Extreme Langsamkeit der Bakterien lässt Ergebnis erst nach vielen Jahren zu.
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Potsdam. "Wir haben bei dieser Fahrt extrem langsames Leben in einigen Metern Tiefe unter dem Meeresboden gefunden", fasst Jens Kallmeyer von der Universität Potsdam ein Ergebnis einer Expedition in den tropischen Pazifik zusammen. Mit dem Forschungsschiff "Knorr" des Ozeanografischen Instituts in Woods Hole, USA, war er 2009 zwischen Costa Rica, den Galapagosinseln und Hawaii unterwegs gewesen.
Hans Røy von der Universität im dänischen Aarhus, Kallmeyer und ihre Kollegen brachten eine wissenschaftliche Sensation zurück, die sie in der Fachzeitschrift "Science" schildern. Rund dreißig Meter unter dem Pazifikboden leben offensichtlich noch immer Bakterien, die bereits zu Zeiten der Dinosaurier vor 86 Millionen Jahren dort unten eingesperrt wurden.
An Bord der Knorr war ein funkelnagelneues Gerät, das einige Tausend Meter unter Wasser theoretisch bis zu 46 Meter tief in den Meeresgrund stechen und anschließend einen ebenso langen Sedimentkern nach oben holen kann. Als die Knorr von den Galapagosinseln aus auf dem Äquator nach Westen fuhr, holte die Besatzung auf einer Strecke von rund 4700 Kilometern sechs solcher Proben aus dem Pazifik.
Sauerstoff wird aufgebraucht
"Entlang des Äquators gibt es dort ein schmales Wasserband mit relativ vielen Nährstoffen, die weiter im Westen aber langsam abnehmen", erklärt Jens Kallmeyer. Dort leben im Wasser daher mehr Organismen als weiter im Norden oder Süden. Nach ihrem Tod sinken diese Lebewesen nach unten. Ein kleiner Teil von ihnen erreicht schließlich den Grund in etwa 4000 Metern Tiefe und wird mit der Zeit unter dem von oben nachrieselnden Material begraben. Langsam wächst dort daher der Meeresboden in die Höhe.
Kamen die Proben an Bord, bohrte Røy Mikroelektroden in den Kern und maß mit ihnen den Gehalt an Sauerstoff im Inneren. Im Meeresgrund leben Mikroorganismen, die das herabgefallene organische Material langsam verzehren und dabei Sauerstoff verbrauchen. Da von oben kein Sauerstoff nachkommt, brauchen sie dieses für sie lebenswichtige Gas mit der Zeit auf. Und das umso schneller, je mehr organisches Material von oben nachgeliefert wird. An den ersten beiden Bohrstellen war der Sauerstoff dann auch bereits in fünf oder sechs Zentimetern Tiefe verbraucht, in den letzten vier dagegen erst in acht oder neun Zentimetern.
Die Sensation bahnte sich an, als die Knorr nach der letzten Bohrung am Äquator Kurs nach Norden nahm und auf die Hawaii-Inseln zuhielt. Hier enthält das Pazifikwasser nur noch sehr wenig Nährstoffe, entsprechend wenig organisches Material rieselt in die Tiefe. Am dort in 5000 bis 6000 Metern unter dem Meeresspiegel liegenden Grund sammelt sich mancherorts in 5000 Jahren daher gerade einmal eine neue Schicht von einem Millimeter Dicke. Viel zu fressen finden die Mikroorganismen dort unten also nicht. Deshalb fand Hans Røy in zwei Bohrkernen noch 30 Meter tief unter dem Pazifikboden geringe Mengen Sauerstoff.
Dort unten aber wurden die Bakterien vor 86 Millionen Jahren eingeschlossen als oben auf der Erde noch Dinosaurier durch tropische Landschaften streiften. "Wir haben die Bohrkerne ähnlich wie eine Salami in kleine Scheiben geschnitten, um sie genau zu untersuchen", berichtet Jens Kallmeyer weiter. Der Forscher färbte in diesen Scheiben dann das Erbgut dort lebender Bakterien und konnte die Mikroorganismen so zählen. Noch in 20 Meter Tiefe lebten in einem Miniwürfel mit einem Zentimeter langen Kanten demnach tausend Bakterien. Da diese Mikroorganismen laufend Sauerstoff verbrauchen, rechnete Hans Røy schließlich aus: "Es dauert ein paar Hundert bis zu einigen Tausend Jahre bis ein Bakterium dort unten seine Biomasse einmal erneuert hat!"
Unvorstellbar langsam
Demnach leben die Mikroorganismen in dieser Tiefe einige Tausend Mal gemächlicher als die allerlangsamsten Bakterien, die am Rande ihres Existenzminimums in den Labors von Forschern an der Oberfläche wachsen. "Vermutlich reparieren sie mit diesem Supermini-Umsatz nur die Fehler, die sich in dieser Zeit in ihrem Organismus einstellen", mutmaßt Kallmeyer. An Vermehrung ist bei diesem Tempo kaum zu denken.
Natürlich wäre es interessant, dieses extrem langsame Leben genauer zu studieren. Das ist allerdings äußerst langwierig. Als ein Kollege von Kallmeyer solche Bakterien in seinem Labor züchtete, registrierte er jedenfalls zwölf Jahre später gerade einmal die ersten zarten Hinweise, dass sich in den Kulturen etwas tun könnte. "Daher verstehen wir eigentlich gar nicht, wie das Leben dort unten abläuft", fasst der Wissenschafter die bisherigen Ergebnisse zusammen. Sicher ist nur, dass die Bakterien unvorstellbar langsam sind.