Ein groteskes Lesedrama voller Stereotypen.
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Wien. Nach einem Schiffsunglück auf der Donau irgendwo in den sumpfigen Donaulandschaften des Balkan sind die drei einzigen Überlebenden die Berliner Literaturkritikerin und Autorin Bille Bulkhaupt, der deutsche Banker und Literaturreferent der Delta Bank Adrian Faller und der Österreichische Volxsmusiker und Musikethnologe Lois K@r@w@nkinger (sic). Sie werden auf das Schiff von Skipper Svonko aufgenommen. Es gesellen sich noch weitere skurrile Personen dazu. Trader Horn, eine Art Old Shatterhand des Balkans, ein sexuell hyperaktiver Mönch und die Objektkünstlerin Flambojana Dzingiskanic. Das bunte Trüppchen schippert fortan gemeinsam die Donau entlang, um sich zu lieben, zu hassen, zu streiten, zu schlagen und sich wieder zu versöhnen.
Richard Schuberths neues Buch "Trommeln vom anderen Ufer des großen Flusses" ist eine literarische Balkanburlesque, ein groteskes Stück voller Stereotypen, die so überzeichnet sind, dass sie schon wieder wahr sein müssen. In einer Szene haben etwa die Streithähne und -hennen endlich als gemeinsames Feindbild die Türken ausgemacht, nur um sich gleich darüber zu streiten, wer denn nun den Türken mehr überlegen sei - die Slawen oder die Deutschen.
Als Form seiner Geschichte hat Schuberth das mittlerweile seltene Genre des Lesedramas, also eines Theaterstücks zum Lesen, gewählt. Gerade die dialogische Form eigne sich wunderbar zur Darstellung des "Katzbalgen der Widersprüche", erklärt der Autor seine Wahl. Schon sein letztes Werk "Als Branka sich nach oben putzte" verfasste er als gedrucktes Drama.
Schuberth verknüpft in "Trommeln vom anderen Ufer großen Flusses" zwei Narrative: das der politisch-ökonomischen und das der kulturellen Osterweiterung. Seine Anti-Helden sind Ethnologen, Kulturmanager, Rezensenten und andere sogenannte "Kulturverwerter", die ihr Kapital aus den Mythen über die überbordende Wildheit und bodenständige Echtheit des Balkan schlagen.
"Satirisch hab ich das so gedreht, dass ein sogenanntes wohlwollendes kulturelles Interesse an diesen Regionen eigentlich genauso dem Verwertungszwang unterworfen ist, wie der rein ökonomische", sagt der Autor in einem Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Auf Künstlern und Musikern aus dem Balkan herrsche ein hoher Selektionsdruck. Wer sich nicht den ethnozentristischen Vorstellungen des Publikums in Westeuropa anpasse, habe Schwierigkeiten, sich dort zu verkaufen.
Schablonen und Klischees
Schuberth spricht aus Erfahrung. Er hat lange das Musikfestival Balkanfever in Wien organisiert und kennt die Schablonen und Klischees, die über seine Acts gelegt wurden, egal wie sehr er sich in der Programmierung bemühte, auch einen mondänen, urbanen, eleganten Balkan zu zeigen. "Wenn der ORF über uns berichtet hat, dann hat man - so als hätten die nie ein Programm gelesen - wieder einen Ausschnitt von einem Bregovich Festival gezeigt, Partystimmung und durchgeknallte Typen, die ihre blonden Frauen auf den Schultern getragen haben. Und dann lief im O-Ton: ,Und jetzt ist Wien wieder drei Wochen lang im Zeichen der durchgeknallten Trompeten.‘"
Als weiteres Beispiel nennt Schuberth den Imagekatalog kroatischer Schriftsteller, den ihm ein befreundeter Autor einmal gezeigt hätte. Die Dichte von machoiden, unrasierten Typen mit halblangen fettigen Haaren, wildem Blick und Lederjacke sei auffällig hoch gewesen. "Irgendwie süß", grinst Schuberth.
In "Trommeln vom anderen Ufer des großen Flusses" wird dieser Schriftstellertypus von Dragutin Draculescu verkörpert. Er hat sich aber vom Schreiben abgewandt, um mit einer NGO-finanzierten Roma-Armee den gesamten Balkan inklusive Wien zu erobern. Der abstruse Handlungsstrang hat unter anderem den realen Hintergrund, dass in Osteuropa viele Schriftsteller in die Politik gingen, wie zum Beispiel Vaclav Havel, Vuk Drakovi oder Kriegsverbrecher und Ex-Kinderbuchautor Radovan Karadzic.
Schuberths Buch quillt über vor Querverbindungen, Anspielungen, versteckten Pointen und Doppeldeutigkeiten. Manche Charaktere nehmen ganz klar Bezug auf reale Personen. Wie etwa Lois K@r@w@nkinger, der einem berühmten österreichischen Volksmusiker, der dereinst mit dem Schiff auf der Donau gen Osten fuhr, ziemlich ähnelt. Literaturkritikerin Bille Bulkhaupt wiederum nimmt sich viele Anleihen bei der deutschen Moderatorin und Autorin Charlotte Roche, die mit ihren "Feuchtgebieten" in die Schlagzeilen kam, und in der Künstlerin Flambojana Dzingiskanic, die in ihrer letzten Installation "80 Bäuerinnen, allesamt schamvolle, gottesfürchtige Frauen, im November nackt über ihre Äcker trieb", erkennt der aufmerksame Leser eindeutig die provokanten Künstlerinnen Marina Abramovich und Tanja Ostojic. Auch historische, geografische und politische Ereignisse sind in die Balkan-Farce eingewoben und es ist für den Leser Mühe und Freude zugleich, diese zu vermuten, zu suchen und zu entdecken.
Der Glossar liest sich dementsprechend wie ein amüsantes Balkan-Lexikon. Er ist vom Autor als Fortführung eines literarischen Gesamtkonzepts gedacht. Erklärt werden hier viele Namen und Begriffe aus dem Buch, gleichberechtigt neben Kuriositäten und sogar einem Kochrezept.
Lesung im Pory & Bess
Dementsprechend schwierig ist es wohl, "Trommeln vom anderen Ufer des großen Flusses" als Theaterstück auf die Bühne zu bringen. Zunächst wird Schuberth die Balkantrommeln als Lesung inszenieren. Begleitet von den Musikern Martin Lubenov, Dimitar Karamitev und Jovan Torbica wird er am 4. April im Wiener Porgy & Bess lesen und singen und dabei alle Stereotypen über West- wie Osteuropa gleichermaßen an die Wand fahren lassen.