für die Amerikaner ist Henry Ford ein Volksheld, nicht zuletzt, weil er sich erfolgreich gegen die "Association of Licensed Automobile Manufacturers" durchgesetzt hatte. Diese Gruppe beanspruchte das Recht zur Lizenzvergabe an Autohersteller, auf Grund eines Patents aus dem Jahr 1895. Da Ford dieser Interessenvertretung nicht beitreten wollte, drohte sie, ihn aus dem Geschäft zu werfen. Sie wollten Gewinne aus dem Automobilhandel abschöpfen, das schien Ford unverschämt. Er nahm den juristischen Kampf mit der mächtigen Lobby auf und gewann nach zähem Rechtsstreit.
Der Wirtschaftstycoon sorgte aber auch für negative Schlagzeilen. 1919, als er sich schon weitestgehend aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen hatte, wurde er Herausgeber einer Zeitung, dem "Dearborn Independent". Darin agitierte er gegen Juden, Sozialisten, Liberale und Immigranten. Außerdem brachte er zwischen 1920 und 1922 vier Bände mit antisemitischen Schriften heraus. Adolf Hitler bewunderte Ford für diese "Inspiration". Wiederholte Appelle an Ford, seine Hetze einzustellen, blieben ohne Wirkung, selbst die Intervention des damaligen US-Präsidenten Woodrow Wilson scheiterte. Erst im Juni 1927 - unter dem Druck einer Verleumdungsklage - entschuldigte sich Ford öffentlich.
Das Modell T wurde als weltweit meistverkauftes Automobil erst im Jahr 1972 abgelöst - vom VW-Käfer, der zwischen 1938 und 2003 mehr als 21,5 Millionen Käufer fand. Heutzutage ist der "T-Ford" ein beliebter Oldtimer, von dem immerhin noch rund ein Prozent aller gebauten Exemplare existiert. Henry Ford sagte über den außerordentlichen Erfolg von "Tin Lizzie": "Wir nahmen einen sogenannten Luxusartikel und machten ihn ohne jede Kniffe und Schliche zu einer Notwendigkeit."
Ford war einer der reichsten Männer seiner Zeit. 1919 kaufte er mit seinem Sohn die Anteile aller Kleinaktionäre im Gesamtwert von 105.568.858 Dollar auf und sie wurden zu alleinigen Besitzern des Unternehmens. Von 1906 bis 1919 war Henry Firmenpräsident, nach dem Tod von Edsel, der 1943 im Alter von nur 49 Jahren starb, übernahm der Senior nochmals bis 1945 den Vorsitz. Dann trat sein ältester Enkel Henry II in seine Fußstapfen. Henry Ford starb am 7. April 1947 in seinem Haus in Dearborn - wegen eines Hochwassers bei Kerzenlicht und Petroleumlampen, wie bei seiner Geburt 83 Jahre zuvor.
Michael Ossenkopp, geboren 1955, arbeitet als freier Autor in Berlin; Themenschwerpunkte: Chronik, Geschichte, Technik.