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Bangen vor Europas langem Arm

Von Walter Hämmerle

Wirtschaft

Weitgehend unbemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit kämpfen die Freien Berufe mit der EU-Kommission über die künftigen Rahmenbedingungen für ihre Tätigkeit. Anwälte, Notare, Apotheker und Wirtschaftsprüfer fürchten um ihre besondere Stellung als Dienstleister. Im Zentrum des Konflikts steht die Frage, wie der Schutz der Verbraucher am besten gewährleistet werden kann: Über den freien Wettbewerb der Leistung oder des Preises? Die "Wiener Zeitung" sprach darüber mit Willi Oberlander vom Institut für Freie Berufe an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.


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Kein Zweifel: Verbraucherschutz ist ein wertvolles Gut. Davon ist - spätestens seit Maastricht - auch die EU überzeugt. Aber auch die Freien Berufe rechtfertigen die besonderen Rahmenbedingungen für ihre Dienstleistungen - wie etwa geregelte Gebühren- und Zulassungsordnungen oder Werbeverbote - mit dem Dienst an diesem Gut.

Ein Standpunkt, den die EU-Kommission so nicht teilt. Sie betrachtet die Freien Berufe in erster Linie als wettbewerbshemmend. Entsprechend sind in den Augen von EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti eben Apothekerkammern ein "Kartell im Pharmabereich" und stehen die Freien Berufe unter dem Generalverdacht von "Gebührenkartellen", denen mit rigoroser Deregulierung entgegen zu treten ist.

Welcher Schutz für den Verbraucher?

Oberlander sieht im Konflikt zweier Verbraucherschutzmodelle die Ursache für die Auseinandersetzung zwischen EU-Kommission und Freien Berufen. Beide beanspruchen für sich, das Wohl der Verbraucher im Auge zu haben.

Doch während die Kommission auf den freien Wettbewerb der Preise als Garant für die Sicherstellung eines optimalen Verbraucherschutzes schwört, wollen die Freien Berufe diesen über einen freien Wettbewerb der Leistung sicher stellen. Wer in diesem Streit Recht hat, lasse sich jedoch, so Oberlander, nicht eindeutig klären. Die besonderen Regulierungen der Freien Berufe - insbesondere in Deutschland und Österreich - erkläre sich aus der Schwierigkeit für den Konsumenten, die Qualität der erbrachten Leistung festzustellen. In Rechts- oder Gesundheitsangelegenheiten habe eine mangelhafte Dienstleistung eben sehr viel weiter reichendere Konsequenzen als im normalen Wirtschaftsleben, das daher auch mit weniger Regulierungen auskommen könne. Daraus resultiere auch das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Freien Berufen und Verbrauchern. Keinesfalls wolle man in Europa US-amerikanische Verhältnisse. Hier erfolgt der Wettbewerb fast ausschließlich über den Preis, und auch Werbung ist unbegrenzt möglich. Die Konsequenz: Enorme Summen müssen für Versicherungen im Falle von Fehlleistungen aufgewendet werden.

Freie Berufe sprechen mit "zu vielen Stimmen"

Für Oberlander werden die Freien Berufe auf EU-Ebene deswegen nicht hinreichend berücksichtigt, weil sie nicht als relevante Größe wahrgenommen werden. Verstärkt wird dies noch durch das Fehlen starker und handlungsfähiger Dachverbände. Die Folge: Die Freien Berufe sprächen mit "zu vielen Stimmen", als dass sie in Brüssel gehört werden könnten. Insbesondere das mangelnde Bewusstsein gemeinsamer Betroffenheit habe bis jetzt die Erarbeitung strategischer Konzepte und ein professionelles Lobbying über ein parlamentarisches Netzwerk auf EU-Ebene verhindert.

Dem versucht nun der Wirtschaftsbund zumindest für Österreich entgegen zu arbeiten. Er baut gerade eine Plattform - http://www.freieberufe.at - auf, die das Ziel verfolgt, ein Sprachrohr für alle Freien Berufe zu sein und deren Interessen in Österreich und Europa zu vertreten.