Finance-Watch: Europas Einlagensicherung wird nur ausreichen, wenn die Gläubiger Verluste mittragen
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Brüssel/Nikosia. So sollte es eigentlich sein: Wer übergroße Risiken eingeht und sich verspekuliert, der verliert sein Geld. Nur dann ist garantiert, dass sich ein Investor gut überlegt, ob sein Einsatz sicher ist und ob das Versprechen einer höheren Rendite tatsächlich das Risiko wert ist. Nicht nur der Hausverstand lehrt das - darauf können sich sogar Experten, die wirtschaftspolitisch sonst weit links oder ganz recht stehen, problemlos verständigen.
Seit dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 sind ökonomische Grundgesetze allerdings außer Kraft gesetzt - die Wirtschaftswelt steht Kopf. Wann immer eine Bank zu kippen droht, werden nicht die zur Kasse gebeten, die sich verzockt haben, sondern die Staaten eilen zur Hilfe. Fast unbegrenzt wird dafür Steuergeld zur Verfügung gestellt.
Die Rechtfertigung: Es muss sein, weil andere Institute angesteckt und die Finanzstabilität gefährdet sein könnte. Bankpleiten finden in Europa seither kaum noch statt. Das liefert gefährliche Anreize: Banken und viele andere Finanzakteure können dank der impliziten staatlichen Rettungsgarantie jede Wette eingehen - eine Anleitung zur Verantwortungslosigkeit. Im Fachjargon wird das "moral hazard" genannt
Ganz anders in den USA: "In den Vereinigten Staaten sind seit Ausbruch der Krise jedes Jahr im Durchschnitt 90 Banken pleitegegangen und abgewickelt worden. Die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC, die Einlagensicherung der USA, Anm.) geht am Freitag in das Institut hinein, transferiert die Einlagen zu einer anderen Bank - und das Leben geht weiter", sagt Thierry Philipponnat, Generalsekretär von Finance-Watch, zur "Wiener Zeitung". Die Nichtregierungsorganisation versteht sich als unabhängige Stimme der Zivilgesellschaft - und tritt bei Fragen der Finanzmarktregulierung in Brüssel als kompetenter Gegenpol zur mächtigen Finanzlobby auf.
Übers Wochenende erledigt
Tatsächlich verblüfft die Gelassenheit, mit der Finanzinstitute in den USA praktisch übers Wochenende ohne großes Aufsehen abgewickelt werden - solange es sich nicht, wie im Herbst 2008, gerade um die Crème de la Crème der Investmentbanken handelt.
Seit dem Jahr 2000 verzeichnete die FDIC nicht weniger als 498 Bankpleiten. Zuletzt hat es die Frontier Bank in LaGrange erwischt, die am 8. März geschlossen wurde. Zugegeben: Mit neun Filialen und 224 Millionen Dollar Einlagen war das Institut keine tragende Säule der Finanzwelt im Bundesstaat Georgia. Trotzdem stellt sich die Frage: Warum ist in den USA etwas alltägliche Routine, was in Europa regelmäßig für Untergangsstimmung sorgt?
Ein Grund ist ganz simpel: Es gibt in der EU bis dato kein erprobtes Prozedere, um mit Bankpleiten fertig zu werden - schon gar nicht mit grenzüberschreitenden. Schlittert ein Geldhaus in die Pleite, so ist das etwas anderes als eine herkömmliche Unternehmensinsolvenz. Es muss dabei verhindert werden, dass die Probleme weitere Banken infizieren und sich potenzieren. Und obendrein hängt das Wohl der Realwirtschaft von einer funktionierenden Kreditversorgung ab - in Europa viel mehr als in den USA.
Ein weiterer heikler Punkt ist, dass Europas Bankensystem hochgradig vernetzt ist - damit sind die Rückkoppelungsgefahren für systemische Krisen größer.
Barnier bittet zur Kasse
Der Fall der zypriotischen Banken stellt einen ersten, kleinen Schritt in Richtung ökonomische Normalität dar. Erstmals wurden die Investoren - Bankeigentümer, Anleihengläubiger und Großanlegern - zur Kasse gebeten. "Wer die Gewinne eingestreift hat, soll auch die Verluste mittragen", postuliert Philipponnat. Aber taugt Zypern als Modellfall für andere Länder und Finanzsysteme?
Darüber ist ein heftiger Streit entflammt. Ja, hat der neue Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem in einer ersten Reaktion gemeint. Seine Aussage wurde auf den Finanzmärkten als Kurswechsel der EU verstanden und verursachte prompt einen Börse-Absturz.
Wenig später sprang aber auch EU-Kommissar Michel Barnier dem Niederländer zur Seite. Die Kommission hat schon im Juni 2012 ihren Vorschlag für ein Banken-Abwicklungsregime auf den Tisch gelegt. Dieses soll zusammen mit einer europäischen Einlagensicherung und der gemeinsamen Bankenaufsicht bei der EZB den Weg in eine EU-Bankenunion bereiten. Die EU-Richtlinie sieht eine Verlustbeteiligung ("Bail-in") bei Bankpleiten vor und definiert, wie die Lasten auf Eigentümer, Gläubiger, Großanleger verteilt werden sollen, sodass erst ganz am Ende der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird. Das EU-Parlament wird sich damit voraussichtlich im April im Ausschuss und Anfang Juli im Plenum erstmals befassen.
Schon jetzt übt die Finanzlobby in Brüssel großen Druck aus, um möglichst viele Ausnahmen von der Verlustbeteiligung zu erreichen - etwa für Kurzzeitfinanzierungen oder vorrangige Verbindlichkeiten. "Die Gleichung ist dabei ganz einfach: Je mehr ausgenommen wird, umso größer fällt die Rechnung aus, die bei hohen Verlusten der Steuerzahler bezahlen muss", warnt Philipponnat.
Finanzsektor schrumpfen
Aber ist Zypern eine realistische Blaupause? Die zwei betroffenen Großbanken der Mittelmeerinsel sind aus gesamteuropäischer Sicht Zwerge. Die Verlustbeteiligung traf dort zudem primär Spareinlagen in Milliardenhöhe - werden diese ausradiert, entstehen kaum Dominoeffekte für andere Banken. Ganz anders wäre das, wenn ein großes Institut pleiteginge, das viele Bankanleihen begeben hat.
Zypern sei ein spezieller Fall, räumt Philipponnat ein. Dass die Probleme sich bei der Abwicklung größerer Banken potenzieren, dürfe aber nicht als Argument missbraucht werden, um jeglichen Eigenbeitrag der Branche zu verhindern. Finance-Watch pocht deshalb darauf, dass parallel zur Bankenunion die Vorschläge zur Restrukturierung und Verkleinerung des Finanzsektors ("Liikanen-Report") umgesetzt werden. Das soll verhindern, dass einzelne Institute zu groß werden, um sie scheitern zu lassen ("too big to fail").
Auch die für Gesamteuropa geplante Einlagensicherung könne nur glaubhaft und sicher sein, wenn Gläubiger und Investoren Verluste mittragen. Das legen die nackten Zahlen nahe: "Die Finanzinstitute sollen vorab in einen Sicherungsfonds einzahlen. Dieser Topf könnte nach 10 Jahren etwas mehr als 100 Milliarden Euro umfassen. Das reicht bei Weitem nicht aus, wenn man es den 43 Billionen Euro in Europas Bankbilanzen gegenüberstellt." Das der Kommission auch bewusst, sagt Philipponnat. Der Einlagensicherungsfonds könne somit nur die "letzte Verteidigungslinie" sein, bevor der Steuerzahler zum Handkuss kommt. Davor müssten die Investoren rasiert werden.
Dass im ersten Rettungsplan für Zypern Bankeinlagen unter 100.000 Euro einkassiert hätten werden sollen, wertet Finance-Watch als groben Fehler. An deren Sicherheit dürfe es keinen Zweifel geben. Etwas anderes sei das mit Investoren, die Millionen Euro auf dem Konto haben: "Das sind professionelle Kreditgeber, die wissen, welche Risiken sie eingehen."
Gegen die Vorschläge regt sich aber Widerstand. Luxemburgs Finanzminister Luc Frieden warnt davor, vermögende Sparer zur Kasse zu bitten. "Das führt dazu, dass Investoren ihr Geld außerhalb der Eurozone anlegen", sagte er zum Magazin "Spiegel". "Man muss in dieser schwierigen Situation alles vermeiden, was zu Instabilität führt und das Vertrauen der Sparer zerstört."
Eine knifflige Frage bleibt für den Sicherungsfonds auf jedem Fall: Wo soll dieser veranlagen? Bankkonten scheiden wohl aus. Staatsanleihen? Nicht gut, schließlich soll die Bankenunion die Abhängigkeit von Finanzsektor und Staat aufbrechen. Die einzig realistische Option: Der Sicherungsfonds landet dort, wo auch die zentrale Aufsicht liegt - bei der Europäischen Zentralbank.
Österreichs Banken-Insolvenzrecht
(kle) Geht es nach Bundeskanzler Werner Faymann, soll Österreich bereits ab 1. Jänner 2014 ein neues Banken-Insolvenzrecht haben. Den Gesetzesentwurf hat Finanzministerin Maria Fekter am 22. Februar in Begutachtung geschickt, ein Beschluss ist noch vor den Nationalratswahlen im Herbst geplant.
Das Ziel des neuen Banken-Insolvenzrechts: Anders als bisher soll der Steuerzahler künftig vor teurem Erbe bewahrt werden. Im Entwurf ist der Fokus deshalb auf Krisenprävention und Frühwarnung gelegt. Und daher sollen Österreichs Banken in Zukunft jedes Jahr Sanierungs- und Abwicklungspläne vorlegen müssen. Aus den Plänen soll hervorgehen, wie im Krisenfall die Existenzfähigkeit eines angeschlagenen Instituts ohne staatliche Hilfe gewahrt und die finanzielle Stabilität wiederhergestellt werden kann.
Die Finanzmarktaufsicht (FMA) wiederum soll durch frühzeitiges Eingreifen Schieflagen vorbeugen können. Bleibt eine Bank die jährliche Aktualisierung ihrer Sanierungs- und Abwicklungspläne schuldig, soll sie eine Geldstrafe von 150.000 Euro zahlen müssen.