Dass Tulpen Eine der spektakulärsten Finanzkrisen der Neuzeit auslösten, lernt jeder Student der Volkswirtschaft. Weit weniger bekannt ist, dass ein in Wien ansässiger Botaniker am Beginn dieser Entwicklung stand.
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Wenn man in Wien von der Friedensbrücke entlang des Donaukanals über die Roßauer Lände nach Süden geht, dann zweigt rechter Hand eine Gasse ab: die Clusiusgasse. Sie ist nach einem bedeutenden Wissenschaftler des 16. Jahrhunderts benannt, Charles de LEscluse (1526 - 1609), der sich den humanistischen Forschernamen Carolus Clusius zugelegt hatte. 1573 hatte Kaiser Maximilian II. den in ganz Europa bekannten Botaniker nach Wien berufen. Der Kaiser, der offene Sympathien für den Protestantismus hegte, machte es möglich, einem Protestanten wie Clusius in der katholischen Hochburg Wien einen Adelstitel und ein fixes Gehalt zukommen zu lassen.
Diese Weltoffenheit machte sich bezahlt, zumindest für Wien. Der neue Hofbotaniker legte Gärten an, studierte methodisch die Pflanzenwelt von Ötscher und Schneeberg und machte Pflanzen wie die Rosskastanie oder die Kartoffel bekannt. In dieser Zeit stand er auch in engem Kontakt mit dem kaiserlichen Botschafter in Istanbul, Ogier Ghislain de Busbecq, der seinem gelehrten Freund im Jahr 1573 ein Päckchen mit aus der Türkei stammenden Samen zum Geschenk machte. Es enthielt Tulpen, mit denen man damals in Europa noch nicht allzu viel anzufangen wusste. Alle Versuche, die Zwiebel zu rösten und zu essen, waren nicht besonders überzeugend gewesen.
Das Wiener Glück währte indes für Clusius nicht lange. Im Jahr 1576 starb Maximilian überraschend, sein Nachfolger, Rudolf II., war ein katholischer Fanatiker und hatte nichts Eiligeres zu tun, als alle Protestanten wieder aus dem Hofdienst zu entlassen. So stand Clusius im Alter von fünfzig Jahren vor dem Nichts. Er fand Unterschlupf bei den Batthyanis in Güssing und Schlaining, wo er eines seiner großen Werke schrieb: "Stirpium Nomenclator Pannonium", das erste umfassende Lehrbuch über die österreichische Pflanzenwelt. 1593 wurde er schließlich doch noch Professor an der Universität in der holländischen Stadt Leiden, wohin er seine wertvollen Tulpenzwiebel mitnahm.
Die Finanzkrise, die sich aus der Euphorie über die Tulpen ergeben sollte, erlebte Clusius nicht mehr. Er hatte zwar bis zum Ende seines Lebens eine einzigartige Sammlung dieser fremden, farbenprächtigen Pflanzen in seinem Garten angelegt, doch pflegte er immer noch einzelne Zwiebel an Freunde zu verschenken, einfach so, "con amore". Außerdem trug er, ohne es zu wollen, noch auf eine zweite Art zur Bekanntheit der Tulpen bei: Wie schon in Wien beklagte er sich auch in den Niederlanden über häufige Diebstähle in seinem Garten, durch die besondere Exemplare der Blume über das ganze Land verbreitet wurden.
Rechte auf Tulpenzwiebel. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden Tulpen - für die damalige Zeit ungewöhnlich farbenprächtige und vielfältige Gartenpflanzen - in den Niederlanden dann modern. Dazu trug auch der rasch wachsende Reichtum aus dem Ostindienhandel bei, der dem Land nach dem Ende des Krieges mit Spanien ein Goldenes Zeitalter beschied. Damen der oberen Klassen pflegten in jenen Tagen ihren Reichtum dadurch zur Schau zu stellen, dass sie im Haar oder im Dekolleté Tulpenzwiebel trugen.
Eine Zahl kann den Beginn des Tulpenfiebers verdeutlichen: Während man um das Jahr 1600 etwa hundert Arten der exotischen Blumen kannte, so waren es 1630 bereits tausend - eine gigantische Entwicklung in einer historisch kurzen Zeitspanne, wenn man bedenkt, dass heute, vierhundert Jahre später, etwa fünftausend Kulturformen bekannt sind. Da aber die Zucht von Tulpen eine langwierige Angelegenheit ist, überstieg trotz der intensiven Arbeit der Züchter die rasant wachsende Nachfrage das Angebot bei weitem.
Was sich danach zutrug, ist ein Lehrstück aus der Welt der Finanzkatastrophen. Angesichts der steigenden Preise etablierte sich zunächst eine Schicht von Zwischenhändlern zwischen den Züchtern und den Käufern. In diesen Kreisen, denen es nicht mehr um Blumen, sondern nur noch um den Gewinn ging, entstand dann bald die Idee, nicht mehr mit Tulpenzwiebeln zu handeln, die einen großen Teil des Jahres in der Erde vergraben waren, sondern mit den Rechten auf Tulpenzwiebel. Das Ergebnis dieser Phase, die die Holländer "Windhandel" nannten, war eine der ersten großen Spekulationsblasen der Geschichte.
Die Aussicht, schnell Geld verdienen zu können, beflügelte die Phantasie auch vieler biederer Bürger. Immer mehr Niederländer nahmen Kredite auf und belasteten ihren ganzen Besitz, um in das Geschäft mit Tulpen oder mit Optionen auf Tulpen einsteigen zu können. Aus jenen dramatischen Tagen zu Beginn der dreißiger Jahre des 17. Jahrhunderts ist zum Beispiel überliefert, dass eine Tulpe von der Sorte "Admiral de Man", die um 15 Gulden gekauft wurde, wenig später um 175 wiederverkauft wurde, der Preis einer "Gheel en Root van Leyde" stieg in kürzester Zeit von 45 Gulden auf 550. In immer größerem Tempo vervielfachten sich die Geldsummen, die im Tulpenhandel umgesetzt wurden. Kurz vor dem Höhepunkt dieses kollektiven Rausches wurde zum Beispiel eine Zwiebel der Sorte "Semper Augustus" für den Wert von 10.000 Gulden verkauft, eine Summe, die den Gegenwert eines der größten Stadthäuser Amsterdams in bester Lage bedeuteten, und das in einer Zeit, da Amsterdam die teuerste Stadt der Welt war.
Der Zusammenbruch kam im Februar des Jahres 1637. Bei einer Auktion von Tulpenzwiebeln in Haarlem blieben erstmals die Gebote aus. In wenigen Tagen verbreitete sich Panik, und diese Panik beschleunigte den Niedergang der Preise. In kurzer Zeit fielen diese auf ein Hundertstel des Wertes, der zum Höhepunkt des Booms bezahlt worden war. Viele der Akteure, die sich verschuldet hatten, um überhaupt am großen Feilschen teilnehmen zu können, standen vor dem Ruin und endeten als gebrochene Existenzen im Armenhaus. Es folgten Gerichtsprozesse und politische Querelen, die sich über Jahre hinzogen.
Geblieben ist eine prächtige Blume, die durch die Katastrophe in ganz Europa bekannt geworden war. Nachdem sich die Preise wieder normalisiert hatten, blieb den Holländern eine Tradition, die hunderte Jahre später noch das Land prägt. Inzwischen sind fast 6.000 Sorten katalogisiert und endlose Tulpenfelder prägen ganze Landstriche.
Buchtipp.
Mike Dash: Tulpenwahn.
Die verrückteste Spekulation der Geschichte. Aus dem Englischen von Elfriede Peschel. Verlag List, Berlin, 2008