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Babtschenko, der Mann, der sich Gehör verschafft

Von Alexander U. Mathé

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Mit seiner Kritik an Politik und Staat hat sich ein russischer Blogger viele Feinde gemacht. Jetzt drohen ihm zwei Jahre Gefängnis.


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"Menschen in Moskau wollten mir nicht zuhören, also habe ich geschrieben." Es gibt vieles, das die Menschen von Arkadi Babtschenko nicht hören wollen; vieles, das vor allem die Regierung nicht hören will, doch der russische Blogger publiziert seine Ideen trotzdem. Wegen eines seiner Einträge im Internet droht dem 35-Jährigen jetzt eine zweijährige Haftstrafe.

Als Babtschenko 18 Jahre alt war, wurde er zum Militärdienst herangezogen. Wenige Monate später kämpfte er im ersten Tschetschenien-Krieg. Nach vier Jahren kehrte er nach Moskau zurück und heiratete, doch seine Seele war krank geworden. "Ich musste schreiben, das war das einzige Heilmittel, sonst hätte ich zu trinken angefangen", sagt Babtschenko rückblickend. Er studierte Jus und wurde Journalist für die Zeitung "Nowaja Gaseta", für die auch Anna Politkowskaja arbeitete, die in Sachen Korruption und Tschetschenien recherchierte und am Geburtstag von Präsident Wladimir Putin ermordet wurde.

2007 schrieb sich Babtschenko in einem Buch seine Erlebnisse im Tschetschenien-Krieg von der Seele. "Die Farbe des Krieges" ist eine Art russische Version von Joseph Hellers Buch "Catch 22" über die Absurdität des Krieges und die Dummheit der Militär-Maschinerie. Er beschreibt darin, wie die Soldaten völlig unvorbereitet und schlecht ausgestattet in den Krieg geschickt werden und der brutalen Willkür der Vorgesetzten ausgeliefert sind. Doch Worte wie Krieg, Tschetschenien oder Leichen hört man in Russland nicht gerne. Kaum jemand liest dort sein Buch.

Arkadi Babtschenko.
© © privat

Vor den international umstrittenen russischen Präsidentschaftswahlen in Russland Anfang März rief Babtschenko auf Russlands beliebtester Blog-Plattform, LiveJournal, dazu auf, das Stadtzentrum zu besetzen und zu halten, ganz nach dem Vorbild der westlichen "Occupy"-Proteste. Jeder, der "ein Russland ohne Putin" wolle, solle daran teilnehmen. "Wir brauchen ein Maidan", schrieb er mit Verweis auf die Orange Revolution in der Ukraine 2004.

Benutzten die Menschen in UdSSR-Zeiten noch Samisdat, also heimlich in Eigenverlag produzierte Schriften, um inoffizielle und regimekritische Thesen zu verfassen, so ist heute das Internet an deren Stelle getreten. Die besagten Internet-Einträge haben Babtschenko nun eine Anzeige wegen "Aufrufs zu Massenunruhen" eingebracht. Im Fall einer Verurteilung drohen ihm zwei Jahre Haft. "Es ist wie 1937", sagt der Blogger und verweist auf die Stalin-Ära. "Sie wollen mich ins Gefängnis stecken. Sie wollen mich zum Schweigen bringen." Sodass auch niemand mehr, der will, Babtschenko hören kann.