Entwarnung noch nicht angesagt. | Staatsgarantien kurbeln Wachstum des Finanzsektors an. | "Wiener Zeitung": Nimmt man die jüngst gestiegenen Aktienkurse von Banken zum Maßstab, könnte man zum Schluss kommen, die Finanzkrise sei ausgestanden. | Wilhelm Hemetsberger: Nobelpreisträger Paul Krugman hat kürzlich gemeint, dass zumindest der Weltuntergang verschoben sei, und damit hat er wahrscheinlich recht.
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Die Interventionen der Notenbanken und Regierungen waren deutlich erfolgreicher, als viele erwartet haben. Es gibt jetzt unglaublich viel Liquidität, was sich positiv auf den Wertpapierbereich ausgewirkt.
Damit ist die Finanzwelt, sind die Banken vorerst einmal vor dem Untergang bewahrt worden. Die Realwirtschaft zeigt sich aber sehr, sehr schwach.
Zwar sind die Daten etwas besser als im katastrophalen vierten Quartal 2008 und dem ebenso katastrophalen ersten Quartal 2009, aber Entwarnung ist noch keineswegs angesagt.
Also könnte man sagen, dass zwar die Finanzkrise einigermaßen ausgestanden ist, die Wirtschaftskrise aber noch nicht.
An den Finanzmärkten sind sowohl Krisen als auch Erholungen immer deutlich schneller zu sehen als in der Realwirtschaft, weil Preise naturgemäß rascher reagieren als Mengen.
Wenn das Schlimmste der Finanzkrise ausgestanden ist, würde das bedeuten, dass die Banken jene toxischen Papiere, die sie zu überzogenen Preisen in ihren Büchern hatten, mittlerweile ausreichend abgewertet haben?
Es gab enorme Wertberichtigungen, ob die in allen Fällen ausreichend sind, bin ich mir nicht sicher. Dort, wo es immer noch Differenzen zu den aktuellen Marktpreisen gibt, stellt sich die Frage, ob das auf Marktunvollkommenheiten zurückzuführen ist oder tatsächliche fundamentale Schwächen bei diesen Papieren widerspiegelt. Tut es Letzteres, dann heißt das, der Markt erwartet eine noch tiefere und längere Krise. Entwarnung ist auch deshalb noch nicht angesagt, weil langfristige Kredite im Bankensystem derzeit kaum verfügbar sind.
Können die Banken nicht oder wollen sie nicht?
Es hat zwei Ursachen: Die eine ist, dass die Banken aufgrund der Verschlechterung ihrer bestehenden Kreditportfolios laut Basel II mehr Eigenkapital brauchen. Gleichzeitig steigen die Kapitalanforderungen aufgrund von regulatorischen Maßnahmen.
Aber nicht nur aufgrund regulatorischer Anforderungen. Mittlerweile erwartet der Finanzmarkt von Banken, um sie als soliden Geschäftspartner zu betrachten, deutlich höhere Eigenkapitalquoten, als das die Aufsichtsbehörden vorschreiben.
... als die jetzigen gesetzlichen Vorschriften. Der Markt nimmt eine Verschärfung der Eigenkapitalerfordernisse, wie sie sicher kommen wird, bereits vorweg. Trotzdem erlaubt der Markt Banken, sich - ungeachtet ihrer vergleichsweise geringen Eigenkapitalausstattung - noch immer relativ günstig zu refinanzieren, weil anscheinend davon ausgegangen wird, dass zumindest die großen, systemrelevanten Banken de facto staatsgarantiert sind.
Mittlerweile gilt ja jede Bank, die etwas größer als eine Landsparkasse ist, als systemrelevant.
Das kommt auf das Land an. In den USA ist das nicht so, da mussten im letzten Jahr schon mehr als hundert Banken zusperren. Aber in den kleineren Ländern Europas gelten andere Größenordnungen.
Wenn Banken in Hinkunft mehr Eigenkapital für das gleiche Geschäftsvolumen einsetzen müssen, würde das bedeuten, dass Banken in Zukunft entweder deutlich weniger verdienen oder dass Bankdienstleistungen erheblich teurer werden.
Wahrscheinlich wird es eine Mischung aus beidem sein. Banken werden weniger Geld verdienen, und Bankdienstleistungen werden teurer. Der Mix aus beiden Faktoren wird von Land zu Land verschieden sein. In Österreich hat sich gezeigt, dass Kreditmargen deutlich angezogen haben.
Die in Österreich allerdings traditionell besonders knapp waren.
Österreich war wahrscheinlich tatsächlich der kompetitivste Kreditmarkt der Welt. Was ja ein Grund dafür gewesen ist, dass sich die heimischen Banken so stark und rasch in Osteuropa engagiert haben. In Österreich war aufgrund der Wettbewerbssituation nichts zu verdienen, also wurden neue, profitablere Märkte gesucht.
Was aber den Effekt hatte, dass für die österreichische Volkswirtschaft ein enormes geographisches Klumpenrisiko entstanden ist.
Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Aber es gibt nach wie vor ein hervorragendes strukturelles Argument für die Osteuropa-Expansion hiesiger Banken: Bankgeschäft war im Kommunismus nicht sehr populär und auch nur beschränkt notwendig, weshalb diese Länder kaum über bankmäßige Infrastruktur verfügt haben.
Dass da gelegentlich Krisen dazwischenkommen und dass gelegentlich zu viel investiert wird, kann schon passieren. Aber mittelfristig wird das Wachstum dort weiter höher sein als in Österreich. Und das geographische Risiko betreffend ist zu sagen, dass die wirtschaftliche Verflechtung mit Nachbarstaaten immer größer ist als, sagen wir, mit Bolivien.
Sie haben vor einigen Monaten eine Finanzgesellschaft gekauft, die sich mit der Be- und Verwertung komplizierter Wertpapiere und Portfolios befasst. Weniger charmant ausgedrückt könnte man sagen, Sie betreiben finanzielle Sondermüllbeseitigung und gehören damit zu den wenigen Profiteuren der Finanzkrise.
Sondermüllbeseitigung ist sicher keine passende Beschreibung unserer Tätigkeit. Aber gerade in einer Krise ist es wichtig, sich mit den Risiken auseinanderzusetzen, die in relativ komplexen Portfolios enthalten sind, und zu versuchen, so viel Wert wie möglich aus diesen Vermögenswerten herauszuholen.
Es hat keinen Sinn, die Hände in die Hosentaschen zu stecken. Man muss versuchen, allfällige Verluste möglichst gering zu halten.
Warum kann das eine kleine Wiener Finanzgesellschaft besser als eine große, internationale Investmentbank?
Große, international agierende Investmentbanken können das grundsätzlich vermutlich auch. Aber zum einen waren und sind manche dieser Banken durch die Finanzkrise einigermaßen abgelenkt. Zum anderen ist als Folge der Krise das Bewusstsein für mögliche Interessenskonflikte merklich größer geworden.
Schließlich haben die Investmentbanken diese Wertpapiere und Investments, um die es nun geht, in der Regel selbst strukturiert und verkauft. Und nicht immer ist es zielführend, sich ausschließlich vom Verkäufer beraten zu lassen. Oft zahlt es sich aus, einen unabhängigen Experten zurate zu ziehen. Unsere Kunden wissen, dass wir, wenn sie uns beauftragen, auf ihrer Seite stehen.
Wie ist den Steuerzahlern gegenüber zu begründen, dass viele private Banken staatliche Kapitalspritzen erhalten haben?
Zum einen, weil es notwendig war, die Stabilität des Finanzsystems zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen. Und zum zweiten, weil die externen Effekte von Bankenkonkursen immer besonders hoch sind. Allerdings führt das zum Problem des sogenannten Moral hazard, der zu Marktversagen führen kann: Wenn jeder weiß, dass große Banken de facto mit staatlichen Garantien arbeiten, dann stellt das für Banken einen Anreiz dar, immer größer zu werden, weil damit, je deutlicher die Staatsgarantien werden, auch die Refinanzierungskosten einer Bank sinken.
Das Wachstum des Finanzsektors ist also unter anderem auf diese impliziten Staatsgarantien zurückzuführen?
Das kann man so sehen. Der hauptsächliche Kostenfaktor einer Bank sind die Refinanzierungskosten. Das ist wie das Kerosin beim Betrieb von Flugzeugen. Und wenn jeder weiß, dass die implizite Staatsgarantie umso eindeutiger gegeben ist, je größer die Bank ist, dann stellt das einen Anreiz für Wachstum und Fusionen dar, weil aufgrund der staatlichen Garantie das Kerosin immer billiger wird.
Man wächst nicht, weil das sozial oder wirtschaftlich effizient ist, sondern weil man eine staatliche Garantie im Rücken hat. Jetzt geht es darum, wie man diesen ungewollten Effekt verhindern kann. Denn ein staatlich garantiertes Banksystem, das untereinander frei konkurriert, ist das Rezept für ein Desaster.
Also wäre der logische Schluss, Maximalgrößen für Banken festzulegen.
Das wäre eine Möglichkeit, würde aber eine ständige Diskussion über die Grenzen auslösen.
Eine andere Möglichkeit wäre, für diese implizite Staatsgarantien eine Versicherungsprämie einzuheben.
Das wäre eine andere Möglichkeit. Eine weitere wäre, die Eigenkapitalquoten von der Größe und der jeweiligen systemischen Relevanz der Institute abhängig zu machen. Je größer eine Bank, umso mehr Eigenkapital muss sie vorweisen.
Was auch eine Art Versicherungsprämie ist, da Eigenkapital ja Geld kostet.
Wachstum würde teurer, deswegen würden Banken vermutlich weniger stark wachsen. Viele Banken, die dann nicht mehr ausreichend profitabel wären, würden wahrscheinlich zerschlagen. Die Aktionäre würden sagen: Es ist vernünftiger, wir machen drei oder vier kleinere Banken daraus, weil die dann profi tabler sind als eine große.
Sie sind in jene Expertengruppe berufen worden, die Richtlinien dafür festlegen soll, wie die Bundesfinanzierungsagentur künftig Geld der öffentlichen Hand veranlagen soll. War es schlau, dass die Agentur in der Vergangenheit Geld in Commercial Papers investiert hat, denen indirekt US-Hypothekardarlehen zugrunde langen?
Im Nachhinein sind solche Beurteilungen immer leichter. Wir glauben allerdings nicht, dass man sich vorrangig mit der Historie befassen muss, sondern eher vorwärts gerichtet agieren sollte.
Trotzdem: Wie fällt die Beurteilung dieser Veranlagungen aus?
Rückblickend gesehen waren sie vermutlich nicht sehr schlau. Andererseits habe ich den Eindruck, dass in der Bundesfinanzierungsagentur über viele Jahre sehr professionelles Schuldenmanagement betrieben wurde. Die Banken haben da kaum etwas verdient, was der Agentur ein gutes Zeugnis ausstellt.
Zur PersonWilhelm Hemetsberger wurde am 8. September 1958 in Oberösterreich geboren und studierte Volkswirtschaft in Wien. Danach absolvierte er postgraduelle Studien an der Paul Nitze School of Advanced International Studies in Bologna sowie an der John Hopkins University in Baltimore. Seine berufliche Karriere startete Hemetsberger 1988 bei der Fondsgesellschaft Sparinvest in Wien. 1990 wurde er Chef des Aktienhandels der damaligen GiroCredit. Von 1994 bis 1998 war Hemetsberger in London für die Citibank tätig. Danach kehrte er nach Wien zurück und fungierte als Vorstandschef der Creditanstalt Investmentbank.
2001 wurde er in den Vorstand der Bank Austria berufen. Im Dezember 2008 übernahm Hemetsberger die Aktienmehrheit der Wiener Finanzgesellschaft Ithuba Capital.