Nationalistischer Kandidat fordert Präsident heraus. | Entscheidung über Tempo der europäischen Integration. | Belgrad. Brüssel blickt bange nach Belgrad. Wird Serbien auch im Fall der Unabhängigkeit des Kosovo an der europäischen Integration festhalten? Dies könnte sich am Sonntag entscheiden. Denn die Präsidentschaftsstichwahl zwischen Amtsinhaber Boris Tadic und dem Nationalisten Tomislav Nikolic gilt als richtungsweisend.
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Tadic ist zwar auch strikt gegen die Anerkennung eines losgelösten Kosovo durch die EU, will aber trotzdem am Weg Richtung Union festhalten. Nikolic hingegen möchte im Falle der Unabhängigkeit der Provinz die europäische Annäherung stoppen und Serbien eng an Russland binden. Welche der beiden Optionen obsiegen wird, ist offen. Meinungsforscher sagen jedenfalls ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus.
Mit Großkundgebungen beendeten beide Lager den Wahlkampf. Tadic wählte dazu den Platz der Republik, den Ort vieler Proteste gegen den ehemaligen Präsidenten Slobodan Milosevic. Dann zogen er und seine Anhänger durch das Zentrum - eine bewusste Reminiszenz an die 90er-Jahre und die Demonstrationen gegen Milosevic, dessen Koalitionspartner Nikolic war. Gleichzeitig versuchten Tadics Wahlkampfmanager an jene Stimmung anzuknüpfen, die vor dem politischen Ende des Milosevic-Regimes geherrscht hatte. Der Mobilisierung diente auch Tadics Botschaft, wonach Serbien niemals wieder das Land der Kriege, der Zerstörung und der Isolation werden dürfe.
Kühne Prognosen
Seine zweite Botschaft war das Nein zur Unabhängigkeit des Kosovo in Verbindung mit einem klaren Bekenntnis zur europäischen Integration. Ziel sei die Visa-Freiheit bis Jahresende und der EU-Kandidatenstatus binnen Jahresfrist. Diese Prognose war äußerst kühn; doch schließlich ging es nicht um konkrete Zeitpläne, sondern um die Wählermobilisierung und eine Perspektive, die Nikolic nicht bieten kann.
Während Tadic auch nationalistische Töne anschlug, trat Nikolic in der Frage der EU durchaus gemäßigt auf. Schließlich kämpfen beide Kandidaten um die wahlentscheidende nationalkonservative Mitte, die zwischen EU und Kosovo schwankt. Daher beteuerte Nikolic, er habe nichts gegen die EU, solange Brüssel die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkenne.
Bei seiner Kundgebung in einer Belgrader Sport-Arena traten auch Vertreter nationaler Minderheiten auf. Nikolic und sein Wahlkampfstab waren konsequent bemüht, jenes negative Image des Extremismus abzubauen, das Tadic in Erinnerung zu rufen suchte. So präsentierte sich Nikolic als Vertreter der Armen und Arbeitslosen, als Kämpfer gegen Korruption, Drogen und Kriminalität.
Ob Nikolics Strategie aufgeht, ist unklar. Sicher scheint aber: Die Transformation der Ultranationalisten zu einer nationalkonservativen Partei steht noch am Anfang. Daher wird die EU wohl die Beziehungen zu Serbien einfrieren, sollte Nikolic siegen.
Isolation oder Agonie?
Doch auch wenn Tadic Präsident bleibt, ist Serbiens EU-Kurs alles andere als klar. Sein Partner in der Regierung, der nationalkonservative Premier Vojislav Kostunica ist ebenso strikt wie Nikolic gegen jede EU-Annäherung, sollte Brüssel die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen.
Serbien wählt somit in erster Linie zwischen Isolation und politischer Agonie. Denn der Konflikt Kostunica-Tadic könnte zu einer Regierungskrise und zu vorgezogenen Parlamentswahlen führen. Die politische Lage des Landes wird daher wohl weiter instabil bleiben.