Westen beginnt mit schrittweisem Abzug. | Afghanische Armee von Taliban unterwandert. | Drogenhandel und Arbeitslosigkeit als massives Problem.
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Kabul. Von einem groß angelegten Rückzug konnte nicht die Rede sein, als britische und US-Soldaten in ihren gepanzerten Militärfahrzeugen Laschkar Gah verließen. Schließlich machte der Konvoi schon nach wenigen Kilometern halt, die Soldaten bezogen in Sichtweite der alten ihre neuen Stellungen. Der Schritt hat dennoch große Bedeutung: Immerhin haben jetzt die Afghanen in der Hauptstadt der Unruheprovinz Helmand das Sagen. Hier toben die Kämpfe gegen die Taliban am heftigsten, hier hat die Nato einen Großteil ihrer Kräfte konzentriert und einen Großteil ihrer Verluste zu beklagen.
Der Krieg am Hindukusch ist mit vergangenem Sonntag tatsächlich in eine neue Phase getreten. Eine Provinz nach der anderen wird die Nato dem Kommando der afghanischen Armee unterstellen. Bamiyan ist bereits unter afghanischer Kontrolle. Die Region erlangte traurige Berühmtheit, weil die Taliban dort die größten antiken Buddah-Statuen der Welt einfach in die Luft sprengten. Die Städte Metharlam und Herat wurden ebenfalls übergeben, in den nächsten Tagen folgen die Provinzen Kabul und Panjir sowie die Stadt Mazar-i-Sharif. 2014 soll der Prozess abgeschlossen sein. Alle ausländischen Soldaten - abgesehen von einigen Militärberatern - sollen dann den Weg in die Heimat angetreten haben.
Erleichterung
In der Nato hofft man, dass die Afghanen der neuen Aufgabe gewachsen sind. Schließlich will man sich so reibungslos wie möglich aus einem Land zurückziehen, in dem so gut wie nichts reibungslos läuft. Freund und Feind sind schwer unterscheidbar, der Kollege von heute entpuppt sich morgen als Taliban. Westliche Militärs bezweifeln, dass es in Afghanistan doch noch zu einem Happy End kommt. Vielen will ein Vorfall nicht aus dem Kopf, der sich 2010 ereignet hat und der sich als prototypisch für das, was da noch kommt, erweisen könnte.
Damals wollte ein ehrgeiziger afghanischer Offizier unter Umgehung der Nato einen Militärschlag gegen die Taliban starten, das Unterfangen endete in einem völligen Fiasko. Der Plan der Armee war von korrupten Beamten an die Taliban verraten worden, die die Soldaten in einen Hinterhalt lockten und der Brigade schwere Verluste zufügten. Der afghanische Kommandeur musste schließlich kleinlaut per Funk die Nato um Hilfe bitten.
Tatsächlich sind die Behörden des vom Westen installierten Regimes Hamid Karzai völlig korrupt. Es ist zudem nicht klar, bis zu welchem Grad die Armee von den Taliban unterwandert ist. Die Gefahr ist groß, dass das Land am Hindukusch ein weiteres Mal in einem blutigen Bürgerkrieg versinkt an dessen Ende ein vom Ausland installierter Machthaber radikalen Gotteskriegern weichen muss.
Die Zukunft Afghanistans ist auch deshalb düster, weil die Bedingungen für einen wirtschaftlichen Aufschwung fehlen. Hohe Steuern und Korruption behindern die Gründung von Betrieben, allein in Herat mussten 130 von 300 Fabriken in den letzten sechs Jahren geschlossen werden. Afghanische Geschäftsleute beklagen sich, dass die Regierung in Kabul tatkräftige Unternehmer eher behindere als fördere. Dementsprechend hoch ist die Arbeitslosigkeit, sie liegt bei 35 Prozent.
Stark durch Opium
Was in Afghanistan hingegen floriert, ist der Drogenhandel. Im neuesten US-Drogen-Bericht, der dem Senat vorliegt, ist zwar von einigen Fortschritten im Kampf gegen den afghanischen Drogenanbau die Rede. Andererseits heißt es hier, dass der Drogenhandel immer noch das größte Problem Afghanistans sei und alle Versuche, politische Stabilität, wirtschaftliches Wachstum und Sicherheit zu erreichen, unterminiere.
Afghanistan deckt immer noch gewaltige 77 Prozent des weltweiten Bedarfs an Opium ab. Trotz intensiver Bemühungen der Nato konnten die Anbauflächen nur zu einem Teil vernichtet werden. Vor allem im Süden und Südwesten blühen die Mohnfelder. Das nutzt den Taliban. Die Aufständischen finanzieren ihren Kampf gegen die Nato zu einem großen Teil mit Drogengeldern.