"Ein Experiment", nannte es Heiner Geißler, "und vielleicht ein Prototyp für später". Geißler ist Vermittler im Streit um das Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21", und die Form der Schlichtung ist tatsächlich ungewöhnlich: Die Gegner und Befürworter des Baus sitzen an einem Tisch, ihre Auseinandersetzung wird live von zwei Fernsehkanälen und im Internet übertragen. | Diese Form der Moderation ist jedenfalls ein interessanter Versuch, "auf Augenhöhe zu diskutieren statt von oben nach unten", wie der ehemalige CDU-Politiker Geißler sagte. Denn der Konflikt in der Landeshauptstadt von Baden-Württemberg war stark von dem Eindruck breiter Bevölkerungskreise genährt, hier werde über ihre Köpfe hinweg entschieden. Fehler bei der Kommunikation räumen selbst Projektbefürworter ein.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Kurios mutet aber ein Einwurf in die Debatte an, den der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Hans-Peter Friedrich machte. Der Bayer verglich Stuttgart mit Wien, wo bekanntlich gerade der Hauptbahnhof entsteht und der Westbahnhof umgebaut wird. "Es wird in Wien als Riesenevent gefeiert, die Bevölkerung wird mitgenommen und ist begeistert von diesem Projekt", glaubt Friedrich. Aber was meint er mit der "kommunikativ sehr, sehr sorgfältigen" Vorbereitung?
Anders als in Stuttgart war in Wien auch die Opposition vom Projekt angetan. Die Grünen bedauerten nur, dass es keinen Architekturwetbewerb gegeben hat - im Gegensatz zu Stuttgart übrigens. Eine "Bürgeriniative Hauptbahnhof" war nicht etwa von besorgten Anrainern gegründet worden, sondern von den Bezirksvorstehern der angrenzenden drei Bezirke. Auch als der Rechnungshof die Kostenexplosion um mehr als das Doppelte auf 1,3 Milliarden Euro bemängelte, regte sich kein Widerstand. In den Medien wurde hin und wieder die mangelhafte U-Bahnanbindung der Bahnhofes kritisiert. Die Bürger blieben ruhig.
Führen die in Wien vergleichsweise niedrigen Kosten (Stuttgart mindestens 4,1 Milliarden) zu derartigem Phlegma? Wohl eher hat es mit der oft angeführten Untertanenmentalität der Österreicher zu tun. Der Ruf "Die da oben machen eh, was sie wollen" paart sich gerade in Wien mit patriarchalischem Gehabe der Politik. Dabei hätte auch sie eine Bringschuld. "Aufklärung" im Sinne Geißlers wäre nämlich, "dafür zu sorgen, dass die interessierte Bevölkerung in der Lage ist, selbständig zu denken." Stattdessen hängt man demselben Denken an, das auch in Deutschland Konservative und Liberale umtreibt: Dass Großprojekte durch Bürger-Mitbestimmung verhindert würden. Demokratie?