Jerusalem · Israels Ministerpräsident Ehud Barak setzt sich zwar mit den Palästinensern wieder an den Verhandlungstisch. Viele Nahost-Experten vermuten aber in erster Linie nicht etwa edle | Motive hinter der Ankündigung, die Friedensgespräche diese Woche fortzusetzen. Selbst wenn beide Seiten wieder miteinander sprechen, sei dies noch lange kein Anzeichen oder gar eine Garantie für | wirkliche Fortschritte, urteilen Beobachter in Jerusalem.
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Barak habe eine Neuauflage des Palästinenseraufstandes, der "Intifada", befürchtet, und nur deshalb habe er der Wiederaufnahme der Gespräche zugestimmt, meint etwa Mark Heller, Experte für
Sicherheitspolitik am Institut für Strategische Studien Jaffee an der Universität Tel Aviv. Auch innerhalb der Regierung sei Barak auf Kritik gestoßen, weil er die Verhandlungen mit den
Palästinensern vernachlässigt habe und auf schnelle Ergebnisse mit den Syrern hoffte.
Die Gespräche mit Damaskus liegen nun seit zwei Monaten auf Eis. Syrer und Palästinenser machten das Spiel nicht mit, sich gegen einander ausspielen zu lassen. In dieser Lage besann sich Barak seiner
Wahlversprechungen vom Mai 1999 und erklärte sich bereit, den ursprünglich bereits für Jänner vorgesehenen Truppenabzug aus weiteren 6,1 Prozent des Westjordanlandes nun im April umzusetzen.
Nur mit einem hoch symbolischen Zugeständnis gelang es Barak offenbar, die Palästinenser nach den zahllosen Enttäuschungen zu neuen Gesprächen zu motivieren: Israel versprach drei Ortschaften
vollkommen unter palästinensische Kontrolle zu stellen, die direkt an Jerusalem angrenzen.
Der frühere israelische Verhandlungsführer, Yossi Benchmark, erklärte, Barak habe das Ruder herumgeworfen und wolle jetzt vorrangig mit den Palästinensern verhandeln, um die Stimmung im
Palästinenserlager zu beruhigen und Zeit zu gewinnen bei den Gesprächen mit Damaskus. Das Einlenken Baraks wurde nach Einschätzung von Beobachtern auch von Arafats Ankündigung angetrieben, die
Palästinenserführung werde auf jeden Fall noch in diesem Jahr einen Palästinenserstaat ausrufen.
In den wichtigsten Fragen liegen die Positionen in der Tat noch weit auseinander. Zu den Jahrzehnte alten Kardinalfragen gehören die künftige Grenze eines palästinensischen Staates, das Schicksal der
über mehrere Nachbarländer verstreuten Millionen von Flüchtlingen und die Kontrolle über Jerusalem.
Ein Journalist der israelischen Tageszeitung "Yediot Aharonot" drückte seine Skepsis mit Hilfe eines ironischen Rechenexempels aus: Über einen zusätzlichen israelischen Truppenabzug aus einem
Prozent der Fläche hatten beide Seiten zwei Monate lang verhandelt. "Ein Abkommen über den Endstatus der Palästinensergebiete vor dem Jahr 2050 dürfte es somit kaum geben", lautete die Quintessenz.