US-Forscher: Coronavirus-Pandemie könnte sogar bis 2022 Perioden der Distanzierung erfordern.
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US-Forscher gehen davon aus, dass die Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus die Welt weitaus länger beschäftigen könnten als anfangs erwartet. Das Team um Stephen Kissler von der Harvard T. H. Chan School für öffentliche Gesundheit in Cambridge, Massachusetts, rechnet damit, dass bis 2022 immer wieder Phasen von sozialer Distanz notwendig sein könnten.
Eine einzige solche Periode dürfte nicht ausreichen, um die Verbreitung des Virus Sars-CoV-2 mittelfristig auf einem für die Krankenhäuser zu schulternden Niveau zu halten, berichten die Forscher im Fachmagazin "Science" anhand von Berechnungen auf der Basis der Verbreitung und Maßnahmen in den USA. Eine massive Häufung von Erkrankungen in den USA würde Kliniken an ihre Belastungsgrenzen bringen oder überfordern, wie es derzeit der Fall sei, schreiben die Forscher. Maßnahmen, wie Abstand halten oder Ausgangsbeschränkungen, flachen die Infektionskurve ab. Bis es eine Impfung oder ein effektives Medikament ohne allzu schwere Nebenwirkungen gibt, müssten immer wieder Phasen der Distanz verhängt werden.
Ausgangsbeschränkungen immer wieder nötig
Die Studie der Wissenschafter basiert auf Computermodellen, die davon ausgehen, dass Covid-19 wie die gewöhnliche Grippe künftig saisonal auftreten könnte, und zwar mit höheren Ansteckungsraten in den kälteren Monaten.
Obwohl in Österreich und anderen Ländern Europas die Zeichen bereits auf Lockerung stehen, bedeutet Lockerung noch nicht Freiheit wie früher. Österreich war mit seinen früh eingeführten strengen Einschränkungen sehr erfolgreich, konnte die Zahl der Neuinfektionen senken und hat ausreichend Kapazitäten an Intensivbetten. Experten sind dennoch der Ansicht, dass uns die Maßnahmen auch hierzulande länger beschäftigen werden als gehofft. Erst in Abhängigkeit vom Grad der Immunität in einer Bevölkerung könne man entscheiden, die Maßnahmen endgültig zu lockern, sagt etwa die Wiener Virologin Ursula Wiedermann-Schmidt. Das einzige echte Exit-Szenario sei eine Impfung. Bis dahin müsse das Geschehen äußerst engmaschig beobachtet werden, betont der Grazer Gesunsheitsexperte Martin Sprenger (die "Wiener Zeitung" berichtete).
Als das Coronavirus sich ausgehend von China weltweit verbreitete, setzte ein Land nach dem anderen harte Maßnahmen. Wirtschafts- und Gesellschaftsleben wurden in Pause geschickt, Schulen in 188 Ländern geschlossen, Grenzen gesperrt. Asien und zunehmend Europa haben die Kurve gekratzt. Doch wie kommen sie aus der Situation wieder heraus? "Wir haben ein Rettungsboot erklommen. Unklar ist, wie wir ans andere Ufer kommen", wird der Harvard-Epidemiologe Marc Lipsitch in einer Aussendung seiner Universität zitiert. Man müsse Interessen der Gesundheit, Freiheit und Wirtschaft triangulieren. Doch während Intensivbetten, Infizierte, Genesene und Todesfälle sich zählen lassen, "existiert kein wissenschaftlicher Konsens, wie ein Shutdown am besten zu lockern ist", sagt seine Kollegin Caroline Buckee. Die meisten Wissenschafter sind sich einig, dass die Öffnung eine lange Phase von Versuch und Irrtum sein müsse, deren wichtigste Kenngröße sei, dass jede infizierte Person weniger als eine weitere ansteckt. "Wir müssen Babyschritte machen", sagt die New Yorker Infektologin Megan Coffee von der New York University, die an der Studie nicht beteiligt war, zu "Science".
Allerdings gibt es noch viele unbekannte Faktoren, etwa wann wirksame Medikamente oder ein Impfstoff verfügbar sein könnten, räumen die Studienautoren ein. Unklar ist auch, ob eine Infektion mit dem Virus bei bereits genesenen Patienten zu Immunität führt und wie lange diese anhält. Zudem muss sich weisen, ob das Virus bei sommerlichen Temperaturen genau so gut, besser oder schlechter überlebt.(est)