Madrid - Eigentlich war eine Regierungsumbildung in Spanien erst für den Herbst erwartet worden, da zwei Minister - Umweltminister Jaume Matas und Außenminister Josep Pique bei den Regionalwahlen auf den Balearen und in Katalonien als Spitzenkandidaten der Volkspartei auftreten sollen. Jüngste innenpolitische Krisen, wie der Generalstreik zum Zeitpunkt des EU-Gipfels, haben den seit 1996 amtierenden Regierungschef Jose Maria Aznar, der gerade die EU-Ratspräsidentschaft an Dänemark abgegeben hat, aber schon jetzt zu einer massiven Regierungsumbildung schreiten lassen. Nicht weniger als sechs Minister wurden gefeuert, drei weitere wechselten ihr Ressort: Außenminister Josep Pique übersiedelt ins Wissenschaftsministerium, Innenminister Mariano Rajoy, schon bisher stellvertretender Regierungschef, wird Minister im Amt des Regierungschefs und zusätzlich Regierungssprecher und Justizminister Angel Acebes übernimmt das frei werdende Innenressort.
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Neue spanische Außenministerin wird Ana Palacio, die ältere Schwester der Vizepräsidentin der EU-Kommission Loyola de Palacio. Die 54-Jährige ist die erste Frau auf diesem Posten. Sie gehörte seit 1994 dem EU-Parlament an und wurde im Jänner spanische Regierungsvertreterin im EU-Konvent. Palacio, die im Vorjahr eine schwere Krebskrankheit überstanden hat, ist auch Vizepräsidentin der Europäischen Rechtsanwaltskammer.
Neu im Kabinett sind auch Justizminister Jose Maria Michavila, bisher Staatssekretär in diesem Ressort, Arbeits- und Sozialminister Eduardo Zaplana, bisher Präsident der Region Valencia, Gesundheitsministerin Ana Pastor, eine Ärztin, die bisher als Unterstaatssekretärin im Innenministerium gewirkt hat und der Minister für öffentliche Verwaltung Javier Arenas, der Generalsekretär der Spanischen Volkspartei, der schon zwischen 1996 und 1999 als Sozialminister dem Kabinett von Aznar angehört und für den Regierungschef den Wahlkampf im Jahr 2000 organisiert hatte.
Der bisherige Minister im Amt des Regierungschefs Juan Jose Lucas und Regierungssprecher Pio Cabanillas, der in seiner Informationspolitik eine eher klägliche Figur abgegeben hat, gehören der künftigen Regierung nicht mehr an. Cabanillas hatte versucht, den jüngsten Generalstreik wegzureden und mit Berichten über ein angebliches Treffen von Ex-Regierungschef Felipe Gonzalez mit dem marokkanischen König, die er ein paar Tage später dementieren musste, seinen Regierungschef in eine schwierige innenpolitische Situation gebracht.
Arbeits- und Sozialminister Juan Carlos Aparicio bezahlt mit seinem Abgang offensichtlich für den Generalstreik vom 20. Juni, der Minister für die Öffentliche Verwaltung Jesus Posada für versäumte Reformen, Gesundheitsministerin Celia Villalobos u.a. für ihre Vorgangsweise im Zusammenhang mit der BSE-Krise und Wissenschaftsministerin Ana Birules musste ihr Amt abgeben, weil sie in Wissenschaftlerkreisen offen abgelehnt wurde.
Mit der neuerlichen Regierungsumbildung, der vierten in der sechsjährigen Amtszeit von Jose Maria Aznar, verbleiben nur mehr vier seiner Minister von 1996 im Amt: der zweite Vizeregierungschef, Industrieminister Rodrigo Rato, Mariano Rajoy, der zum Nachfolger Aznars bei den Wahlen im Jahr 2004 aufgebaut werden soll, Finanzminister Francisco Alvarez Cascos und Josep Pique. Pique und Rajoy wechseln von ihren bisherigen Ressorts in ruhigere Ministerien, um ihre Chancen bei künftigen Wahlen nicht zu gefährden.
Oppositionschef Jose Luis Rodriguez Zapatero, dessen sozialistische Partei (PSOE) in den jüngsten Meinungsumfragen den Abstand zu der regierenden Volkspartei verkleinern konnte, beurteilte die Regierungsumbildung skeptisch. "Es hilft wenig, die Schauspieler auszutauschen, wenn das Drehbuch gleich bleibt" meinte er. Die Veränderungen, die Aznar zur Hälfte der Legislaturperiode nun vornehme, zeigten nur den raschen Verfall der regierenden Volkspartei, die sich schon seit langer Zeit in der Krise befinde.
Politische Beobachter meinten, dass Aznar in den sechs Monaten seiner EU-Präsidentschaft mehr Prestige erlangt habe als in den sechs Jahren seiner Regierungszeit und dass jetzt das Image seiner Regierung zu bröckeln beginne. Aznars großer Joker - ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum - komme ins Stocken. Finanzskandale bei spanischen Großbanken und die starken Auswirkungen der Wirtschaftskrise in Südamerika auf spanische Unternehmen sowie unpopuläre Arbeitsmarktreformen setzen der spanischen Wirtschaft hart zu. In dieser Krisensituation habe Aznars Regierung oftmals sehr forsch reagiert und den einzelnen Ministern wurde arrogante Amtsführung vorgehalten. Aznar habe deshalb vor seinem Bericht an die Nation und die Debatte darüber, die in der kommenden Woche stattfinden soll mit der großen Regierungsumbildung einen Paukenschlag setzen wollen.