Jerusalem · Der künftige israelische Ministerpräsident Ehud Barak führte Dienstag wieder Verhandlungen mit der rechten Likud-Partei über die Bildung einer großen Koalition. Wie Mitglieder | des Likud und von Baraks sozialdemokratischer Arbeitspartei am Dienstag mitteilten, folgte die Entscheidung auf ein ausführliches Gespräch zwischen Barak und dem derzeitigen Likud-Chef Ariel Sharon | in der vorangegangenen Nacht. Die beiden waren bereits zweimal zusammengetroffen, um eine Zusammenarbeit auszuloten.
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Die innenpolitischen Realitäten haben durch den Koalitions-Fahrplan des designierten israelischen Regierungschefs, Ehud Barak einen dicken Strich gezogen. Er muß ihn fast täglich umstoßen und neu
formulieren. Seit den Wahlen sind bereits fünf Wochen verstrichen. Formell ist der abgewählte Premier Benjamin Netanyahu noch immer Regierungschef, während die Bemühungen seines sozialdemokratischen
Nachfolgers um ein aktionsfähiges Regierungsteam auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen.
Besonders problematisch gestaltet sich die Umsetzung einiger Wahlversprechen, wie Verabschiedung einer Verfassung, Wehrdienstverpflichtung von Rabbinats-Studenten und Anerkennung des Primats des
säkulären Rechtsstaates auch durch orthodoxe Bevölkerungsschichten.
Die religiösen Parteien, die wieder das Zünglein an der Koalitionswaage bilden, sträuben sich gegen diese Auflagen und fordern Kompromisse, denen Barak nicht zustimmen kann, ohne seine Wähler zu
vergrämen.
Laut Gesetz muß Barak seine Koalition bis zum 7. Juli der Knesset vorstellen. Sollte es ihm nicht gelingen, diesen Termin einzuhalten, steht ein erneuter Urnengang ins Haus, den sich keine Partei
mehr leisten könnte. Das heißt im Klartext, der gewählte Premier setzt auf eine Gratwanderung, davon ausgehend, daß die potentiellen Koalitionspartner unter Zeitdruck nachgeben werden. Ob diese
Rechnung aufgehen wird, bleibt abzuwarten.
Inzwischen rumort es auch in den Reihen der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die sich von ihrem Vorsitzenden ausgegrenzt fühlen. Es ist kein Geheimnis, daß Barak zu seiner traditionsreichen
Partei auf Distanz geht und vorhat, sie umzustrukturieren mit dem Ziel, die alte Volkspartei für neue Wählerschichten attraktiver zu gestalten. Wiederholt hat sich Barak im kleinen Kreis über das
verkrustete Denken der Sozialpolitiker in der Partei aufgeregt. Einige sind für ihn ein rote Tuch, weil sie den Eindruck erwecken wollen, sie hätten die Wahl gewonnen. Tatsächlich aber hat Barak
gewonnen: Die Sozialdemokraten mußten viele Federn lassen und magerten von 34 auf 26 Abgeordnete ab.
Es ist kein Geheimnis, daß sich im Lager der Arbeiterpartei bereits Widerstand gegen Baraks Pläne formiert, die Reform der aufwendigen Sozialleistungen und geringere Firmenbesteuerung durchzusetzen.
Den ersten Warnschuß für zukünftige Richtungsgeplänkel feuerte der linke Sozialpolitiker Shlomo Ben Ami ab, der in einem Zeitungsinterview die Bildung einer ideologisch motivierten Regierung
forderte, die weniger soziale Kälte ausstrahlt und sich nicht gegen die Anhebung der Transferleistungen und Subventionen stemmt. Ben Ami plädiert auch für die Suspendierung des Gesetzes zum Abbau des
Haushaltsdefizits bis zum Jahr 2001 und sieht in einer höheren Staatsverschuldung ein effektives Mittel zur Ankurbelung der seit drei Jahren stagnierenden Wirtschaft. Der Präsident der israelischen
Zentralbank zog bereits die gelbe Karte und warnte Barak vor dem "Lafontaine Effekt", der dazu führen könnte, daß die Notenbank ihre Zinspolitik verschärft.
Die Reaktion der Traditionalisten auf Baraks Modernisierungspläne wird von seiner Bereitschaft abhängen, sie mit Ministerposten zu belohnen. Für die Funktionäre des Gewerkschaftsbundes Histadrut, die
tief im alten wohlfahrtsstaatlichen Wunschdenken verwurzelt sind, sind Baraks Vorstellungen kein Thema. Die Sozialpolitiker rüsten zum Kampf um die Wahrung sozialer Bestände. Bereits Mitte Juli muß
die neue Regierung mit den Haushaltsberatungen und der Formulierung der Wirtschaftspolitik für das Jahr 2000 beginnen. Die zu erwartende Grundsatzdebatte wird zeigen, ob Barak seine wirtschafts- und
sozialpolitischen Vorstellungen durchsetzen kann. Er versprach die Ankurbelung der stagnierenden Ökonomie und die Schaffung von 300.000 neuen Arbeitsplätzen in den kommenden drei Jahren.