Der ökonomische Sprung ins neue Jahrtausend gelingt nahezu perfekt. Nach den unbestechlichen Erkenntnissen der heimischen Wirtschaftsforschung wächst die österreichische Wirtschaft wieder | besonders kräftig und koppelt sich gleichzeitig dank überlegener Standortqualität von unserer unmittelbaren Nachbarschaft (Deutschland, Italien, Schweiz) nach oben ab.
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Darüber hinaus findet sie zunehmend Anschluss an die dynamischere Spitzengruppe in Europa. Die gewonnene Preisstabilität ist die solideste seit 70 Jahren und die wichtige Lohn-Stückkostenposition
die günstigste seit 50 Jahren (Kamitz). Der nunmehr eroberte Weltmarktanteil Österreichs am Warenexport ist dank anhaltender Marktanteilsgewinne bereits der höchste aller Zeiten.
Im Pro-Kopf-Einkommen und noch deutlicher in der Produktivität liegt Österreich im absoluten Spitzenfeld. Einzig und allein im Bereich der Staatsgebarung gibt es noch zu lösende Probleme, doch ist
auch die Budgetpolitik tatsächlich besser als ihr Ruf. Nach der weltweiten Überwindung der Asien- und Russland-Krise sprang der Wirtschaftsmotor in Österreich kräftiger an als im übrigen Europa. Die
Wachstumsraten zum Vorjahr erhöhten sich 1999 sprunghaft von 1,2 Prozent im 1. Quartal und 1,7 Prozent im 2. Quartal auf 3 Prozent im 3. Quartal (EU: 1,6 Prozent, 1,7 Prozent und 2,1%). Die
Jahresprognosen des Wifo von 2,2% (für 1999) sowie 2,8 Prozent (für 2000) stützen sich noch auf die vorsichtige Annahme keiner weiteren Beschleunigung im 4. Quartal.
Wichtige Indikatoren wie Produktion, Export, Umsätze, Mehrwertsteuer, Beschäftigung usw. weisen jedoch darauf hin, dass gerade das letzte Quartal 1999 für ein Rekordergebnis reif ist mit expansiven
Folgewirkungen auch für 2000 · Dass die neue Wachstumsphase nicht bloß konjunkturell erklärt werden kann, beweist die solide Wettbewerbsstärke von Industrie und Gewerbe dank einer nahezu
einzigartigen Produktivitätsleistung.
Laut EU-Kommission wuchs Österreichs Industrie von 1988 bis 1998 jährlich um 5,1 Prozent und doppelt so stark wie jene der EU insgesamt (2,6 Prozent) und die Produktivität mit 7,6 Prozent (EU: 4,0
Prozent) noch spektakulärer. Nur Irland und Finnland wuchsen (minimal) rascher. Im Produktivitätsvergleich liegt überhaupt nur Portugal hauchdünn vor Österreich.
Das heimische Wachstumspotential ist deshalb auf Jahre hinaus strukturell nicht nur durch die günstigen Lohnstückkosten seit 1953/55, sondern außerdem noch durch die niedrigsten Zinsen seit 1945,
durchaus mäßige direkte Steuern, sowie sinkende Telekom- und Vorleistungskosten optimal abgesichert.
Preisstabilität
Seit dem EU-Beitritt hat die bemerkenswert günstige Preisentwicklung zu einer nahezu totalen Preisstabilität geführt (1999: 0,5%).
Die für 2000 erwartete mäßige Steigerung auf 1,1% ist unbedenklich, weil sie bloß auf erratische Ölpreissprünge zurückgeht. EU-weit errang Österreich mit dieser Performance eine absolute
Vorbildfunktion. Der einst hämisch belächelte "Ederer-Tausender" wird von den Haushalten heute bereits mehrfach konsumiert.
Arbeitslage
Das Jahr 1999 brachte die längst überfällige Wende auf dem Arbeitsmarkt. Der konjunkturelle Aufschwung, sowie öffentliche Initiativen führten erstmalig seit Jahren zu einer spürbaren Senkung der
schon bisher vergleichsweise niedrigen Arbeitslosenraten von 4,7% (1998) auf 4,3% (1999) mit weiterhin sinkender Tendenz auf 4,1% (4. Quartal 1999). Die Vorbehalte wegen Umschulungen und
Teilzeitarbeit können erst mit zeitlichem Abstand am endgültigen Erfolg gemessen werden. Im übrigen ist unsere Arbeitslage qualitativ noch erheblich besser als quantitativ, weil Österreich speziell
in den sensibelsten und wichtigsten Bereichen wie Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit sowie "Offene Stellen" internationale Spitzenwerte vorweisen kann, wogegen unsere hohe Saisonarbeitslosigkeit,
sowie jene der "Schwervermittelbaren" nicht gleichrangig bewertet werden dürfen.
Leistungsbilanz
Seit dem EU-Beitritt hat das einst labile Problem der Leistungsbilanz für den EU-Binnenmarkt jedwede Brisanz verloren. Da der Außenhandel mit "Drittländern" für Österreich stets hoch aktiv ist,
ist die Leistungsbilanz ab sofort kein wirtschaftspolitisches Thema mehr. Dennoch erscheint ein Defizit von derzeit etwas über 2% des BIP auf Dauer kaum tolerierbar. Doch der Schein trügt, zumal der
Abgang nicht Ausdruck einer Wettbewerbsschwäche ist. Eher im Gegenteil, das formale Defizit beschränkt sich nämlich ganz überwiegend auf den EU-Beitrag, sowie auf die per Saldo negativen
Einkommensabflüsse an das Ausland. Sogar die hohen Investitionen der "Multis" im Inland werden schematisch als Gewinnabflüsse an das Ausland gebucht, obwohl sie das inländische Wachstumspotential
erhöhen. Die eigentliche Handels- und Dienstleistungsbilanz (im engeren Sinne) entwickelt sich demgegenüber erstaunlich positiv. Deren Passivum schrumpft sogar dramatisch, und zwar von 1,6% (des BIP)
vor 2 Jahren (1997) auf 0,7% (1998) und höchstwahrscheinlich auf 0,4% bis 0,5% im eben abgelaufenen Jahr. Nur dieser spezifische Trend spiegelt die wahre Stärke unserer Wirtschaft wider.
Staatshaushalt
Die derzeit aus taktischen Gründen überzogene Budgetkritik leidet am Denkfehler einer rein statischen Betrachtungsweise. Sie operiert völlig abgehoben von den überaus günstigen sonstigen
Rahmenbedingungen. Sie übersieht vor allem den heilsamen Einfluss der Preisstabilität und des zügigen Wirtschaftswachstums auf den Budgetsanierungskurs. Fast 80% aller Staatsausgaben bestehen aus
Personalaufwand, Pensionen und Transferzahlungen, aber solange dank niedrigster Inflation die Pensionen nur um 1% und die Aktivbezüge bloß um 1,5% steigen und die Arbeitslosengelder sogar sinken, die
Gesamtwirtschaft hingegen um runde 4% (nominell) wächst, erscheint jede Ausgabenhysterie geradezu unverständlich. Alles andere als eine kräftige Absenkung der öffentlichen Ausgabenquote im Jahr 2000
ist de facto denkunmöglich. Freilich sinkt wegen der Steuerreform natürlich auch die Einnahmenquote, aber nur vorübergehend. Das laut Wifo auf 2,2% leicht steigende Gesamtdefizit würde ohne Reform
bereits auf vorzeigbare 1,2% gesunken sein. Eiserne Ausgabendisziplin vorausgesetzt, ist deshalb jede Budgethysterie entbehrlich. Die endgültige Entscheidung über Erfolg oder Misserfolg des
Budgetkurses fällt im übernächsten Jahr 2001. Falls es gelingt, die derzeit erfolgreiche Absenkung der Ausgabenquote auch in den Folgejahren im gleichen Ausmaß konsequent durchzusetzen, dann sorgt
erfahrungsgemäß allein die zügig wachsende Wirtschaft auch ohne die geringste Steuererhöhung automatisch für passable Einnahmenquoten.
Schlussfolgerungen
Vorbehaltlich der nun absehbaren endgültigen Sanierung der Staatsfinanzen befindet sich Österreich heute in der besten ökonomischen Position seiner Geschichte. Alle lebenswichtigen ökonomischen
und wirtschaftspolitischen Ziele sind ihrer Realisierung so nahe wie nie zuvor. Die günstigsten Lohn-Stückkosten seit einem halben Jahrhundert dank hoher Produktivität und rascher Modernisierung
garantieren ein hohes Wachstumspotential. Die errungene Preisstabilität ist international vorbildlich, und das Beschäftigungsniveau so hoch wie nie zuvor. Der Weltmarktanteil im Export ist
der höchste aller Zeiten und die Leistungsbilanz völlig problemlos.
Einziger Schwachpunkt ist kurzfristig die Staatsgebarung, die sich aber auf richtigem Wege befindet und in absehbarer Zeit kein Thema mehr sein wird, weil die hohe Wirtschaftskraft des Landes eine
schmerzfreie Lösung erleichtert. Auch das Pensionsproblem wird stark überschätzt, weil man von unrealistischen Prämissen ausgeht. Die angebliche Unfinanzierbarkeit des Systems setzt ein unflexibles
(niedriges) Pensionsantrittsalter, sowie eine stagnierende Produktivität voraus. Beide Prämissen sind weltfremd. Schon bisher hat allein die steigende Produktivität das sinkende Pensionsalter und den
wachsenden Pensionistenanteil nicht nur aufgewogen, sondern zudem noch den Bundeszuschuss anteilsmäßig reduziert. Daraus erfolgt, dass die schrittweise Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters
im Ausßmaß der steigenden Lebenserwartung von ein bis eineinviertel Jahren pro Jahrzehnt für alle Sechzigjährigen ausreicht, die Relation von Pensionisten zu Aktiven weitgehend zu entschärfen und in
Verbindung mit leicht unterdurchschnittlichen Pensionsanpassungen in Relation zu den Aktivbezügen das Umlagesystem dauerhaft abzusichern. Dieser Gesundungsprozess ist derzeit bereits wirksam. Seit
1995 sinkt das Pensionsantrittsalter nicht mehr und die hohe Preisstabilität begünstigt nicht zuletzt die wachsende Akzeptanz der Notwendigkeit von eher mäßigen laufenden Pensionsanpassungen. Die
Pensionsreform befindet sich daher auf gutem Wege.
Alles in allem, der Start ins neue Jahrtausend gelang hervorragend. Ein fünfeinhalbmal so hohes Wohlstandsniveau wie vor einem halben und ein siebenmal so hohes wie vor einem ganzen Jahrhundert,
gekrönt von einer aus unverdächtiger Schweizer Sicht bezeugten beneidenswert hohen Lebensqualität, befinden sich in einem mit reinem Verstand unfassbaren Widerspruch zur derzeit überkritischen
Bewusstseinslage der Nation.
Eine saturierte Gesellschaft neigt offenbar gerne dazu, zweitrangige oder minderwichtige Aspekte in den Vordergrund zu rücken.
Prof. Dr. Anton Kausel leitete von 1956 bis 1973 die Abteilung Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und Öffentliche Finanzen im Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Anschließend war er im
Österreichischen Statistischen Zentralamt (ÖSTAT) tätig. Von 1981 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1984 bekleidete er das Amt des Vizepräsidenten.