Der mittlerweile zweijährige Emil hat überlebt, weil es seine Eltern so wollten - und so durfte er am 4. August 2008 auf die Welt kommen. Selbstverständlich ist das nicht, galt doch der Bub vor dem Geburtstermin aufgrund seiner Behinderung - der Arzt hatte einen offenen Rücken diagnostiziert - rechtlich als "Schadensfall". Das bedeutet, dass Emil noch bis zum Morgen des 3. Augusts von der Mutter abgetrieben werden hätte können. Sie hätte keine Strafverfolgung befürchten müssen. Das gilt auch für den Arzt. Emil, mittlerweile von der Behinderung geheilt, würde es in diesem Fall nicht geben.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der Fall dieses Buben hat in der Folge sogar die Gerichte beschäftigt - und dabei wurden die Unzulänglichkeiten der österreichischen Rechtsprechung offengelegt. Transparent gemacht hat dies zuletzt der Oberste Gerichtshof, der urteilte, dass die Geburt eines ungewollten gesunden Kindes "kein Schaden" sei, die Geburt eines ungewollten behinderten Babys aber sehr wohl.
Der Unterschied zum Fall Emil besteht darin, dass der Bub zwar behindert, dafür aber "gewollt" war. Doch was sagt das schon aus? Für einen Arzt, der regelmäßig werdende Kinder auf "Schäden" hin untersucht, ist der Wille der Mutter unerheblich. Für ihn zählt lediglich die richtige Diagnose.
Liegt er falsch und der "Schaden" wird am Geburtstag des Babys sichtbar, droht ihm ein "Schadenersatz"-Verfahren. Liegt er richtig mit der "Schadenermessung", wird das allerdings niemand erfahren, weil sich mit der automatischen Einstufung des "Schadensfalles" als "ungewollt" meistens eine Abtreibung einstellt. Die Diagnose des Arztes kann damit nicht mehr evaluiert werden - und er geht auf jeden Fall straffrei.
Justizministerin Claudia Bandion-Ortner hat, um die ideologischen Schützengräben beim Abtreibungsrecht zu überspringen und damit gleichzeitig Justiz und Ärzteschaft aus ihrem Dilemma zu erlösen, eine geschickte Strategie gewählt - und die Ungleichbehandlung behinderter ungeborener Kinder ins Treffen geführt. So stößt sie sich an der Tatsache, dass nur zwei bis drei Prozent aller Behinderungen pränatal erkennbar sind und folglich überhaupt als "Schäden" klassifiziert werden können. Das Argument, dass nicht die Behinderung selbst, sondern nur deren korrekte Diagnose im Bauch der Mutter für Schadenersatzansprüche relevant ist, lässt sich nicht ohne weiteres von der Hand weisen. Der Arzt müsste demnach "Glück" haben, damit er etwas findet. Und während dem "kleinen Prozentsatz", wie Bandion sagt, Schadenersatz-Leistungen zustehen, bleibt dies anderen Familien mit behinderten Kindern verwehrt.
Wäre Emils Behinderung nie entdeckt worden, stünde wohl auch ihm Schadenersatz zu. Und das, obwohl er gesund ist.
Siehe auch:Streit um Schadenersatz für behinderte Kinder