Rettungspakete verringern Anreiz zum Selbstschutz. | Der Staat war schon mit der Bank-Aufsicht überfordert. | Regulierung hat die Krise verschärft. | Die von verschiedenen westlichen Regierungen verabschiedeten Rettungspakete sind ein Schritt in die falsche Richtung. Die vermeintlichen Vorteile sind nur kurzfristiger Art. Negative wirtschaftliche und politische Folgewirkungen sind bereits abzusehen. Der kurzfristige Erfolg besteht darin, der Politik und den Banken auf Kosten des Steuerzahlers eine kurze Verschnaufpause zu verschaffen. Es handelt sich aber mitnichten um eine endgültige Lösung der strukturellen Probleme auf den Finanzmärkten und in der Wirtschaft.
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Das strukturelle Problem der Finanzmärkte liegt in der geringen Eigenkapitalausstattung der Banken und ähnlicher Finanzdienstleister. Diese Firmen sind untereinander eng verflochten. Wenn daher auch nur ein einzelnes größeres Institut insolvent wird, zieht dies schnell weitere Insolvenzen nach sich, wie in einem Dominospiel. Die Finanzmärkte als Ganzes sind mithin anfällig für unvorhergesehene Störungen.
Schutz durch Zentral-banken erhöht Risiken
Diese strukturelle Schwäche wurde ironischerweise durch die geldpolitische "Absicherung" der Finanzmärkte hervorgerufen. Gerade weil die Marktteilnehmer die Zentralbanken hinter sich wussten, haben sie seit vielen Jahrzehnten ihre Eigenkapitaldecke stetig verringert. Warum sollten sie auch Eigenkapital verwenden, wenn jederzeit eine günstige Refinanzierung durch die Zentralbanken möglich ist? Eigenkapital dient zum Schutz gegen die Unwägbarkeiten des Marktes. Wenn die Zentralbanken als selbsternannte Geldgeber letzter Instanz den Markt "beschützen", gibt es weniger Anlass, selber Vorsorge zu treffen.
Die Rettungspakete der Regierungen verringern nun den Anreiz zum vorsorgenden Selbstschutz noch weiter. Die Botschaft ist eindeutig: Wenn es hart auf hart kommt und selbst die Geldpolitik die Krise nicht mehr zu meistern weiß, springt der Staat mit Kreditbürgschaft und Kapitalspritzen ein.
Die deutsche Bundesregierung versichert zwar im Unterschied zur österreichischen Regierung, diese Hilfen nur mit strengen Auflagen zu gewähren. So sollen die Gehälter der leitenden Bankangestellten gedeckelt werden, und die Banken sollen ihre "risikoreichen Geschäfte" verringern oder ganz aufgeben. Aber diese staatliche Strenge ist natürlich sehr viel milder als der Markt, wo der Konkurs der Banken zum vollständigen Gehaltsverlust der Verantwortlichen und zur sofortigen Einstellung der Geschäfte geführt hätte. Der perverse Anreiz zu unverantwortlichem Handeln wird also durch die jetzige Politik nochmals verstärkt.
Um zu verhindern, dass diese falschen Anreize zum Tragen kommen, soll die Geschäftspolitik der Banken durch eine staatliche Regulierung im Zaum gehalten werden. Eine solche Regulierung wirft jedoch Probleme ganz eigener Art auf.
Erstens werden die Geschäftsabläufe noch bürokratischer als sie ohnehin schon sind. Banken und Finanzmärkte sind schon lange keine Spielwiesen für freies Unternehmertum mehr. Der Staat ist hier als Eigentümer, Kunde und regulierende Instanz massiv vertreten. Wenn den wenigen verbleibenden Privatinstituten jetzt noch weitere Regeln auferlegt werden, werden die Finanzmärkte als ganzes schwerfälliger und daher noch anfälliger in Krisenzeiten. Die zwei wichtigsten Renommierstücke der staatlichen Finanzmarktregulierung aus den letzen sechs Jahren können hier zur Warnung dienen.
Sowohl die US-amerikanische Reform der unternehmerischen Rechnungslegung - nach den Verfassern, den US-Senatoren Paul Sarbanes und Michael Oxley, "Sarbanes-Oxley Act" (2002) genannt -, als auch das zweite Baseler Abkommen zur internationalen Regulierung der Eigenkapitalausstattung der Banken haben die gegenwärtige Krise verschärft. Sie haben die Banken gezwungen, Abschreibungen vorzunehmen und ihr Kreditvolumen zu reduzieren, obwohl dies im Einzelfall aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht nötig gewesen wäre. Dadurch wurde die kaskadenhafte Ausbreitung der Insolvenzen beschleunigt.
Die Kreditvergabe der Banken wird politisiert
Zweitens wird durch die Regulierung der Geschäftspolitik der Privatbanken die Kreditvergabe politisiert. Wer legt schließlich im Einzelfall fest, was ein "risikoreiches Geschäft" ist? Somit wird die Zentralisierung politischer Macht zu Lasten der Bürger und privater Unternehmen verstärkt.
Drittens wird durch die Regulierung der Geschäftspolitik der Banken der Bock zum Gärtner gemacht. Der Staat ist keinesfalls ein neutraler Außenseiter, der die Finanzmärkte nun mit Augenmaß und dem nötigen Abstand wieder in die Fugen bringen könnte. Staatliche Banken wie die WestLB, die Sachsen LB und die IKB zählten zu den allerersten Brandherden der gegenwärtigen Krise. Der Staat war mit deren Aufsicht offenbar überfordert. Und jetzt schickt dieser selbe Staat sich an, die Ordnung im Gesamtmarkt herzustellen?
Viertens hat unsere politische Führungsriege keinesfalls den Beweis erbracht, dass man ihr Aufgaben dieser Größenordnung anvertrauen kann. In keinem einzigen großen Problemfeld (Rentensystem, Gesundheitssystem, Staatsreform) wurden von ihr bislang nachhaltige Lösungen verwirklicht. Und jetzt sollen diese Damen und Herren das zentrale Scharnier unserer Marktwirtschaft ins Lot bringen? Der Gedanke sorgt in einigen Kreisen trotz der angespannten Situation für Heiterkeit.
Schon sehr bald werden erste Nachbesserungen erforderlich werden. Die in Deutschland vorgesehenen 500 Milliarden Euro sind sehr viel Geld, werden aber nicht reichen, um die Probleme der nächsten Zukunft in den Griff zu bekommen.
Zum einen wird es in den nächsten ein bis zwei Jahren, vielleicht auch länger, zu Umstrukturierungen in der Weltwirtschaft kommen. Mit dem Platzen der Immobilienblase in den USA muss die gesamte internationale Arbeitsteilung neu ausgelotet werden. Viele Firmen und ganze Industriezweige - vor allem die, die sich auf die Befriedigung einer nur imaginär vermögenden Kundschaft in den USA spezialisiert hatten - werden sich nicht im Markt halten können. Beteiligungen und Kredite an diese Wirtschaftszweige müssen abgeschrieben werden. Der damit verbundene Vermögensverlust wird sich auf andere Gütergruppen auswirken, ohne dass man genau sagen könnte, welche Branchen betroffen sein werden. Die Größenordnungen, um die es potentiell geht, liegen im zweistelligen Billionen-Euro-Bereich.
Zum anderen droht ein Steigen der Zinsen. Durch massive Interventionen auf den Märkten für Zinsderivate, für Rohstoffderivate (Rohöl) und auf dem Goldmarkt ist es bislang gelungen, ein starkes Ansteigen der Zinsen zu vermeiden. Diese Politik lässt sich nicht mehr lange weiterführen. Auf dem Gold- und dem Rohölmarkt trennt sich der physische Markt bereits von der Entwicklung bei den Derivaten. In den nächsten zwölf Monaten droht ein (womöglich explosives) Steigen der Zinsen, was nicht nur die Staatsfinanzen in praktisch allen westlichen Ländern zerrütten würde, sondern weitere große Probleme für die Finanzmärkte bedeuten würde, da viele Finanzintermediäre langfristige Anlagen kurzfristig finanziert haben.
Was dann? Sollen weite Teile der Wirtschaft verstaatlicht werden, wie es der französische Staatspräsident unverblümt gefordert hat? Das läge ganz in der Logik der Rettungspakete, aber es würde den Marktprozess der "schöpferischen Zerstörung" (Schumpeter) zum Erliegen bringen. Noch mehr unrentable Unternehmen und Industrien würden künstlich am Leben erhalten werden, zu Lasten der immer kleiner werdenden freien Wirtschaft. Das könnte uns sehr schnell in eine große Depression führen, wie bereits in den 1930er Jahren. Auch damals wurde eine Finanzkrise durch ungeeignete Interventionen (Beschränkungen des Handels, Höchst- und Mindestpreise, Subventionen, öffentliche Arbeiten, Steuererhöhungen) immer wieder künstlich verlängert.
Staat sollte Hindernisse für Reinigung entfernen
Was sind die Alternativen? In der gegenwärtigen Lage gibt es keine einfachen und schmerzfreien Lösungen. Vielleicht wäre es an der Zeit, den natürlichen Selbstheilkräften des Marktes eine Chance zu geben. Es ist durchaus vorstellbar und möglich, dass der Staat einfach nur die Hindernisse aus dem Wege räumt, die einer deflationären Reinigung der Märkte im Wege stehen. Zu diesen Hindernissen zählen insbesondere die Monopolstellung der Zentralbanken, Mindestlöhne und andere Beschränkungen des Arbeitsmarktes sowie die Agrarpreispolitik.
Sicherlich gibt es für diesen Lösungsansatz heute keine politischen Mehrheiten. Aber es ist immerhin ein Ansatz, der bis in die frühen 1920er Jahre immer wieder erfolgreich zum Tragen kam und der genau jene langfristige Perspektive bietet, die der gegenwärtigen Politik so völlig fehlt.
Guido Hülsmann lehrt an der Universität Angers (Frankreich) und ist Senior Fellow am Ludwig- von-Mises-Institute in Auburn (Alabama). Er zählt zu den Ökonomen der Wiener Schule.