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Autonomie in Kugelform

Von Peter Payer

Reflexionen

Kugelhäuser erregen seit je großes Aufsehen und lösen bis heute kontroversielle Debatten aus. Die Geschichte einer avantgardistischen Bauform.


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Kugelhaus in Dresden (Ansichtskarte, 1928).
© Sammlung Payer

Wir alle haben es schon einmal gesehen. Es ist eine Art Dauerkuriosum, wenngleich etwas in Vergessenheit geraten: das Kugelhaus an der Prater Hauptallee, nahe dem Riesenrad, vom österreichischen Künstler Edwin Lipburger erdacht und propagiert. Eine bewohnbare Kugel, Durchmesser acht Meter, rundherum das gleichsam exterritoriale Gelände der Mikronation "Republik Kugelmugel", abgesichert mit Stacheldraht und eigenem Grenzübergang.

Bereits 1971 hatte Lipburger in Katzelsdorf/NÖ sein erstes Kugelhaus errichtet. Allerdings ohne Baugenehmigung, da es sich seiner Meinung nach um eine "nur vorübergehend stabilisierte Kugel" handelte bzw. einen "positiv konstant gekrümmten, zweidimensionalen Raum", für den Bauordnung und Flächenwidmung irrelevant seien. Lipburger rief die "Republik Kugelmugel" aus und stellte gleichnamige Ortstafeln auf, wofür man ihn 1979 wegen Amtsanmaßung zu einer zehnwöchigen Gefängnisstrafe verurteilte.

Der Künstler fand einen neuen Standort in Wien. 1982 erhielt er die Genehmigung zur Aufstellung am Rand des Wurstelpraters - vom damaligen Bürgermeister Helmut Zilk persönlich, mit dem ihn in weiterer Folge durchaus konfliktreiche Jahre verbanden. Denn für das Bauwerk wurden - entgegen der Ursprungsidee - keine Genehmigungen für Strom- und Kanalleitungen erteilt.

Was hierzulande neu und - je nach Sichtweise - politisch (zu) revolutionär war, hat in Wirklichkeit eine längere Geschichte. Denn die österreichische Nachkriegsmoderne knüpfte, wie in anderen Fällen auch, mit der ungewohnten Gebäudeform an Strömungen an, die international schon Jahrzehnte zuvor für Furore gesorgt hatten.

Dresdner Expo 1928

Es war die im Frühjahr 1928 eröffnete Dresdner Großausstellung "Die Technische Stadt", bei der - weltweit erstmals - ein Kugelhaus präsentiert wurde. Oberstes Ziel der Schau war es, aktuelle und künftige urbanistische Leitbilder zur Diskussion zu stellen. Man wolle veranschaulichen, so Ausstellungsdirektor Carlwalter Straßhausen, wie "heutigentags die Technik in das Leben der Menschen eingreift, wie sie ein Helfer dem wird, der sie richtig erfaßt". Gerade in der modernen Stadt seien ingenieurtechnische Strategien zur Lösung der zahlreichen virulenten Probleme gefragt, die darüber hinaus zu grundsätzlichen Überlegungen zum Verhältnis von Mensch und Technik einluden. So präsentierte man denn auch ausführlich die lebenswichtigen technischen Infrastrukturleitungen der Stadt, neben Ta-bleaus und Modellen zu den Themen Verkehr, Straßenmöblierung, Nachrichtenwesen, Hoch- und Tiefbau bis hin zu Müllverwertung und Abfallentsorgung.

Absolutes Highlight und spektakulärste, auch international rezipierte Sensation war jedoch das Kugelhaus. Symbolträchtig aufgestellt vis-à-vis des altehrwürdigen Dresdner Ausstellungspalastes, demonstrierte das "neuzeitliche Geschäftshaus" den Stand moderner Technik; gleichzeitig war es ein unübersehbares futuristisches Statement: In solchen Gebäuden könnten wir in Zukunft leben!

Der Entwurf stammte vom Münchner Architekten Peter Birkenholz (1876-1961), der sich mit der Geschichte dieser Bauform und ihrer gestalterischen Umsetzung beschäftigte. Die Ideen der französischen Revolutionsarchitektur und der russischen Konstruk-tivisten weiterentwickelnd, hatte er an einigen Wettbewerben teilgenommen. Für die erstmalige Realisierung seines kugelförmigen Experimentalbaus benötigte man in Dresden nur acht Wochen, wobei die Medien schon vorab darüber berichteten und den Baufortschritt interessiert begleiteten.

Die tragende Konstruktion wurde von der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg in Stahlskelettbauweise errichtet, die Außenhaut bestand aus Glas (150 Fenster) und Aluminiumblech, der Sockel aus Beton. Die Eisenkonstruktion wog 280 Tonnen, 20.000 Nietverbindungen hielten sie zusammen. Der Durchmesser des Baus betrug 24 Meter, die Gesamthöhe knapp 30 Meter. Maximale Raumausnutzung auf geringster Grundfläche war das oberste Anliegen des Architekten.

Sein Bau beinhaltete fünf Geschoße, war durch einen Personenaufzug erschlossen und wies in der Mitte einen runden, atriumartigen Schacht auf. Nur die oberste Etage hatte eine durchgehende Geschoßfläche. Hier befand sich ein Café-Restaurant mit schräg liegenden Fensterfronten, die einen breiten Rundblick auf das Gelände ermöglichten. Die übrigen Geschoße wurden für Ausstellungszwecke genutzt. Die Fassade des Kugelhauses fungierte als Werbeträger für das Café sowie die am Bau beteiligten Firmen. Mit weithin strahlenden Leuchtbuchstaben stellte es auch nachts eine visuell höchst reizvolle Attraktion dar.

Medienecho

Begleitet wurde die Ausstellung von einer großen Werbekampagne. Der Dresdner Grafiker Willy Petzold schuf das zentrale Sujet: einen rötlichen, schräg gestellten stählernen I-Träger, in dessen großformatiger Schnittfläche die Insignien der modernen Stadt zu sehen sind: ein symbolträchtig verdichtetes Konglomerat aus geometrischen Baukörpern und Verkehrsräumen, ohne Menschen, im Mittelpunkt allein die rational durchorganisierte, technisch determinierte, ökonomisch dauerproduktive Großstadt.

Petzolds Entwurf war auf sämtlichen Werbemedien zu sehen. Gemeinsam mit dem Bild des Kugelhauses, das man ebenfalls als Werbemarke, Folder, Bildpostkarte oder Lesezeichen verbreitete, wurde das Sujet zum dominierenden Motiv der Ausstellung - mit höchstem Wiedererkennungswert.

Die umfangreichen Werbemaßnahmen bewirkten einen gewaltigen Publikumserfolg. Von vielen europäischen Städten aus wurden Sonderfahrten nach Dresden organisiert. Insgesamt 1,8 Millionen Menschen besuchten "Die Technische Stadt".

Karikatur aus dem Jahr 1928.
© Sammlung Peter Payer

Umfassend war auch die Berichterstattung in- und ausländischer Medien, wobei stets das Kugelhaus die größte Aufmerksamkeit erfuhr - und teils heftige Diskussionen hervorrief. Sprachen die Befürworter von einem "kühnen Versuch" und betonten die Vorteile der Gebäudeform (freiere Durchsicht, geringere Schattenwirkung, Vermeidung unfallträchtiger Straßenecken), reagierten die Kritiker skeptisch bis entsetzt.

Fachkreise bemängelten, dass die Ausstellung durch das prominent platzierte Kugelhaus "hart an den Rand einer Jahrmarktsveranstaltung" gebracht werde. Man sprach vom "Problem des Kugelhauses", empfand es als zu "konstruiert" und "dem allgemeinen Geschmack" widersprechend, wie der Verein Deutscher Ingenieure formulierte. Abwertend prognostizierte man: "Zweifellos von manchem Reiz, dürfte es sich doch nur zu Vergnügungs- und Liebhaberzwecken durchsetzen."

Andere argumentierten weniger diplomatisch. Sie taten, wie eine Salzburger Illustrierte, den Bau als "Kuriosum" ohne Zukunft ab und luden die Leser zu folgendem Gedankenexperiment ein: "Wie sähe eine Straße mit lauter Kugelhäusern aus? Man denke sich nur einmal, unsere liebe Festung Hohensalzburg wäre seinerzeit als Kugelhaus erbaut worden (. . .) Eine Seifenblase zu unseren Häuptern!" Kurzum: eine "phantastische", wenn nicht gar "wahnsinnige" Idee und "zweifellos seltsame Wege", die die moderne Architektur da gehe.

Vor allem populäre Unterhaltungsblätter und humoristische Zeitschriften griffen die teils überaus polemische Kritik auf. Sie visualisierten die Kugelhausstraße als ironisch kommentierte Bildmontage oder zeigten Karikaturen, die die praktischen Vorteile der Kugelform persiflierten. In Leipzig wurde sogar ein Lustspiel mit dem Titel "Im Kugelhaus" aufgeführt.

Hintergrund vieler Kritiken war das Gefühl der unaufhaltsamen Technisierung des Alltags und damit auch der Stadt. Ein Grauen vor der "Monotonisierung der Welt" ging um, wie dies Stefan Zweig schon 1925 in einem vieldiskutierten Essay in der "Neuen Freien Presse" formuliert hatte. Voll Skepsis registrierte man die tollkühnen Hochhausbauten der US-amerikanischen Metropolen. Die kulturelle Eigenständigkeit der europäischen Städte schien in Gefahr.

Mit den in den 1930er Jahren sich verschärfenden ideologischen Gegensätzen radikalisierten sich die einschlägigen Zeitdiagnosen. Am Eindringlichsten formulierte dies der österreichische Kunsthistoriker Hans Sedlmayr.

Er nahm in seinen erstmals 1939 publizierten Ausführungen explizit Bezug auf die Dresdner Ausstellung - und insbesondere auf das Kugelhaus. Schon dass ein Kugelhaus überhaupt in dem Rahmen gezeigt werde, sei Ausdruck von übertriebener Sensationslust, von einem Hang nach allzu viel Inszenierung und Show. Das Gebäude selbst erschien ihm "unsinnig" und ein "schlechter Scherz", wenngleich ein Symptom der Zeit, demonstriere es doch in seiner abstrakten Form den Verlust von Erdgebundenheit und verdeutliche so eine tiefgreifende kulturelle Krise:

"Der Kugelbau enthüllt nicht nur die Lage der Baukunst, sondern er ist Signal eines noch allgemeineren Zustands der ‚Bodenlosigkeit‘, der in den verschiedensten Gebieten des Lebens und des Schaffens zu beobachten ist."

Abriss 1938

Sedlmayrs Diktion von Missbräuchen und pathologischen Neigungen, die der Bau widerspiegle, fügt sich nahtlos in die NS-Ideologie und gipfelt darin, dass er in seiner ideengeschichtlichen Herleitung auf den sowjetischen Künstler El Lissitzky rekurriert, mit der Beifügung "(ein Jude?)". Seine Thesen vom "Verlust der Mitte", d. h. des Menschlichen, fasst Sedlmayr später in einem gleichnamigen, überaus einflussreichen Buch zusammen.

1938 ließ die nationalsozialistische Stadtverwaltung das Dresdner Kugelhaus abreißen, zu sehr widersprach es den Stilvorstellungen der neuen Machthaber; Architekt Peter Birkenholz war zudem wegen seiner jüdischen Abstammung in Misskredit geraten.

Die Idee des Kugelhauses lebte andernorts weiter. Bereits 1928 war in Cleveland, Ohio, das "Cunningham Sanitarium", ein kugelförmiger, fensterloser Sanatoriumsbau eröffnet worden. In den 1950ern entstanden auch in Deutschland neue Kugelhäuser, denen weitere, teils berühmt gewordene Exemplare folgten, u. a. in Brüssel (Atomium) und Stockholm. Selbst in Dresden stellte man die Ursprungsidee erneut ins Rampenlicht. Am Wiener Platz, gegenüber dem Hauptbahnhof, eröffnete 2005 ein gläsernes, kugelförmiges Einkaufszentrum.

Österreich beschritt den erwähnten Sonderweg. Hier war die Spektakelumgebung des Wiener Praters zur Heimat eines Kugelhauses geworden. Kein leichter Kontext, um ernst genommen zu werden. So steht es seit fast vier Jahrzehnten am "Antifaschismusplatz", als Kunstwerk und kulturpolitisches Statement.

Nach dem Tod von Edwin Lipburger (2015) erinnert heute sein Sohn Nikolaus an die durchaus politische Ursprungsintention des Baus: "Es war eine Utopie, die mein Vater hier verwirklichen wollte: eine bewohnbare Holzkugel als Zeichen von Autonomie, Antibürokratie, Freiheit." Seit dem Vorjahr werden in "Kugelmugel" wieder Ausstellungen gezeigt und Kunstevents abgehalten. Die Kugel bleibt in Bewegung.

Peter Payer ist Historiker, Stadtforscher und Kurator im Technischen Museum Wien. Zahlreiche Publikationen, zuletzt: "Auf und ab. Eine Kulturgeschichte des Aufzugs in Wien" (Brandstätter, 2018). www.stadt-forschung.at