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Autonome Autos auf der Überholspur

Von Eckart Granitza

Wissen
Testfahrten auf dem ehemaligen Flughafen-Rollfeld mit sehr viel Technik auf dem Dach. Foto: Granitza

Experte erwartet in zwei bis drei Jahrzehnten den großen Durchbruch. | Roboterautos wären als Nachtwächter und für "Carsharing" optimal.


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Berlin. Einsteigen, zurücklehnen, entspannen - so bequem könnte das Autofahren mit einem selbstfahrenden Auto in der Zukunft aussehen. Im autonomen Fahren liegt für viele technikbegeisterte Ingenieure die Zukunft des Automobils, weshalb bereits verschiedene Firmen und Universitäten sowie das Militär in der ganzen Welt an autonomen Fahrsystemen forschen. So verkündete Google Ende letzten Jahres die Erfolgsmeldung, seine autonomen Autos hätten mehr als 140.000 Meilen (rund 225.000 Kilometer) auf öffentlichen Straßen Kaliforniens abgespult - ganz heimlich, da der Suchmaschinen-Riese anscheinend nicht alle technischen Innovationen veröffentlicht sehen will.

Auch in Deutschland gibt es Universitäten, die an autonomen Fahrzeugen forschen. So haben Entwickler der Technischen Universität Braunschweig im Oktober 2010 im belebten Stadtverkehr auf dem Braunschweiger Stadtring eine Testfahrt mit einem autonomen Auto durchgeführt. Dabei hat das Auto namens "Leonie" bei Geschwindigkeiten bis zu 60 Stundenkilometern auf der zweispurigen Fahrbahn des Stadtrings sowohl die Spur halten als auch Hindernisse umfahren können. Leonie kontrollierte problemlos die Abstände zu anderen Autos und passte das Tempo dem fließenden Verkehr an.

Noch weiter hinaus wollen die Informatiker der Freien Universität (FU) Berlin um den mexikanischen Professor Raúl Rojas. Am 15. Mai soll ihr intelligentes Auto, ein unscheinbarer Passat mit einem Laserscanner auf dem Dach, auf der Berliner Automobil-Verkehrs- und Übungs-Straße (Avus) elf Kilometer selbständig zurücklegen und auch Auf- und Abfahrt von der Autobahn ohne menschliche Hilfe bewältigen. Eine Autobahnfahrt mit einem halbautonomen Auto gab es schon 1995, organisiert von der Bundeswehruniversität in München, aber da musste der "Beifahrer" bei jedem Spurwechsel und Überholmanöver noch selber ins Steuer greifen.

Genau das will der jetzige "Beifahrer", der Informatiker Tinosch Ganjineh von der FU Berlin, vermeiden. "Ich gehe davon aus, dass ich während der ganzen Fahrt von elf Kilometern nicht einmal ans Steuer greifen oder auf die Bremse treten muss", hofft der Mitentwickler des autonomen Gefährts. "Das Auto kann selbständig die Spur wechseln und sogar selbständig andere Autos überholen", meint er. Die Schwierigkeit im Gegensatz zu "normalen Stadtfahrten": Bei so hohen Geschwindigkeiten muss auch das Auto enorm schnell auf eine Veränderung der Verkehrssituation reagieren. Die Forscher um Rojas sehen gerade auf der Autobahn ein enormes Potenzial für autonome Fahrzeuge. "Denn wer will bei weiten Fahrten schon fünf sechs Stunden voll konzentriert am Steuer sitzen, wenn er doch während der Zeit auf dem Beifahrersitz ein gutes Buch oder seine Akten lesen könnte", meint Rojas.

Laserscanner auf dem Dach

MIG ("Made in Germany") heißt der Wagen, den die Wissenschafter der FU Berlin in ihren sogenannten Auto Nomos-Labs zur Erforschung autonomer Mobilität entwickelt haben. Die Positionsdaten bestimmt das Gefährt selbständig über GPS, das Messen der Anzahl der Radumdrehungen und Beschleunigungssensoren. Ebenso wird auf Basis von Kameras sowie Radar- und Laserscannern der Abstand zu den anderen auf der Autobahn fahrenden Autos berechnet und die Entscheidung getroffen, ob das Fahrzeug die Geschwindigkeit reduziert oder überholt. Dafür waren im Vorfeld dutzende Testfahrten auf dem ehemaligen Rollfeld des Tempelhofer Flughafens nötig. Eine typische Situation: Die Bremsen quietschen, der Wagen stoppt, aber keiner drückt das Bremspedal hinunter. Tinosch Ganjineh sitzt entspannt auf dem Fahrersitz des intelligenten Autos.

Der Laserscanner auf dem Dach hat das andere Auto rechtzeitig entdeckt, was Ganjineh so erklärt: "Mit zehn Umdrehungen pro Sekunde tastet er die Umgebung ab und erzeugt ein dreidimensionales Bild. Damit sieht das Fahrzeug beinahe gleichzeitig in alle Richtungen, und so lange die Technik funktioniert, nimmt das Roboterauto sogar noch wesentlich mehr wahr, als Menschen es im Straßenverkehr können."

Dabei sieht "MIG" von außen fast aus wie ein herkömmliches Serienfahrzeug. Doch beim Gang ums Auto wird schnell klar, wie viel Technik in dem Passat steckt: Er ist mit sieben Laserscannern, sieben Radargeräten, vier Videokameras und einer Wärmebildkamera ausgestattet. Diese "Augen" des Autos leiten ihre Daten an Prozessoren weiter, die sie an einen Zentralcomputer im Kofferraum schicken. Der verarbeitet sämtliche Daten dieser Sensoren und viele weitere Informationen so, dass das Auto immer die aktuelle Position, Geschwindigkeit und Fahrtrichtung kennt.

Schuld bei Unfall noch unklar

Professor Raúl Rojas ist sich sicher, dass das Auto der Zukunft schon bald das Auto der Gegenwart sein wird: "Technisch sehe ich eigentlich keine großen Hindernisse. Bis sich voll autonome Fahrzeuge etablieren, werden aber noch einige Jahre vergehen. Für den öffentlichen Verkehr auf Autobahnen vielleicht 20 Jahre. Und im Stadtverkehr vielleicht 30 Jahre." Dabei stellt er sich vor, dass Roboterautos vor allem zum "Carsharing" eingesetzt werden. 90 Prozent der Autos stünden bisher die meiste Zeit am Straßenrand und würden nur dann genutzt, wenn die Besitzer sie bräuchten. Besser wäre es aber, jederzeit ein autonomes Fahrzeug wie ein Taxi bestellen zu können.

Doch schon lange davor werden autonome Gefährte viele Nischen ausfüllen, die heute noch von "nicht denkenden Maschinen" oder Menschen besetzt haben. So sieht der kaufmännische Projektkoordinator der Berliner Auto Nomos-Labs Patrick Vogel intelligente Fahrzeuge schon bald als Nachtwächter auf Fabrikgeländen herumfahren oder auf Flughäfen, um Gepäck und Passagiere zum Flugzeug zu bringen. Zuvor müssen freilich noch viele technische und noch mehr rechtliche Details, etwa die Schuldfrage bei einem Unfall, geklärt werden.