In Aulnay-sous-Bois wächst die Wut der Anrainer. | Islamische Organisationen überfordert. | Aulnay-sous-Bois. Nacht für Nacht brennen in den Pariser Vorstädten Autos, Geschäfte und Kindergärten. Die Bewohner der Problemquartiere sind schockiert. Doch die Jugendlichen haben Verständnis für die Gewalt.
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"Wann wird das endlich aufhören?" Die junge Frau hat genug von der Gewalt der vergangenen Nächte. Verärgert schiebt sie den Einkaufswagen vor sich her, ihre kleine Tochter auf dem Arm.
In Aulnay-sous-Bois, eines der "heißen" Quartiere im Großraum Paris, ist die Spannung deutlich zu spüren. Auch hier brennen Nacht für Nacht Autos, Geschäfte, Lager . . . Sogar vor Schulen und Kindergärten machen die Randalierer nicht Halt. Die meisten Bewohner sind wütend. Die Gewalt richtet sich auch gegen ihre Existenz. "Bei all diesen Schäden stehen wir bald selbst auf der Straße", fürchtet ein Mann um die 40. Ihn kümmert vor allem, ob er am Ende des Monats wegen der Gewalt weniger Lohn bekommt. "Ich weiß doch gar nicht, ob die Versicherung meinem Arbeitgeber die Schäden bezahlt."
Es geht die Angst um. "Man traut sich gar nicht, laut zu sagen, dass es genug ist", sagt ein 60-Jähriger, der seinen Hund spazieren führt. "Heute Nacht könnte es mein Auto sein, das brennt", fügt eine ältere Frau hinzu.
Verständnis bei Jungen
Doch die Jugendlichen in Aulnay-sous-Bois haben Verständnis für die Gewalt ihrer Altersgenossen. Sie zeigen mit dem Finger auf den obersten Chef der Polizei. "Das ist die Schuld von Sarkozy", sagt Stéphane unter seiner Kapuze nervös. "Er hat provoziert, jetzt bekommt er die Antwort." Der Name des Innenministers ist hier ein Reizwort, seit er die Bewohner der Problemquartiere als "Gesindel" abgetan hat. Hier kam noch der Zwischenfall an der Moschee hinzu: Am Sonntag vor einer Woche explodierte vor einem islamischen Gebetssaal im Nachbarort eine Tränengasgranate. Eine Polizeipatrouille war gerade dabei, ein falsch parkendes Fahrzeug abzuschleppen. "Das hat die Revolte nur angeheizt", sagt Karima.
Hohe Arbeitslosigkeit
Doch der Zündstoff hat sich seit langem angesammelt: Schlechte Schulbildung, hohe Arbeitslosigkeit, Schwarzarbeit und Drogenhandel. "Immer mehr müssen auf das Arbeitsamt", sagt die 19-jährige Sophie. "Aber die Chancen werden immer kleiner, besonders, wenn man kein Abitur hat, so wie ich."
Die Polizei glaubt inzwischen nicht mehr, dass sich in den Vorstädten lang aufgestaute soziale Spannungen spontan entladen. Sie geht von koordinierten Aktionen aus. Über Internet würden die Pläne für die nächste Nacht verabredet, und zwar nicht mehr nur in den Vorstädten von Paris. Doch einstweilen kennt sie nicht einmal die jugendlichen Täter.
Auch die islamischen Organisationen sind überfordert. "Das ist das erste Mal, dass ich so etwas sehe", sagt Mohamed Ait Hammou Hassi, Präsident der Kulturellen Vereinigung der Moslems von "La Rose des Vents", einem der Viertel von Aulnay-sous-Bois. "Was können wir tun, wenn wir nicht einmal verstehen, was da geschieht?", fragt er ratlos. Die Vereinigung hätte die Eltern aufgefordert, mit ihren jugendlichen Kindern zu sprechen. Auch im traditionellen Freitagsgebet wurde dazu aufgefordert, die Gesetze einzuhalten.
Marsch gegen Gewalt
Diesmal seien 2000 Gläubige gekommen. "Ich hoffe, sie haben die Botschaft des Imams gehört", sagt der Vertreter der Moslems im Quartier.
Am Samstag haben die Bewohner von Aulnay-sous-Bois offen gegen die Gewalt protestiert. Auf Einladung ihres Bürgermeisters, Gérard Gaudron, versammelten sie sich zu einem Schweigemarsch. Über ihnen lag noch immer der Brandgeruch der vorangegangen Nacht.