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Barbara Frischmuth berichtet über ihre literarische Anfangszeit in den bewegten Sechziger Jahren, über literarische Vorbilder und Vorlieben und über ihre schriftstellerischen Lebensthemen.
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Wiener Zeitung: Das Jahr 1968 dominiert den Festkalender der Intellektuellen-Zunft. 1968 erschien Ihr erstes Buch, "Die Klosterschule", bei Suhrkamp. Ein bewegtes Jahr mit vielen Aufbrüchen. Sie sind in die Literatur aufgebrochen. Motive, Gefühle, Schwierigkeiten, Risken: Wie hat alles angefangen? Barbara Frischmuth: Der Aufbruch hat für mich schon in Graz begonnen, mit der Gründung des Forums Stadtpark. Ich war in der linken Szene ansässig, hatte aber den meisten Kommilitonen eine Erfahrung voraus: Ich hatte 1960/61 in der Türkei, damals einem sogenannten Entwicklungsland, heute würde man sagen Schwellenland, gelebt. Ich habe überdies in einem kommunistischen Land studiert, 1963/64 in Ungarn. Darum wusste ich ein bisschen mehr, war nicht so naiv ideologiegläubig wie viele andere und habe die Bewegung pragmatischer gesehen. Was mich daran gefreut hat, und warum ich mich auch engagiert habe, war einerseits die Erweiterung der persönlichen Freiheiten - und andererseits das Aufbrechen der universitären Verkrustungen. Ich habe sie hautnah miterlebt am Orientalischen Institut der Universität Wien.
Also das, was die Studentenbewegung meinte mit ihrem Kampfruf "Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren"?
Dort war er wirklich spürbar! Ich habe mich durch diesen Mief so behindert gefühlt, dass ich zuletzt mein Studium geschmissen habe. Ich hatte in Graz schon mein Türkisch-Dolmetschstudium abgeschlossen. In Wien meinte der Professor, als ich mich 1964 vorstellte: "Kinderl, das sag ich Ihnen gleich, die Orientalistik ist ein aristokratisches Studium, da brauchen Sie viel Zeit und viel Geld." Ich habe mir gesagt: Jetzt erst recht! Aber irgendwann habe ich das Handtuch geworfen, weil man mich mit der Dissertation so sekkiert hat. Ich wollte ein modernes Thema, weil ich ja in der Türkei studiert hatte. Da hat es geheißen, das gibt es bei uns nicht. Ich habe immer wieder Themen angeschleppt, aber nie fanden sie Beachtung. Dann hat man mir die Literatur der Bektaschi (Anm.: islamischer Derwisch-Orden in Anatolien und auf dem Balkan) angeboten, denn der Professor war Janitscharen-Spezialist. Es war also die typische Arbeit für eine Studentin, die Material für ihren Professor heranschaffen sollte, denn die Bektaschi hatten ja mit den Janitscharen zu tun. Dazu hätte ich nach Albanien gehen müssen. Dann habe ich irgendwann gefunden: Es reicht.
Gab es unter den Schriftstellern, die schon lange in der Literaturgeschichte als "Grazer Gruppe" etikettiert sind, einen ästhetischen Konsens?
Einen wirklichen Konsens kann es diesbezüglich nicht geben. Aber wir haben uns gegenüber anderen Strömungen abgesetzt. Es ging um die Moderne und die Entdeckung der Sprache als Material, mit dem man etwas machen kann, um Kalkül, auch abgesehen von der Bedeutung. Für mich war das alles eingebettet in einen Kontext von der Erlernung nichteuropäischer Sprachen. Ich habe in dieser Hinsicht nicht mehr viel experimentell nachvollziehen müssen, weil mir das im Lauf meines Studiums schon untergekommen ist. Den Blick von außen auf die Sprache hatte ich mir schon auf diesem anderen Weg angeeignet.
Gab es in dieser Gruppe, in diesem Freundeskreis "heilige" Bücher?
Immer wieder wurden welche propagiert. Ich kann mich gut erinnern, dass ich zusammen mit Peter Handke "As I Lay Dying" von William Faulkner gelesen habe. Es war eine arme Zeit, es gab ja die Bücher nicht, die man lesen wollte. Ich habe mit Türkisch und Englisch begonnen. Ein texanischer Gastprofessor in Graz hat eine Vorlesung gehalten über Henry James. Er klagte mir in einer Sprechstunde ganz zag und deprimiert, er könne sich die Seele aus dem Leib reden, aber die Studenten sehen ihn nur interessiert an und keiner stellt Fragen. Da habe ich ihm die Ursache erklärt: Es gibt nur zwei Exemplare von "Portrait of a Lady" in Graz, eines hat das Amerikahaus, das andere die Universitätsbibliothek. Wir sind aber fast hundert, die hier sitzen. Dem Professor ist ein Stein vom Herzen gefallen, dass nicht er schuld war, sondern sich mit ihm niemand zu reden traute, weil niemand den Text gelesen hat.
Im Forum Stadtpark hat jeder bestimmte Bücher gekauft, die dann reihum gingen. Gunter Falk hat experimentelle Texte aus Stuttgart mitgebracht, wo Max Bense gelehrt und Falk im Sommer immer gejobbt hat. Peter Handke schleppte Faulkner an und Peter Weiss - dessen Prosa "Der Schatten des Körpers des Kutschers" war so ein Kultbuch.
Und weiter zurück in der Literaturgeschichte, zum deutschen Expressionismus?
Natürlich August Stramm! Ich hatte die Else Lasker-Schüler gekauft. Es gab einen Austausch, man hat geredet über Literatur. Man entdeckte Johann Fischarts "Geschichtklitterung" (Anm: Die "Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung" aus dem Jahre 1575 gilt wegen Fischarts Wortspielkunst als eines der ersten Sprachexperimente) . Immer wenn ich aus Ungarn nach Graz gekommen bin, hat mir Fredy Kolleritsch Leselisten in die Hand gedrückt.
In der erzählenden Literatur: Was war in jungen Jahren ihr Lieblingsbuch? Ich habe damals die amerikanische Literatur für mich entdeckt. Hemingway war schon passé. Faulkner, William Goyen, Truman Capote, Eudora Welty, Carson McCullers´ "Spiegelbild im goldenen Auge": Da habe ich mich sehr eingelesen.
Waren die Poeten der "Beat Generation", Jack Kerouac, Allen Ginsberg, Lawrence Ferlinghetti eine Attraktion?
Das waren sie für Wolfi Bauer, für mich nicht. Ich habe angefangen Arno Schmidt zu lesen, der war für mich ein wirklicher Säulenheiliger, "Zettels Traum" habe ich mir geleistet mit einem meiner ersten Honorare. Hans Erich Nossack und Günter Eich habe ich geschätzt. Und die Poésie concrète, Eugen Gomringer kam ja nach Graz. Es kamen viele Autoren nach Graz, die man dort kennenlernen konnte. Für mich ganz persönlich habe ich Jean Paul und E. T. A. Hoffmann entdeckt. Aber auch die Werke des Nouveau Roman, vor allen Nathalie Sarraute.
Über dem Augenblick, da sich ein belesener, sensibler, für Poesie begeisterter junger Mensch in einen Schriftsteller verwandelt, liegt zumeist ein mythischer Nebel. Können sie diesen Nebel lüften. Sind Sie im Zorn mit der "Klosterschule" in die Literatur eingetreten, um Abrechnung zu halten mit Ihrer ehemaligen Lehranstalt in Gmunden?
Mein Beginn war viel, viel früher. Ich habe schon in der Volksschule zu schreiben begonnen. Wasserleichen gehörten zu meinen ersten Sujets. Die haben mich enorm fasziniert. Ich bin direkt am Altausseer See aufgewachsen und musste darum früh schwimmen lernen. Ich habe in der Klosterschule ununterbrochen geschrieben. Ich hatte eine Freundin, die zu meinen Texten Zeichnungen gemacht hat. Und wir haben uns immer Geschichten erzählt auf den unendlich langweiligen Pflichtspaziergängen - einen Teil davon habe ich aufgeschrieben. Die Präfektin hat mich einmal in der zweiten Klasse geholt, damit ich den Erstklasslern, mit denen sie nicht fertig geworden ist, eine Geschichte erzähle. Bis zur Pubertät war ich vollkommen überzeugt, dass ich Schriftstellerin nicht nur einmal werde, sondern bin. Ich hatte eine Tante, die das betrieben hat (Anm: Felizitas Frischmuth-Riedl) , von da her war mir das auch klar, dass man das machen kann.
In der Pubertät habe ich nichts geschrieben. Ich musste in der siebenten Klasse zu Weihnachten nach Graz übersiedeln, aus familiären Gründen. Dort habe ich mich furchtbar einsam gefühlt und hab mir angeschaut, was die Volkshochschule bietet. Dort war von Walter Zitzenbacher ein Kurs für moderne Dramatik angekündigt. Ich dachte, dort gehe ich hin, dort finde ich jemanden, der sich ebenfalls für Literatur interessiert. Der Kurs kam nie zustande, denn es fanden sich nur zwei Hörer: Günter Peter Straschek und ich. Da sind wir bis vier in der Früh vor unserm Haus auf und ab gegangen und haben uns erzählt, was wir alles gelesen hatten. Dann bin ich in die Urania in den Kurs von Fredi Kolleritsch. Straschek hat noch vor den "manuskripten" die erste Zeitschrift herausgegeben, "reflexe". Wir haben gemeinsam - auch Peter Orthofer war dabei - die Zeitschrift abgezogen, im Volkskundeinstitut, denn dort war Alois Hergouth, Assistent von Hanns Koren.
Aus zeitlicher Distanz gesehen, scheint es damals für einen jungen Schriftsteller doch leichter gewesen zu sein, seine Leser zu finden, trotz beschränkter Mittel.
Es war viel mehr Interesse da. Man hatte das Gefühl: Die Menschen sind neugierig auf ein neues Buch, sie interessieren sich für Literatur. Auch wenn man nicht so viel verkauft hat. Die Interessierten haben sich die Bücher untereinander geborgt, wie wir das auch gemacht haben. Heute heißt es: Jesusmaria, jetzt hat sie schon wieder was Neues. Zu Lesungen sind Zuhörer gekommen, auch wenn man keinen Namen hatte. Damals war man neugierig, einen neuen Autor kennenzulernen. Heute will jeder nur einen längst approbierten Namen.
Auf den Universitäten wird viel mehr über neueste österreichische Literatur gelesen, in allen Bundesländern blühen die Literaturarchive. Ich hege den Verdacht, manche Neuerscheinungen könnte man direkt aus der Druckerei ins Literaturarchiv tragen . . .
. . . denn dazwischen passiert nicht viel!
Schon vor dem Achtundsechzigerjahr gab es die Wende, mit der die breite Wahrnehmung der neuen österreichischen Literatur angefangen hat. Zwar noch nicht 1963 mit Thomas Bernhards erstem Roman "Frost", aber 1964 mit seiner Erzählung "Amras", und noch nicht mit Peter Handkes Roman "Die Hornissen" 1964, aber mit seiner "Publikumsbeschimpfung" 1966.
Ja. 1967 kam "Der Fieberkopf" von Wolfgang Bauer, 1968 im Frühjahr folgten "Die Verbesserung von Mitteleuropa" von Oswald Wiener bei Rowohlt und meine "Klosterschule" bei Suhrkamp.
"Die Klosterschule" wird gerne im Deutschunterricht verwendet, sodass sie an kaum einem Maturanten, und noch weniger an einer Maturantin, vorbeigeht.
Sie wird auch heute noch bei Lesungen gekauft. Man darf nicht vergessen, wie viele Klosterschulen es gibt und wie viele Absolventen sie produziert haben. Da findet sich immer noch jemand nach einer Lesung, der mir sagt: Genauso war es! Dabei ist das ein gar nicht besonders erzählerisches Buch. Es arbeitet mit Sprachmimikry, mit der Sprache, mit der man dort behandelt wurde. Das ist für viele Katholiken, auch wenn sie nicht in der Klosterschule waren, Allgemeingut. Sie haben diese Sprache im Ohr.
Inzwischen hat sich der kritische Ansatz gegenüber Klosterschulen geändert, die Privatschulen haben Hochkonjunktur, und die pädagogischen Strategien in den Klosterschulen wurden flacher.
Ja. Das ist ja unvermeidlich. Aber die Sprache funktioniert noch. Und dieses Auf-alles-eine-Antwort-Haben, alles ist kanonisiert, und das Elitebewusstsein - auf euch wartet die Welt! Das ist ja alles noch vorhanden.
Von vierzig Jahren "Klosterschule" zu dreißig Jahren "Sternwieser"-Trilogie": Das sind ihre ganz anderen wundersamen Romane, "Die Mystifikationen der Sophie Silber", "Amy oder Die Metamorphose" und "Kai und die Liebe zu den Modellen".
Diese Bücher gibt es immer noch, sie werden gekauft und gelesen. Der Titel "Sternwieser-Trilogie" ist ein Konstrukt von dtv, wo diese drei Bände in einer Kassette neu aufgelegt wurden. Es gab noch mehrere andere Auflagen, bis zur aktuellen als Aufbau-Taschenbücher. Ich denke, die Gesamtauflage hat schon ungefähr 200.000 erreicht.
Ihre Medienpräsenz verschob sich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren deutlich Richtung Aktualitätsbezug, ausgehend von Ihrer besonderen Kompetenz für den Orient, die Migration und Immigration und den Islam der verschiedensten Traditionen.
Ja, weg von der Frauen-Schublade in die Orient-Schublade und die Islam-Schublade!
Vierzig Jahre mit Büchern präsent: Man soll nicht an die Hacklerregelung denken, aber vierzig Jahre sind ein volles Berufsleben. Gibt es unter den rund fünfzig Büchern, dazu zähle ich auch die fünfzehn Kinderbücher, ein Werk, von dem Sie wünschen, dass Sie es nicht oder nicht in dieser Form geschrieben hätten?
Nein. Eher tut es mir leid, dass ein Buch, das ich für eines meiner besseren halte, überhaupt nicht gegriffen hat, nämlich "Machtnix oder Der Lauf, den die Welt nahm", 1993. Das ging ganz gut, dann ist in der "F.A.Z." ein ungeheuerer Verriss erschienen, und dann war es aus. Das ist auch eines der ganz wenigen, die nie als Taschenbuch erschienen sind. Es sticht aus meinem Werk heraus als eine Hybridform zwischen Kinderbuch und Erwachsenenbuch, die offensichtlich im deutschen Sprachraum keine Chance hat.
Eine solche Hybridform bedienen Sie nebenbei, und mit Erfolg, seit zehn Jahren mit poetischen Gartenbüchern - "Fingerkraut und Feenhandschuh", "Löwenmaul und Irisschwert" und "Marder, Rose, Fink und Laus". Wieder eine Schublade, in die man abgeschoben wird? Obwohl dieses Genre in der englisch-amerikanischen Literatur höchst angesehen ist - wie auch die "Gothic novel" mit verwunschenen Feen und Wassermännern wie in Ihrer "Sophie Silber".
Wer mit Gärten nichts zu tun hat - und wer die englische Gartenliteratur nicht kennt, für die auch Virginia Woolf höchst engagiert war - denkt darüber gering, für den kann das keine Literatur sein. Zum Glück gibt es aber viele Menschen, die ein Auge, ein Gespür für Gärten haben - und die dann überrascht sind von dieser Literatur. Für mich hat sich dadurch nicht nur in Bezug auf das Wissen über Gärten eine neue Welt aufgetan. Jürgen Dahl, ein Gartenjournalist, war für mich ein Vorbild. Plötzlich bin ich mit Leuten in Kontakt gekommen und geblieben, die ich sonst gar nicht kennengelernt hätte, nämlich Gärtner. Das Reden über Gärten erfüllt Menschen, die sonst vielleicht frustriert herumhängen würden, mit Begeisterung. Mein eigenes Leben hat sich verändert.
Zur Person
Barbara Frischmuth, geboren 1941 in Altaussee, absolvierte von 1959 bis 1961 ein Dolmetschstudium an der Universität Graz. Nach einem neunmonatigen Stipendienaufenthalt in der türkischen Stadt Erzerum erwarb sie 1963 das Dolmetsch-Diplom in Türkisch. Von 1963 bis 1964 studierte sie Ungarisch in Debrezen und schloss 1964 ihr Studium als akademisch geprüfte Übersetzerin ab. 1964-66 studierte sie Orientalistik in Wien, verzichtete aber auf einen Abschluss (warum, das erklärt sie im Interview).
Ab 1962 war Barbara Frischmuth Mitglied des Grazer "Forum Stadtpark". Seit 1966 lebt sie als freie Schriftstellerin und Übersetzerin. Sie gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Grazer Autorenversammlung, trat aber 1989 aus künstlerischen Gründen aus. Sie erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen, unter anderem den Anton Wildgans-Preis (1973) und den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln (2005). Sie lebt in Altaussee. Im März 2008 war Barbara Frischmuth Stadtschreiberin von Istanbul (ihr Istanbuler Tagebuch ist im Internet unter www.blog.goethe.de/yakin-bakis/index.php?/authors/2-Barbara-Frischmuth zu finden.)Da die Türkei auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse als Schwerpunktthema hervorgehoben wird, ist Barbara Frischmuth heuer besonders gefragt als Expertin für die türkische und islamische Kultur und speziell die Dichtung.
Neueste Publikationen:
Vergiss Ägypten. Ein Reiseroman. Aufbau Verlag, Berlin 2008, 221 Seiten.
Vom Fremdeln und Eigentümeln. Essays, Reden und Aufsätze über das Erscheinungsbild des Islam. Literaturverlag Droschl, Graz 2008, 152 Seiten.
Homepage: http://www.barbarafrischmuth.at