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"Ayatollah Khamenei ist am Ende"

Von Arian Faal

Politik

Das staatliche Fernsehen bestätigt 15 Tote und dutzende Verletzte. | Opposition spricht von 50 Toten und 5000 Festnahmen. | Teheran/Wien. Die seit Monaten andauernden Unruhen im Iran haben in den vergangenen 72 Stunden einen neuen Höhepunkt erreicht. Allein in der Hauptstadt Teheran folgten mehrere zehntausend Demonstranten dem Aufruf der Opposition zu Protestkundgebungen. Die Sicherheitskräfte gingen brutal gegen die Regimekritiker vor. Auch in anderen Städten gab es Protestkundgebungen und Zusammenstöße mit den Schlägermilizen. Die grüne Bewegung, Irans Opposition, nahm die verbotenen Trauerzeremonien für den liberalen Großayatollah Hossein Ali Montazeri und das schiitische Ashura-Fest zum Anlass für ihre Massenproteste gegen die Führung. Montazeri gehörte bis zu seinem Tod am Sonntag vor einer Woche gemeinsam mit Oppositionsführer Mir-Hossein Moussavi zu den Galionsfiguren des nationalen Widerstandes.


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Ashura, am 10. des Monats Moharram, ist einer der höchsten Feiertage in der schiitischen Welt, der die für die Schia identitätsstiftende Leidensgeschichte des Imam Hossein zum Inhalt hat. Man gedenkt der Schlacht von Kerbela, bei der im Jahr 680 Hossein, der Enkel des Propheten Mohammed, und sämtliche seiner männlichen Verwandten getötet wurden. Der Tag symbolisiert den Märtyrerkampf für Gerechtigkeit.

Darauf beriefen sich auch die Demonstranten und gingen unverblümt auch mit dem obersten geistlichen Führer der Revolution, Ayatollah Ali Khamenei, scharf ins Gericht: Auf Plakaten wurde Khamenei mit Yazid dem Despoten verglichen, der die Schlacht von Kerbela zu verantworten hatte. Die Massen riefen "Sayed Ali ist am Ende".

Zudem boten die offiziell verbotenen Trauerfeierlichkeiten für Montazeri einen Rahmen für die stärksten Proteste seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Juni. An den offiziellen Trauerumzügen nahmen nur wenige teil, dennoch begannen die Menschen bereits Sonntag Früh in großen Massen ins Zentrum von Teheran zu strömen. Sicherheitskräfte drängten sie teilweise in Nebenstraßen ab. Am Montag wurden die Proteste fortgesetzt. Die Polizei habe Tränengas gegen Demonstranten eingesetzt, die sich vor einem Krankenhaus im Westen Teherans versammelt hätten, berichtete die Oppositions-Website Norooz.

"Sie schlagen auf alles ein, was sich bewegt"

Auch aus Isfahan, Shiraz und Najafabad, der Geburtsstadt Montazeris, wurden Demonstrationen gemeldet. "Teheran gleicht in diesen Tagen einer Kriegsstadt. Sie schlagen auf alles ein, was sich bewegt", klagt eine junge Perserin in der Internetplattform "Twitter" über die Lage in ihrer Stadt. Aus dem Teheraner Zentrum stiegen Rauchsäulen zum Himmel, und Hubschrauber kreisten über der Stadt. Internetseiten der Opposition sprachen von 50 Toten. Das staatliche Fernsehen sprach später von 15 Todesopfern, wobei neben zehn "Konterrevolutionären" auch fünf Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben gekommen seien. Viele Demonstranten wurden verletzt.

Unter den Toten ist auch Ali Moussavi, ein Neffe von Mir-Hossein Moussavi. Seyed Ali Moussavi ist von einer Kugel nahe am Herzen getroffen worden und nach seiner Einlieferung in das Ebnesina-Krankenhaus gestorben, berichtete Parlemannews. Seine Eltern sowie sein Onkel Mir-Hossein Moussavi waren sofort in das Krankenhaus geeilt. Laut Parlemannews erlitt der 20-Jährige die tödliche Verletzung bei Protesten nahe des zentral gelegenen Revolutions-Platzes ("Meidane Enghelab"). Sein Leichnam ist später verschwunden, berichtete sein Bruder. Der Tote wurde von den Behörden offenbar an einen unbekannten Ort gebracht. Dahinter dürfte die Angst des Regimes stecken, dass das Begräbnis von der Opposition für Proteste genutzt werden könnte.

Der Demonstrant Manouchehr F. berichtet im telefonischen Gespräch mit der "Wiener Zeitung", dass die überwiegend jungen Menschen auf der Straße trotz des brutalen Vorgehens der Basij-Milizen einen völlig neuen Mut an den Tag legten. Statt wie früher üblich wichen sie diesmal nicht zurück, um sich woanders zu sammeln, wenn sich ihnen die Staatsgewalt entgegenstellte, sondern sie riefen nun: "Töte mich doch, wenn es dich glücklich macht."

An mehreren Kreuzungen gelang es ihnen sogar, die Basij-Milizen zu vertreiben. Die paramilitärische Stütze der Führung legte harsche Brutalität an den Tag, um die wütenden Passanten einzuschüchtern. Zunächst wurden Schüsse in die Luft gefeuert, später aber auch direkt auf Demonstranten. Auch Tränengas, Pfefferspray und Schlagstöcke wurden eingesetzt. Viele Sicherheitskräfte weigerten sich laut Kundgebungsteilnehmern jedoch, auf die Demonstranten zu schießen.

"Sogar der Schahachtete Ashura-Fest"

Auffallend ist, dass die Auseinandersetzungen weitaus aggressiver sind als bei den Protesten der vergangenen Wochen. Duzende Basij-Motorräder, die bei der Niederschlagung von Demonstrationen eingesetzt wurden, wurden in Brand gesetzt. Auch Scheiben von Banken und Regierungsgebäuden gingen zu Bruch. In der ganzen Stadt waren rasende Krankenwagen mit eingeschalteten Sirenen zu hören. Auf zahlreichen SMS-Sendungen und Webseiten stand der Aufruf: "Schließt euch an, wir sind kurz vor dem Sieg." Ein weiterer Oppositionspolitiker, Mehdi Karroubi, verurteilte die blutige Gewalt gegen die Demonstranten auf das Schärfste. In einer Erklärung, die am Montag auf seiner Webseite verbreitet wurde, fragte er die Führung, wie sie ausgerechnet am höchsten schiitischen Feiertag das Blut des eigenen Volkes vergießen konnte. Sogar das Schah-Regime habe diesen heiligen Tag respektiert, monierte Karroubi, der wie Moussavi bei der von Wahlbetrug begleiteten Präsidentenwahl gegen Amtsinhaber Mahmoud Ahmadinejad unterlag.

Die Führung lässt sich von all diesen Ereignissen (noch) nicht beeindrucken und nahm am Montag weitere Verhaftungen vor. Unter ihnen befanden sich Irans Ex-Außenminister Ebrahim Yazdi und drei Mitarbeiter von Mir-Hossein Moussavi. Ingesamt wurden laut Oppositionskreisen in den vergangenen Tagen mehrere tausend Menschen verhaftet.

Das Ashura-Fest

Ashura ist der höchste Feiertag der Muslime schiitischen Glaubens. Sie gedenken an diesem Tag des Todes von Imam Hussein, Enkel des islamischen Religionsstifters Mohammed. Hussein starb 680 in einer Schlacht nahe der zentralirakischen Stadt Kerbala, wo seine Grabmoschee steht. Für die Schiiten ist Hussein Symbol für Verfolgung in einer ihrem Glauben feindlich gesinnten Welt.

Ashura ist der höchste Feiertag der Muslime schiitischen Glaubens. Sie gedenken an diesem Tag des Todes von Imam Hussein, Enkel des islamischen Religionsstifters Mohammed. Hussein starb 680 in einer Schlacht nahe der zentralirakischen Stadt Kerbala, wo seine Grabmoschee steht. Für die Schiiten ist Hussein Symbol für Verfolgung in einer ihrem Glauben feindlich gesinnten Welt.