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Balancieren entlang des Abgrunds

Von Ronald Schönhuber

Politik

Kompromiss-Angebot der Republikaner dürfte US-Finanzstreit nur aufschieben.


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Washington. In der 1993 ins Kino gekommenen Action-Komödie "Last Action Hero" gibt es eine Szene, in der der von Arnold Schwarzenegger verkörperte Held mit seinem Auto in einer Sackgasse gestellt wird. Die Verfolger warten am anderen Ende, jeder Ausweg scheint versperrt. Während sich sein jugendlicher Begleiter vor Angst im Sitz vergräbt, bleibt Schwarzenegger ruhig und erklärt die Logik des sogenannten Schisshasen-Spiels: Wenn zwei Autos mit hoher Geschwindigkeit aufeinanderzufahren, wird einer der beiden Fahrer es schließlich mit der Angst zu tun bekommen und ausweichen. Der Trick ist also nur, nicht der Erste zu sein, der zurückzuckt.

Im seit Wochen festgefahrenen Streit um das US-Budget und die Anhebung der Schuldenobergrenze, die durchaus einem solchen Schisshasen-Spiel gleicht, scheinen es jedenfalls die Republikaner zu sein, die kalte Füße bekommen haben. Die Grand Old Party denke darüber nach, einer kurzfristigen Anhebung der Schuldenobergrenze zuzustimmen, verlautete die Parteispitze unmittelbar vor dem Treffen mit Präsident Barack Obama am Donnerstag. Damit könnte die dringend benötigte Zeit für weitere Verhandlungen gewonnen werden, denn ohne eine zumindest vorläufige Einigung droht der größten Volkswirtschaft der Welt die Zahlungsunfähigkeit - ein Ereignis, das wohl gewaltige Schockwellen um den gesamten Globus schicken würde.

Doch die Unsicherheit könnte nur aufgeschoben sein, denn welches Volumen die Aufstockung haben könnte, blieb vorerst unklar. Die USA könnten vielleicht wieder für einige Monate Luft haben, wahrscheinlicher erscheint aber, dass das Geld bereits im November wieder ausgeht. Unmittelbar vor dem Treffen am Donnerstag war in republikanischen Kreisen nämlich nur von einer Verlängerung um sechs Wochen die Rede. Unklar war zudem auch, ob die Republikaner, die mit der Blockade vor allem Obamas Gesundheitsreform verhindern wollten, an die kurzfristige Aufstockung Bedingungen knüpfen, etwas, das der Präsident zuvor strikt abgelehnt hatte. Der Vorstoß der Republikaner sei aber ein "ermutigendes Zeichen", sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney. Obama würde eine Langzeit-Lösung zwar vorziehen, sagte Carney. Doch allen Beteiligten ist klar, dass die Vertagung der bedrohlichen Frist vom 17. Oktober zumindest vorerst den finanzpolitischen Sprengstoff aus der Debatte nehmen könnte.

Geldversorgung bedroht

Damit scheint es also durchaus möglich, dass die um ihre Reputation besorgten Republikaner - sechs von zehn Amerikanern geben ihnen die Schuld am Finanzstreit - nur kurz das Lenkrad verrissen haben, um kurz darauf wieder mit Vollgas auf ihren Gegner zuzusteuern. Nicht ausschließen will man den Crash offensichtlich im US-Finanzministerium und in der Notenbank Fed. Insidern zufolge werden in beiden Institutionen bereits Krisenpläne geschmiedet, um im Fall der Zahlungsunfähigkeit die erwarteten drastischen Auswirkungen auf Wirtschaft und Finanzmärkte abzumildern.

Primäre Aufgabe dabei dürfte es vor allem sein, die kurzfristige Geldversorgung am sogenannten Repo-Markt sicherzustellen. Auf diesem als besonders sensibel geltenden Markt, den Banken nutzen, um sich kurzfristig Kapital von anderen Banken oder großen Geldmarktfonds zu beschaffen, war die Nervosität zuletzt deutlich angewachsen. Die Zinssätze für sogenannte Übernachtkredite kletterten am Mittwoch auf den höchsten Stand seit fünf Monaten. Schatzwechsel des US-Finanzministeriums, die häufig als Sicherheit für solche Geschäfte hinterlegt werden, werden mittlerweile von vielen Marktteilnehmern nicht mehr akzeptiert.

Ein Austrocknen des Repo-Marktes, auf dem sich 2008 die bevorstehende Finanzkrise als Erstes abgezeichnet hatte, hätte sowohl für die Kreditmärkte wie auch die gesamte Wirtschaft weitreichende Folgen. Wenn sich die Banken gegenseitig kein Geld mehr borgen, bekommen auch Unternehmen keine Kredite mehr. Auch der private Konsum, der in den USA stark kreditfinanziert ist, dürfte stark einbrechen.

Neben dem Repo-Markt dürfte die Aufmerksamkeit der Notenbank und des Finanzministeriums vor allem den fällig werdenden Zahlungsverpflichtungen gelten. Als die USA 2011 ähnlich bedrohlich auf die Schuldenobergrenze zusteuerten, wurden im Finanzministerium mehrere Möglichkeiten in Betracht gezogen, um sich über Wasser zu halten. Zur Diskussion standen damals neben dem Verkauf von Finanzmarkt-Assets vor allem die Erstellung einer Prioritätenliste bei den Zahlungen. Allerdings musste das Finanzministerium in einem Bericht kurze Zeit später einräumen, dass es bei 80 Millionen Zahlungen pro Monat keinen fairen Weg der Auswahl gebe. Tatsächlich scheint die Frage, ob die Truppen in Afghanistan, die Rentner oder die Anleihenbesitzer in China zuerst ihr Geld bekommen sollen, nur schwer lösbar.

Angst vor Anleihen-Run

Noch viel schwieriger bis gar nicht bewältigbar dürfte allerdings ein eventueller Gläubiger-Sturm sein, der selbst die Bank-Runs der Großen Depression in den Schatten stellen würde. Jede Woche können Investoren etwa 100 Milliarden Dollar an US-Anleihen eintauschen oder wieder neu anlegen. Sollten sie Geld sehen wollen, könnte das Finanzministerium innerhalb von Stunden pleite sein. Die diesbezügliche Stimmung lasse sich nicht vorhersagen, sagt der Analyst Brian Collins vom Bipartisan Policy Center.

Weit weniger pessimistisch wollten am Donnerstag aber immerhin die Aktienmärkte die Situation sehen. Die Hoffnung auf eine kurzfristige Anhebung der Obergrenze schickte nach den asiatischen Indizes den Dax und den Dow Jones nach oben.