"Gratisstudium mit sozialer Gerechtigkeit nicht konsistent." | Aufmachen des Hochschulzugangs "völliger Wahnsinn". | "Wiener Zeitung": Ist die Abschaffung der Studiengebühren wirklich so eine Katastrophe? Vor zehn Jahren gab es auch keine Studiengebühren. | Christoph Badelt: Natürlich ist die Abschaffung der Studiengebühren nicht per se eine Katastrophe. Ich persönlich halte das aber unter dem Gesichtspunkt der sozialen Treffsicherheit für keine gute Maßnahme.
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Ich spreche hier noch mehr als Professor der Sozialpolitik, weniger als Rektor. Wir wissen, dass wir in Österreich eine soziale Schieflage bei den Studierenden haben. Wir haben einen viel zu geringen Anteil an Studierenden aus unteren Bildungs- bzw. Einkommensschichten. Geld in eine wirklich gute Studienförderung zu investieren, würde daher sozial Sinn machen, in eine pauschale Abschaffung der Studiengebühren zu investieren, macht viel weniger Sinn, weil die ärmsten Studierenden schon jetzt keine Studiengebühren bezahlen und weil damit auch jene entlastet werden, für die und deren Eltern die Bezahlung kein Problem ist.
Aus den ärmeren Schichten kommen ja viele Begabte gar nicht zur Matura.
So ist es. Ich habe das immer wieder gesagt und betone das gerade in Wahlkampfzeiten, weil es hier nicht um eine einseitige Stellungnahme gegen die Sozialdemokraten geht: Es hat auch die ÖVP hier einen blinden Fleck, und der liegt in der Schulpolitik. Alle Rektoren sind davon überzeugt, dass die Öffnung des Bildungssystems im Alter von zehn Jahren auch ein weiterer wesentlicher Bestandteil wäre, um die bessere soziale Durchmischung der Studierenden zu erreichen. Auf der anderen Seite muss man sagen: Mit den Zielen der Gleichheit und Gerechtigkeit, wie sie gerade von Sozialdemokraten vertreten werden, ist das System des Gratisstudiums nicht konsistent.
Haben die Studiengebühren nicht auch einen lenkenden Effekt, der nicht gerade negativ war?
Sie haben sicher auch einen lenkenden Effekt. Deshalb glaube ich auch, dass die Entscheidung sachlich nicht gut ist. Ich sehe aber ein, dass die Studiengebühren offenbar auch hohen Symbolcharakter haben, und Symbole heben dann oft von der Realität ab.
Die großen Probleme der Universitäten haben aber nicht nur Symbolcharakter?
Es geht um eine Kombination von Problemen. Das eine ist die Verbindung von Gebühren zu Finanzen, das andere von Finanzen zum Hochschulzugang.
Auch wenn man uns für das Jahr 2009 den finanziellen Entfall der Einnahmen aus den Studiengebühren ersetzt, so wird uns das Geld trotzdem fehlen, weil es ein vom Parlament ausgesprochenes Versprechen im Hinblick auf das Ziel der Uni-Finanzierung mit zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt. Das alleine kostet in der Größenordnung von 400 Millionen aufwärts ab dem Jahr 2010. Und ich habe einfach nichts davon, und das ärgert mich wirklich, wenn man uns 2009 einen Ersatz der Studiengebühren gibt und 2010 den Betrag, den man uns schon versprochen hat, reduziert oder herunterrechnet, und genau das findet jetzt statt.
Wenn man gleichzeitig den Hochschulzugang wieder weit aufmacht, auch in den überlasteten Fächern, nicht nur in der Medizin, sondern auch in Psychologie, Publizistik, Betriebswirtschaft, hat man nur zwei Möglichkeiten. Entweder man investiert massiv in die Ausweitung dieser Kapazitäten. Selbst wenn Sie sich dazu entschließen, ist das nicht von heute auf morgen möglich. Oder aber man täuscht den Menschen etwas Falsches vor: Es werden noch mehr Leute eingeladen zu kommen, und wenn sie da sind, merken sie, sie haben keinen Platz. Und das halte ich nicht für eine ehrliche Politik.
Das heißt, Sie wünschen sich in einzelnen Fächern Eingangsbeschränkungen, solange die Kapazitäten so sind, wie sie sind?
Ich wünsche mir eine Konsistenz zwischen der Zahl der Studierenden, die ins System hereingelassen werden, und der Finanzierung. Wenn es keine Ausweitung der Finanzierung gibt, dann muss ich beschränken, und das geschieht auch schon durch eine harte Auslese in der Studieneingangsphase. Dabei muss ich auch die Politiker korrigieren: Es geht nicht um eine Erhöhung der Zahl der Studierenden, sondern der Absolventen. Wir haben in diesen Fächern enorme Drop-out-Raten. Soll ich die Zahl der Studierenden erhöhen, um noch mehr Drop-outs zu bekommen?
Josef Penninger sagte dieser Tage, ein Land wie Österreich kann in der Wissenschaft nur auf Qualität, nicht auf Quantität setzen. Sehen Sie das auch so?
Ich glaube, wir müssen unterscheiden, von welcher Stufe des Ausbildungsniveaus wir reden. Wir müssen schauen, dass mehr Menschen zu einem akademischen Abschluss kommen, vor allem in den technisch-naturwissenschaftlichen Bereichen. Wir brauchen eine Quantität an Bachelors, natürlich auf möglichst hohem Niveau. In der Spitzenforschung brauchen wir dann die Konzentration auf wenige Bereiche, wo wir gut sein können. Was mich stört: Ein Teil dieser Budgeterhöhung für das Zwei-Prozent-Ziel wäre die Exzellenzförderung. Die Programme dafür liegen in der Schublade. Aber leider gibt es noch kein Budget dafür und daher auch keine Ausschreibung.
Stimmen Sie folgendem Vergleich zu: Wir möchten Spitzenschwimmer, lassen aber so viele Schwimmer ins Becken, dass für den potenziellen Markus Rogan gar keine Bahn für sein spezielles Training frei bleibt?
Das ist ein guter Vergleich. Um bei dem Bild zu bleiben: Sie zwingen den potenziellen Spitzenschwimmer, dass er irgendwo in ein privat finanziertes Bad geht, das ihm ein Reicher zahlt. Das heißt, er geht ins Ausland.
Wenn alles so kommt, wie es beantragt wurde, welche Unis trifft das besonders? Was bedeutet es für die Wirtschaftsuniversität Wien?
Wenn der Antrag, so wie er eingebracht wurde, Gesetz würde und sonst nichts passiert, erwarte ich eine Zunahme der Knappheitsprobleme an der WU: Noch mehr Studierende an der WU, noch höhere Drop-out-Raten, und ich fürchte um den internationalen Ruf der WU, wenn wir nicht wenigstens eine qualitative Zugangsregelung bei den Master- und Doktoratsstudien bekommen. Anderseits: Ein nicht unwesentlicher Teil des Antrags besteht darin, Finanzierungszusagen zu machen, ohne dass sie irgendwie budgetär belegt sind. Erst nach den Wahlen wird sich dann zeigen, was im Budget steht. Wenn ein Finanzminister nicht mehr Geld hat, ist die Gefahr, dass er das Gesetz erfüllt, weil er es erfüllen muss, und dann bei den Ermessensausgaben zurückfährt oder nicht erhöht. Und dann sind wir beim Ausgangspunkt: Es würde das Geld fehlen, und die Bedingungen würden sich verschlechtern.
Noch viel dramatischer als an der WU sind die Verhältnisse in der Medizin, in der Psychologie und Publizistik und überall dort, wo es das Problem des Hereinströmens von deutschen Studierenden gibt. Sprechen Sie zum Beispiel mit dem Rektor der Salzburger Universität, an die viele Deutsche kommen, was es bedeutet, wenn wir die Gebühren abschaffen und den Zugang aufmachen: Das ist völliger Wahnsinn.
"Es geht nicht um eine Erhöhung der Zahl der Studierenden, sondern um eine Erhöhung der Zahl der Absolventen."