)
Die Hamptons, eine Ansammlung von Dörfern und Kleinstädten an der Ostküste, gelten im Sommer als Refugium der Reichen und Schönen. Doch die Idylle scheint gefährdet, seit junge New Yorker den Landstrich als Partymekka entdeckt haben.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Das mit der Mistgabel ließen die Angehörigen der örtlichen Exekutive dann doch nicht durchgehen, bei allem Verständnis. Das Gesetz durchzusetzen ist noch immer ihre Domäne, auch wenn es die tapferen Polizisten von Montauk dem Vernehmen nach einiges an Überzeugungskraft kostete, den Pensionisten, der sich seit Sommerbeginn von den "wilden Horden" umzingelt sieht, zu beruhigen. Das selbst gebastelte Schild, das er jüngst am Straßenrand aufgestellt hatte - eine von ihm fest gesetzte Geschwindigkeitsbeschränkung, darunter ein gemalter Vierzack als unmissverständliches Symbol der Folgen im Falle der Zuwiderhandlung - war dem lokalen Auge des Gesetzes nicht entgangen.

Als seine Vollstrecker im Haus des gut betuchten Rentners tatsächlich eine Mistgabel fanden, blieb ihnen dementsprechend nichts übrig, als sie, quasi vorbeugend, zu konfiszieren; unter dem Protest der Familie und der herbei geeilten Nachbarn, die ihre Solidarität mit dem Hobbyschildermaler lautstark kund taten.
"Sie können sich ja nicht vorstellen, was hier los ist", erzählten sie anschließend dem "East Hampton Star", der so züchtigen wie traditionsreichen Lokalzeitung der Region (das heutige Wochenblatt besteht seit 1885): "Diese Gegend war einmal ein Ort der Ruhe, des Rückzugs. Jetzt ist sie ein einziger Alptraum geworden."
Raser, Lärm, Müll
Mit dem beschaulichen Wochen-end-Montauk, das Max Frisch in seiner 1975 erschienenen, gleichnamigen Erzählung zum Anlass nahm, über Schreiben, Impotenz und Schwangerschaftsabbrüche zu reflektieren, hat das, was sich dieser Tage dort abspielt, wenig zu tun. Worüber sich die Bürger von Montauk heute echauffieren, will auch so ganz und gar nicht zu dem Bild passen, den sich der Rest von Amerika von dem beschaulichen Dorf macht. Nach herkömmlichen Maßstäben ist Montauk ein Kaff. Knapp 4000 Einwohner, ein Leuchtturm als Wahrzeichen, bis Ende der Sechzigerjahre diente es als Stützpunkt der US-Luftwaffe. Heute erinnert nur mehr ein unterirdischer Radarstützpunkt der Air Force an die Vergangenheit als Militärbasis. Dafür gibt es dank einer ausladenden Widmung als Naturschutzgebiet viel Wald, Wiesen und vor allem: viel Strand.
Verwaltungstechnisch gehört Montauk zur Kleinstadt East Hampton in Suffolk County, und damit ist, zumindest was den Durchschnittsamerikaner angeht, praktisch alles gesagt. Im kollektiven Bewusstsein der US-Ostküstenbewohner ist Montauk fest verankert als prominenter Teil der "Hamptons", einer unter diesem Kürzel zusammengefassten Ansammlung von Kleinstädten und Dörfern am östlichsten Zipfel von Long Island, Bundesstaat New York. Westhampton, Southampton, East Hampton, Bridgehampton - zwischen 120 und 180 Kilometer beträgt die Distanz zwischen New York City und dem gelobten Land.
Die Strände endlos und sauber, das Wasser klar, die Straßen sicher: Ein kleines Paradies auf Erden vor den Toren des großen Molochs, dementsprechend in den Sommermonaten durchwegs bewohnt von den "One Percent", den wirklich Reichen - und den ganz Reichen. Die örtliche Infrastruktur hat sich über die Jahrzehnte an die Klientel angepasst, es mangelt nicht an Golf-, Polo- und Tennisplätzen. Eine Idylle, geschaffen von der Natur, künstlich ergänzt und erhalten von einer Tausendschaft von Milli- und Billionären, die meisten aus den USA, aber auch immer mehr aus dem Rest der Welt.
Die Party beginnt am späten Freitagnachmittag im New Yorker Bahnhof Penn Station, auf der Plattform, auf der die Züge der Long Island Railroad (LIRR) abfahren. Tausende, vornehmlich junge Stadtbewohnerinnen und -bewohner füllen ab vier Uhr die Wagons, die Rucksäcke und Seitenumhängetaschen voll mit Wein, Bier (die Ausnahme) und allerlei Mixgetränken Marke Alkopops (die Regel). Zweieinhalb bis drei Stunden, je nach Zielort, dauert die Fahrt ins Grüne - und beim Ankommen sind nur mehr die wenigsten ganz nüchtern.
"Wir sind zwölf Leute, haben ein Haus im East Hampton Village gemietet, nur einen Steinwurf vom Strand entfernt", erzählt Lily Fournier. Sie ist 27, kommt aus Frankreich, arbeitet seit einem Jahr als Assistentin des Geschäftsführers einer Firma im Financial District und will am Wochenende nur eines: "Party machen!" Wie auf Kommando stimmt ihre Gefolgschaft mit ein, Prost, hoch die Tassen. Die Fahrkartenkontrolleurin gibt sich milde, "im Sommer ist es immer das Gleiche. Wir sind’s gewohnt. Solange einer eine Fahrkarte hat und nicht ausfällig wird, gibt’s kein Problem."
Endstation East Hampton, eine Landbahnhofidylle. Der erste Weg nach der Fahrt führt die LIRR-Kundschaft zur einzigen Toilette, auf dessen Tür sie von der mit zittriger Hand geschriebenen Botschaft "Obama ist ein Scheißmarxist der Amerika zerstören will" empfangen werden. Darunter hat ein anderer "Arschloch" geschrieben. Draußen warten ein halbes Dutzend Großraumtaxis darauf, die Massen auf ihre Unterkünfte zu verteilen. "Freitag und Samstag Nacht sind die schlimmsten", sagt Juan Cardona. Er gehört zu jenen Menschen, die tagsüber die Straßen vor den Villen säumen, deren Hecken und Rasen schneiden und den Pool sauber halten.
"Two Mile Horror Road"
Am Wochenende ist der gebürtige Honduraner in der Regel damit beschäftigt, leere Blechbüchsen und volle Kondome aufzuklauben. Cordona arbeitet für die Besitzer eines Anwesens an der Two Mile Hollow Road, ihre Namen will oder darf er nicht sagen. Nur so viel: "Die jungen Leute wollen ihren Spaß haben, das kann ich verstehen. Aber die Leute, die hier leben, wollen ihre Ruhe haben. Das ist ihr Recht."
Die Einheimischen haben der kleinen, links und rechts mit ausnahmslos ganz und gar herrschaftlichen Anwesen gesäumten Straße, die geradewegs zum Strand führt, den Spitznamen "Two Mile Horror Road" gegeben. Die Schuld daran geben sie den Wochenendtouristen aus der großen Stadt. Der Strandabschnitt zwischen hier und dem rund 25 Gehminuten entfernten Indian Wells Beach verwandelt sich vornehmlich am Samstag Nachmittag zu einer Art Ballermann made in USA. "Laute Musik, viel Alkohol und Drogen. Und viel Sex, hetero- und homosexueller": So fasst Aaron Orr die Atmosphäre zusammen. Er ist 23, in East Hampton Village aufgewachsen und hat mit all dem "keine Probleme, weil irgendwo müssen die Leute ja Dampf ablassen". Eine Meinung, die nicht viele Hamptons-Bewohner zu teilen scheinen.
Im benachbarten Montauk ist der Frust mittlerweile bei manchen so groß, dass sich hunderte von ihnen im "Montauk Citizen’s Advisory Committee" zusammengeschlossen haben, die meisten von ihnen Anrainer von strandnahen Clubs, Restaurants und Campinggründen, die Namen wie Navy Beach, Ruschmeyer’s, Solé East oder Surf Lodge tragen. Ihre Klagen sind seit Jahren dieselben: Lärmbelästigung, Müll, Raserei, Leute, die ihre Gehsteige und Vorgärten als öffentliche Toiletten und zum Freiluftsex nutzen. Und sie fürchten, dass ihnen das Schlimmste noch bevorsteht.
Die Sommersaison beginnt in den Hamptons im Mai, ihren Höhepunkt erreicht sie Anfang August. In diesen paar Monaten haben die Polizisten von Suffolk County, die im Rest des Jahres ein eher beschauliches Landgendarmenleben führen, alle Hände voll zu tun. "Ich wünschte, wir hätten hundert Officer mehr", klagten jüngst Edward Ecker jr., der Polizeichef von East Hampton, und der stellvertretende Staatsanwalt Patrick Gunn dem "East Hampton Star" ihr Leid. Aufgrund der vielen Beschwerden seien ihre Leute überfordert, "es sind einfach zu viele, die hier feiern wollen. Sie kommen mit Partybussen, aus den entferntesten Gegenden."
In (wochentags geführten) Gesprächen mit den Anrainern setzen sie auf das einzige Argument, das ihnen angesichts der Personalnot bleibt: Zeit. "Wir können nur warten, bis der Sommer zu Ende geht." Maßregelungen oder gar Verhaftungen halten sich aber nicht nur angesichts mangelnder Ressourcen der Exekutive in Grenzen, meint Aaron Carr: "Die Leute, die hierher kommen, um Party zu machen, sind ja nicht irgendwer. Wer in die Hamptons kommt, und sei es nur für ein Wochenende, muss Geld haben. Und das haben in der Regel nur Kids von wohlhabenden Eltern."
Gesalzene Preise
Ein Spaziergang auf der Main Street, der vom Dorfzentrum wegführenden Hauptstraße, scheint ihm Recht zu geben. Das Ambiente entspricht ungefähr dem eines Wintersportorts in einem Schweizer Steuerparadieskanton. Selbst die Preise in den Fast-Food-Restaurants sind gesalzen: ein Cheeseburger kommt auf 15 bis 20 Dollar, ein Schinken-Käse-Sandwich ist nicht unter acht zu haben.
Derlei Preispolitik sorgt quasi für eine natürliche Auslese, Motto: Wer sich die Hamptons nicht leisten kann, der sollte gar nicht erst kommen. Vom Erbe der Bauern- und Fischereifamilien, die hier von Mitte des 17. bis Anfang des 20. Jahrhunderts ihr bescheidenes Dasein fristeten, zeugen nur mehr die Namen von kleinen Pensionen und Cottages.
An den Problemen, unter denen viele Hamptons-Bewohner an den Sommerwochenenden leiden, ändert das freilich nichts. "Hier haben seit jeher Wall Street-Größen und Unterhaltungsstars, Medienleute, alter und neuer Geldadel ihre Landhäuser. Es sind vor allem deren Kinder, die für den Stress sorgen. Unter der Woche leben sie - wie ihre Eltern - in ihren Luxusapartments auf der Upper East Side oder in Greenwich Village. Am Wochenende laden sie dann ihre Freunde in die Hamptons ein, das war schon immer so. Nur hat das Ganze im vergangenen Jahrzehnt neue Ausmaße angenommen, weil es, einerseits, immer mehr wirklich reiche Leute zu geben scheint, und andererseits, weil sich ihr Verhalten geändert hat", sagt ein Künstler, der sich 1980 in East Hampton angesiedelt hat, seitdem fix hier lebt und seinen Namen nicht nennen will, weil, "ich will keine Schwierigkeiten mit den Nachbarn. Und Mitte September ist der Spuk sowieso vorbei".
Klaus Stimeder, geboren 1975 in Schärding/Inn, war Gründer und Herausgeber des Monatsmagazins "Datum" und lebt nun als Autor und Journalist in New York.