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Stevia ist bisher in Österreich nur für Kosmetika erlaubt. | Industrie scharrt in den Startlöchern.
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Wien. Stevia war bisher in Österreich nur als Badezusatz in Bioläden erhältlich. Bis Jahresende soll der Süßstoff, der bis zu 300 Mal süßer ist als Zucker, als Lebensmittelzusatz in der EU zugelassen werden. Die Mitgliedsländer haben diese Woche den Vorschlag der EU-Kommission abgesegnet, nun muss noch das Europaparlament zustimmen.
Das in Europa kaum bekannte „süße Kraut” wird im Herkunftsland Paraguay seit Jahrhunderten verwendet. In Japan ist Stevia seit 1976 in Lebensmitteln zugelassen, in den USA, Australien und Neuseeland seit 2008. Frankreich ist innerhalb der EU 2009 vorgeprescht. In der EU hat sich die Zulassung über Jahre gezogen - dahinter wird Lobbying der chemischen Süßstoffindustrie vermutet.
Stevia bisher umstritten
Bis zum Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) 2010 galt Stevia als umstritten. Zitiert wurde eine US-Studie, die den Süßstoff als krebserregend einstufte. Kritiker führen aber ins Feld, dass den Ratten bei Versuchen zu hohe Dosierungen verabreicht wurden.
Nun wird der Süßstoff von der Efsa - bis zu einer bestimmten Tagesdosis - als unbedenklich bewertet. Für Verbraucher wird der Zusatzstoff angepriesen, weil er angeblich keine Kalorien enthält, nicht appetitanregend wirkt und keine Karies erzeugt. Damit spricht er vor allem Gesundheitsbewusste, Diabetiker und Fettleibige an.
Birgit Beck, Ernährungswissenschafterin vom Verein für Konsumenteninformation, warnt jedoch davor, Stevia als Freibrief zum Schlemmen zu sehen: „Man sollte die Zutatenliste lesen, um zu sehen, was sonst noch im Produkt steckt.”
„Das Interesse der Nahrungsmittelindustrie ist extrem groß, weil die Gesundheitswelle auf uns überschwappt”, sagt Franz Reisenberger, der mit der gleichnamigen Handelsfirma in Perchtoldsdorf Futtermittel- und Lebensmittelzusatzstoffe vertreibt. Stevia bietet er seit 2007 offiziell als Badezusatz an. Mit der Universität für Bodenkultur entwickelt die Firma auf Produkte abgestimmte Steviamischungen. Laut eigenen Angaben hat Reisinger bekannte Firmen aus der Lebensmittelindustrie, etwa Molkereien, als Partner an Bord.
Stevia eignet sich vor allem für Joghurt, Fruchtmischungen, Eistee, Molkegetränke, Marinaden und Backwaren. Die ersten Lebensmittel mit Stevia in Österreich erwartet Reisinger schon wenige Monate nach der Zulassung. Den Nachteil von Stevia - ein bitterer Beigeschmack, ähnlich wie Lakritze - hat Reisenberger laut eigenen Angaben schon weggebracht. Sein Ziel ist, in einer Pilotanlage, die in Österreich gebaut werden soll, Bio-Süßstoff aus Stevia herzustellen.
Auch die Agrana stellt sich auf die Zulassung von Stevia in der EU ein: Der Frucht-, Stärke- und Zuckerkonzern ließ Studenten der FH Wieselburg Marketingstrategien für Fruchtzubereitungen und Ideen für Produkte mit Stevia entwickeln. Die Tochterfirma Instantina produziert neben künstlichen Süßstofftabletten auch Steviatabletten für die Schweiz und Australien.
„Hype ist übertrieben”
„Der Hype um Stevia ist weit übertrieben”, meint Michael Blass vom Fachverband der Lebensmittelindustrie in der Wirtschaftskammer Österreich. Stevia sei nur ein Süßstoff in einer ganzen Palette. Ähnlich sieht das die Agrana: Schon bei der Entwicklung anderer Süßstoffe habe man das Aus bestehender Süßstoffe erwartet. Die Prognosen sind nicht eingetreten, die neuen Süßstoffe konnten aber Marktanteile erobern. So werde es wahrscheinlich auch mit Stevia sein. Nach Zahlen des Marktforschers Profound betrug der Markt für Intensivsüßungsmittel 2010 weltweit rund 1,3 Milliarden US-Dollar.
Die Rübenbauern sehen das „süße Kraut” als Bedrohung, aber nicht als große. „Stevia wird uns wahrscheinlich einige Prozent beim Zuckerverbrauch wegnehmen”, erwartet Josef Pinkl, Geschäftsführer des Rübenbauernbundes für NÖ und Wien. Auf Stevia-Anbau umzusteigen ist derzeit kein Thema - es werden aber bereits Sorten gezüchtet, die Frost aushalten.
Innerhalb Europas bauen Spanien, Griechenland und Kroatien Stevia an - die größten Flächen liegen aber in China, das allein über 20.000 Hektar von 25.000 Hektar Anbauflächen weltweit verfügt, wie Zahlen aus 2009 von der Stelle für Investitionen und Export in Paraguay zeigen. Das Ursprungsland Paraguay liegt mit 1700 Hektar längst weit abgeschlagen auf Platz zwei.