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"Bald auch wir"

Von Arian Faal

Analysen

Analyse: Ab Juni 2018 dürfen Frauen in Saudi-Arabien erstmals offiziell ans Steuer. Ein Neubeginn mit Hindernissen.


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Riad/Wien. Mit Kommentaren wie "Bald auch wir", "Endlich vom Mittelalter im Jahr 2017 angekommen", "Ein Tropfen auf den heißen Stein" oder "Ein kleiner Anfang, aber es gibt noch viel zu tun" reagierten die Frauen in Saudi-Arabien in sozialen Medien auf die geplante Aufhebung des Fahrverbots für das weibliche Geschlecht ab Juni 2018. "Wir haben es geschafft", jubelte auch die saudi-arabische Menschenrechtsaktivistin Manal al-Sharif auf Twitter. Sie hatte 2011 die Protestbewegung gegen das Fahrverbot für Frauen, "Women2Drive", ins Leben gerufen. Andere spotteten über ultrakonservative Geistliche, die sich so lange Zeit erfolgreich gegen ein Ende des Verbots gewehrt hatten - unter anderem mit dem Argument, wonach Frauen am Steuer die sexuelle Freizügigkeit fördern oder ihre Eierstöcke beschädigen würden. Menschenrechtsaktivisten haben somit einen 30 Jahre andauernden Kampf mit der ultrakonservativen saudischen Führungselite gewonnen. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres lobte den "Schritt in die richtige Richtung". Amnesty International feierte den "Mut der Aktivistinnen", deren jahrelanger Kampf das Umdenken erst ermöglicht habe.

"Vordenker im Nahen Osten"

Diesem positiven Tenor schloss sich auch US-Präsident Donald Trump an, der von einem "positiven Schritt zur Förderung der Rechte und Möglichkeiten von Frauen" sprach. All dieses Lob für das Vorhaben soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frauen im Königreich in ihrem Alltag noch immer zahlreichen Restriktionen unterworfen sind (siehe Kasten). Der Zeitpunkt für diesen "revolutionären Schritt" ist bewusst gewählt, denn im wahhabitischen Königshaus steht demnächst ein Thronwechsel bevor. König Salman wird im Dezember 82 Jahre alt und leidet dem Vernehmen nach an Demenz im fortgeschrittenen Stadium. Schon seit einigen Monaten führt deswegen sein Sohn, Kronprinz Mohammed bin Salman, das operative Tagesgeschäft und besetzt auch die Schlüsselpositionen im Land mit seinen Vertrauten. Besonders am Herzen liegt dem Kronprinz die sogenannte "Vision 2030". Im Rahmen dieses Prestigeprojektes will Riad seine Wirtschaft und Gesellschaft umfassend modernisieren und ins dritte Jahrtausend führen. Der 32-jährige Kronprinz sieht sich als "Vordenker im Nahen Osten" und will die absolutistische Monarchie, in der mehr als die Hälfte der 32 Millionen Einwohner jünger als 25 Jahre alt sind, auf die Zeit vorbereiten, in der die Öleinnahmen nicht mehr so fließen werden wie bisher. Und das wird aller Voraussicht nach ab 2030 der Fall sein. Daher nimmt die von den Hardlinern im erzkonservativen saudischen Königreich seit Jahren verfluchte Umsetzung der "Vision 2030" Konturen an. Als König Salman die Regierung angewiesen hat, Regularien zu erarbeiten, nach denen sowohl Männern als auch Frauen Fahrerlaubnisse erteilt werden sollen, wurde den Regierungsbeamten klar, dass ein neues Zeitalter angebrochen ist. In der Vergangenheit waren häufiger Frauen vorübergehend festgenommen worden, wenn sie von der Polizei am Steuer erwischt worden waren. Der konservative islamische Klerus hatte sich beharrlich gegen jede Lockerung des Fahrverbots für Frauen ausgesprochen.

Das hochrangige Komitee verschiedener Ministerien, das für die Umsetzung der Aufhebung des Verbots zuständig ist, wird Salman einen Bericht vorlegen und hierfür die Neuerung prüfen. Dabei geht es einerseits um die negativen Auswirkungen, die es mit sich bringt, Frauen nicht fahren zu lassen, und andererseits um die positiven Aspekte, die diese Erlaubnis mit sich bringt. Wichtigster Passus in der Anweisung des Königs: Der Staat als Hüter der Werte muss weiterhin die Sicherheit der Gesellschaft garantieren. Neben der Aufhebung des Fahrverbotes für Frauen sieht die "Vision 2030" auch andere Lockerungen für Frauen vor: Erst am vergangenen Wochenende war Frauen erstmals Zutritt zu einem Sportstadion gewährt worden, wo sie in Begleitung ihrer Familien in einem extra dafür geschaffenen Familienabteil die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag verfolgen konnten.

Kritiker sehen PR-Coup

Im Juli erlaubte das Bildungsministerium erstmals die Teilnahme von Mädchen am Sportunterricht staatlicher Schulen und ab 2018 sollen saudische Frauen auch uneingeschränkter alleine einkaufen gehen dürfen.

Trotz aller Euphorie für die behutsamen Lockerungen der Restriktionen für Frauen sprechen einige Experten von einem PR-Coup der Saudis. Sie werfen Riad vor, mit den revolutionären Ausweitungen von Frauenrechten nur vom scharfen Vorgehen der Regierung gegen Kritiker ablenken zu wollen. Im September waren erneut mehr als 20 Menschen festgenommen worden, unter ihnen einflussreiche Kleriker und Aktivisten. Außerdem ist das Königreich das einzige Land der Welt, das noch wöchentlich Enthauptungen mit dem Säbel vornimmt.

(af) In Saudi-Arabien müssen Frauen mit zahlreichen Einschränkungen leben. Hier ein Überblick:

Autofahren bisher verboten

Als weltweit einziger Staat verbietet Saudi-Arabien Frauen das Autofahren. Sie müssen immer vollverschleiert von Männern chauffiert werden. Ab Juni 2018 soll dieses Verbot fallen.

Reisen nur dann, wenn . . .

Alleingänge bei der Reiseplanung sind für Mädchen und Frauen absolut tabu. Ein (männlicher) Verantwortlicher muss seine Zustimmung erteilen. Selbst diese Erlaubnis ist an Bedingungen geknüpft.

Erlaubnis für eine Heirat
unbedingt erforderlich

Saudische Frauen dürfen nicht heiraten, wen sie wollen. Ein männlicher Verantwortlicher muss die Erlaubnis für die Vermählung erteilen und darf hierfür im Vorfeld den Bräutigam und sein Umfeld "durchleuchten". Sehr oft kommt es zu einer Ablehnung.

Scheidung mit Hindernissen

Scheiden lassen darf sich eine saudische Frau nur eingeschränkt. Am Ende des Tages ist gewiss, dass sie während des Scheidungsprozesses und auch hinsichtlich der Rechte den Kürzeren zieht.

Eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten

Will eine Frau in Saudi-Arabien arbeiten, muss sie ihre Beschützer und Verantwortlichen hinzuziehen. Diese bestimmen, ob sie die offene Stelle annehmen darf. Durch die streng ausgelegte Scharia (Sittenregeln und religiöse Grundlagen) kommt die Mehrzahl aller Berufe für saudische Frauen schon von Haus aus nicht infrage.

Vollverschleierung als Dogma

Drakonische Strafen gibt es für Frauen, wenn sie sich in der Öffentlichkeit nicht in Vollverschleierung zeigen. Eine Frau hat grundsätzlich keine Haut zur Schau zu stellen. Die Verschleierung hat also von Kopf bis Fuß zu erfolgen.

Kein Ausgang mit Fremden

Das Flirten im Allgemeinen und Ausgehen mit Männern, die nicht der unmittelbaren Verwandtschaft angehören, ist untersagt. An fast allen öffentlichen Plätzen gibt es eine klare Abschottung.

Frauen erben weniger

Frauen erben stets weniger als Männer, da sie vor Gericht nicht als gleichwertig angesehen werden.

Alltagshürden für saudische Frauen