30.000 Substanzen müssen registriert werden. | Weitere Erleichterungen für Industrie. | Brüssel. Alle 30.000 derzeit in Europa im Umlauf befindlichen Chemikalien müssen registriert werden. Darauf einigten sich gestern, Dienstag, die Wirtschaftsminister der EU-Länder nach jahrelangem Tauziehen.
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Bisher gibt es über die Stoffe, die uns jeden Tag umgeben, keine Datensammlung. Ihre Auswirkung auf den Menschen ist weitgehend unbekannt. Um das zu ändern, hat die EU-Kommission bereits 2003 einen umfassenden Vorschlag zur Registrierung, Bewertung und Zulassung der Chemikalien ("Reach") vorgelegt. Ein Drahtseilakt zwischen Umwelt- und Gesundheitsschutz und möglichst geringen Belastungen für die chemische Industrie musste geschafft werden.
Nach Registrierung auch Zulassung leichter
Schon vor einem Monat hatte das Europäische Parlament den Produzenten deutliche Erleichterungen bei der Registrierung zugestanden. Jetzt lockerten die Minister auch die Bestimmungen für die Zulassung. Vor allem dass besonders gefährliche Stoffe, die etwa Krebs erregen oder das Erbgut schädigen, nicht mehr grundsätzlich ersetzt werden müssen, ärgert Umwelt- und Verbraucherschutzgruppen.
Könnten riskante Chemikalien nämlich "adäquat kontrolliert" werden, sollen sie nun auch zugelassen werden. Dann ist auch die so genannte Substitution nicht mehr verpflichtend.
Der Vorschlag des Parlaments, die Zulassung der gefährlichsten Stoffe auf fünf Jahre zu befristen, wurde von den Ministern nicht aufgegriffen. Die in Helsinki geplante Chemikalienagentur soll je nach Einzelfall zeitliche Grenzen für die Anwendung der Stoffe festlegen. Ist nach dem Stand der Technik ein Ersatz nicht in Sicht, wird vorläufig unbegrenzt zugelassen. Bei technischer Weiterentwicklung kann die Agentur aber jederzeit eingreifen.
Kompromiss bei "adäquater Kontrolle"
Als "adäquate Kontrolle" gilt nun, wenn ein Stoff "entsprechend dem Stand der Technik" behandelt wird. Erleichtert soll die Zulassung daher künftig etwa für Substanzen werden, die ausschließlich in geschlossenen Produktionskreisläufen verwendet werden und daher nie mit Menschen in Kontakt kommen.
Innerhalb von einem Jahr ab Inkrafttreten der Richtlinie - was nicht vor 2007 wahrscheinlich ist - soll die Kommission neue Bewertungsmethoden für die Wortkreation vorstellen.
Für die Registrierung hat das Parlament bereits gestaffelte Erleichterungen für Chemikalien beschlossen, die in einer Menge zwischen ein und 100 Tonnen hergestellt werden. Für Substanzen, von denen nicht mehr als 10 Tonnen importiert oder produziert werden und die nicht offensichtlich bedenklich für Gesundheit und Umwelt sind, sind geringere Dateninformationen notwendig.
Die Unternehmen müssen selbst einschätzen, ob ihre Substanz gefährlich ist. Nur für Altstoffe über 1000 Tonnen, neue und besonders bedenkliche Chemikalien ist das gesamte Registrierungsverfahren Pflicht. Nur die letzte Kategorie - etwa 1.500 Stoffe - ist auch zulassungspflichtig.
Österreichs Wirtschaftsminister Martin Bartenstein begrüßte die Einigung als "Quantensprung" für den Umwelt- und Gesundheitsschutz, Umweltminister Josef Pröll sprach von einem "gelungenen Ausgleich". Auch die Wirtschaftskammer war mit den "wichtigen Verbesserungen" zufrieden. Schließlich erspart sich die Industrie nach ersten Schätzungen etwa 60 bis 80 Prozent der ursprünglich von der Kommission veranschlagten 5,5 Milliarden Euro über 11 Jahre.
Greenpeace hofft dagegen, dass das EU-Parlament bei seiner Abstimmung in zweiter Lesung nächstes Jahr auf der verpflichtenden Substitution der gefährlichen Stoffe bestehen wird. Nur so könnte man rund 90 Milliarden Euro Kosten für Gesundheits- und Umweltschäden über die nächsten 30 Jahre vermeiden.