Über 100 gefärbte Keime im Repertoire. | Fünf Porträts im Naturhistorischen Museum ausgestellt. | Wien. Die Tiegel seiner Malerpalette sind Petrischalen: Glasbehälter mit einer Nährlösung, auf der einzellige Organismen mit unterschiedlichen Farbnuancen kultiviert und herangezüchtet werden. Der Wiener Bacteriograph Erich Schopf hat eine Weltneuheit erfunden - er malt mit bunten Bakterien. Am Sonntag hat er fünf Porträts renommierter Mikrobiologen dem Naturhistorischen Museum Wien geschenkt, wo diese künftig im Mikrokosmos-Saal bewundert werden können. Unter Schweizer Sammlern werden seine Gemälde um bis zu 56.000 Euro gehandelt.
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"Mein Ensemble zählt 105 Schauspieler", sagt Schopf und meint damit die einzelnen Bakterienarten, die auf seinen Bildern bestimmte Farben erzeugen. Der selbsternannte Bacteriograph, der hauptberuflich als Fleischhygieniker an der Veterinärmedizinischen Universität Wien tätig ist, lässt seine Werke durch die Organismen wachsen und bezeichnet sich selbst als Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Kunst.
Er taucht den feinen Pinsel in eine vorerst noch durchsichtige Lösung aus Wasser und Bakterien und führt ihn mit gezielten Strichen über das Blatt. "Das Papier ist der Nährboden, auf dem die bunten Bakterienkulturen heranwachsen", erklärt Schopf.
Jeder Einzeller trägt seit seiner Aufnahme in die Farbpalette einen Code, den der Bacteriograph auf einem Entwurf des geplanten Werkes vermerkt. Anhand dieser Zahlenkombinationen trägt Schopf die entsprechenden Bakterien-Lösung auf, was bis zu 17 Stunden in Anspruch nehmen kann. Nach etwa zwei Tagen hat sich das farblose Bild in ein bunt leuchtendes Gemälde verwandelt.
Wann es fertig ist, bestimmt der Meister: Zehnstündiges Erhitzen bei 100 Grad Celsius tötet alle Bakterien ab - und das Gemälde ist fixiert. Auf diese Weise sind schon unzählige Bilder etwa von Landschaften und ausbrechenden Vulkanen sowie Porträts und Aktzeichnungen entstanden.
Wilde Machtkämpfe und ausgeprägte Starallüren
"Inspiriert hat mich eine wunderschöne rote Bakterien-Kolonie", erzählt Schopf von den Anfängen der Bacteriographie. In den Labors seiner Arbeitsstätte forscht er unaufhörlich nach neuen Farben für die Palette. Seit 1999 "castet" er nun schon Keime, um zu entscheiden, ob sie sich für sein Ensemble eignen.
"Auch Bakterien sind eigene Persönlichkeiten", so der Fleischhygieniker, "manche zeigen sogar ausgesprochene Starallüren." Erst wenn das Umfeld - die genaue Zusammensetzung des Nährbodens und die Temperatur - passt, entwickeln sich die Bakterien und bilden die farbgebenden Carotinoide, Pyrol- oder Indolfarben aus.
Sogar Sympathien und Antipathien entwickeln sich innerhalb dieses Teams. Wahre Machtkämpfe können während der Entstehung des Werkes mitverfolgt werden, manche Bakterien gehen sichtbar auf Distanz: Und umgeben sich mit einer Schutzhülle aus Antibiotika, die das Wachstum anderer Keime hemmt. Doch auch über dieses Phänomen freut sich Schopf und setzt es gezielt ein.
Seine Suche nach Ensemblemitgliedern hat Schopf bereits bis nach Grönland, Norwegen und Holland geführt. Auch die Geysire in Island blieben nicht unerforscht - und erweiterten die Farbpalette schließlich um ein braunes Bakterium. Oft bevölkern die interessanten Einzeller aber die Luft und das Wasser vor der eigenen Haustür. "Beim Autofahren halte ich die offene Petrischale in den Fahrtwind", erzählt Schopf, "unzählige Organismen fangen sich darin."
Die Wahrscheinlichkeit eines Neufundes in der Luft setzt der Bacteriograph mit 1:7000 an, jene im Wasser mit 1:3000. Letzteres untersucht er mit Begeisterung in den steinernen Weihwasserkesseln von Kirchen, "weil diese selten gesäubert werden - was die Biodiversität erhöht." Mit Bakterien aus Kirchen fertigt Schopf bevorzugt Gemälde mit sakralen Motiven an.
Je mehr Bakterien gefunden werden, desto vielfältiger gestalten sich schließlich die Bilder, die laut Schopf nie vom Menschen alleine geschaffen werden können.