Genf II soll morgen starten - doch ein minimaler gemeinsamer Nenner fehlt.
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New York/Genf. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon pokert mit hohen Einsätzen. Er hat den Iran überraschend eingeladen, an der Syrien-Friedenskonferenz, die am Mittwoch in Montreux startet, teilzunehmen - und damit den Gipfel, der ohnehin auf wackligen Beinen steht, infrage gestellt. Die Exil-Opposition, die sich am Wochenende widerstrebend dazu durchgerungen hat, in die Schweiz zu kommen, droht jetzt mit Boykott. Entweder der Iran oder wir, heißt es hier sinngemäß. Teheran ist in den Augen der Exil-Opposition das große Feindbild gleich hinter Präsident Bashar al-Assad - und das mit gutem Grund: Schließlich unterstützt der Iran Damaskus maßgeblich mit Geld, Waffen und Kämpfern (siehe Artikel Seite 6).
Opposition unter Druck
Aus der Perspektive der Rebellen ist freilich zu befürchten, dass die Drohung ins Leere geht: Der Iran hat die Einladung bereits dankend angenommen, damit sitzen alle wesentlichen Akteure des syrischen Bürgerkriegs am Verhandlungstisch: die USA und Russland, das Regime Assad, die Golfstaaten, die Türkei und die EU - um die wichtigsten zu nennen. Schwer denkbar, dass sich die syrische Opposition langfristig als einziger Player aus dem Spiel nehmen kann. Zumal auch das "Ja" der Assad-Gegner vom Samstag nicht völlig aus eigenen Stücken erfolgte, sondern auf massiven Druck durch die USA zustande kam. Die Opposition, so der Eindruck, läuft Gefahr, bei der Lösung des Konflikts zum Spielball der Mächte zu werden.
Auch der Westen sieht der Teilnahme des Iran an der Schweizer Friedenskonferenz zumindest mit gemischten Gefühlen entgegen. Nach Ansicht Washingtons hat sich Teheran disqualifiziert, weil man dort an Assad festhalten will. Ban hat zwar versichert, dass der Iran bei den Gesprächen eine "konstruktive Rolle" spielen werde. Doch Teheran will keine Vorbedingungen gelten lassen.
Damit wird klar, dass der angepeilten Konferenz die gemeinsame Grundlage völlig fehlt. Laut Plan sollte schon vor Beginn der Verhandlungen klar sein, dass es auf eine syrische Übergangsregierung hinausläuft, die von den Kriegsparteien anerkannt wird. Das wird schon von Assad selbst infrage gestellt. Er will sich im Juni wieder zum Präsidenten wählen lassen. "Die Chancen sind groß, dass ich kandidiere", sagte er wörtlich. Dass seine Gegner künftig Ministerposten bekleiden könnten, hält er für "vollkommen unrealistisch", man könne derartige Ideen nur "als Scherz" betrachten. "Sie (die Oppositionellen, Anm.) kommen für eine halbe Stunde an die Grenze für eine Fotogelegenheit und flüchten dann, wie sollen sie also Regierungsmitglieder werden?", so Assad.
Worüber reden?
Die Konferenz am Genfer See muss sogar auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verzichten, selbst das Thema ist umstritten. Während in Syrien an vielen Fronten erbittert gekämpft wird, will Assad - er kommt nicht persönlich in die Schweiz, sondern lässt sich von Ministern und Beratern vertreten - über das Problem des "Terrorismus" in seinem Land reden. Gemeint sind damit alle Gruppen, die gegen die Armee kämpfen.
Den großen Wurf wird das Treffen also nicht bringen, sind sich Analysten einig. Wenn es gelingt, die erboste syrische Opposition wieder an den Verhandlungstisch zu bringen, dann ist schon Beachtliches erreicht: Die Kriegsgegner und die wesentlichen lokalen Mächte sitzen an einem Tisch, und reden zumindest.
Das, was die verfeindeten Kräfte immerhin eint, ist die Einsicht, dass sich der Krieg festgefahren hat. Assad hat wohl erkannt, dass er das Land mit militärischen Mitteln nicht mehr unter Kontrolle bekommen wird; die Rebellen, die lange auf dem Vormarsch waren, sehen sich jetzt in die Defensive gedrängt. Weil immer mehr radikale Islamisten gegen Assad antreten, ist mit einem kriegsentscheidenden US-Militärschlag gegen die syrische Armee nicht zu rechnen. Die Verluste steigen, Kriegsmüdigkeit ist auf beiden Seiten spürbar. Allen Parteien wird zunehmend klar, dass man um eine politische Lösung nicht herumkommen wird.
Erwartungen minimal
Die Erwartungen, die US-Präsident Barack Obama in einen möglichen Nahost-Frieden, aber auch in die Syrien-Konferenz setzt, sind jedenfalls limitiert. Vielleicht sei man in der Lage, "den Felsbrocken ein Stück den Berg hinaufzurollen und eventuell dort zu stabilisieren, damit er nicht wieder auf uns zurückrollt".
Möglich ist, dass man sich auf lokal begrenzte Feuerpausen einigen kann, um Helfern Zutritt zur Not leidenden Zivilbevölkerung zu ermöglichen. Assad hat bereits - möglicherweise unter dem Druck Moskaus - einen Waffenstillstand in Aleppo vorgeschlagen. Noch wird dort weitergekämpft, auch in der Vergangenheit haben derartige Initiativen nichts gebracht. Die Rebellen beklagen, dass Waffenstillstände von der Armee als Kapitulation gedeutet und ausgenutzt würden, um sich strategische Vorteile zu verschaffen. Vielleicht gelingt es trotzdem, sogenannte "humanitäre Korridore" zu errichten, die von internationalen Helfern schon seit langem gefordert werden.
Einige Erfolge, die Mut machen, gibt es bereits: Am Wochenende gelangten seit September erstmals Lebensmittel in das von der syrischen Armee umstellte Palästinenser-Lager Jarmuk bei Damaskus. Dort sollen in den letzten Wochen dutzende Menschen verhungert sein.