Manche Lokale - wie im Allianz Stadion in Wien - akzeptieren keine Scheine mehr. Ein Trend zwischen Fortschritt und Risiko.
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Wien. Als in Argentinien 2001 das Finanzsystem vor dem Zusammenbruch stand, stürmten die Menschen die Banken, um ihr Geld in Sicherheit zu bringen. Schon bald verfügte die Regierung das, was die Argentinier witzelnd "corralito" nannten - "Laufstall": Maximal 250 Pesos - rund 100 Euro - durften nur noch pro Woche und Nase abgehoben werden. Der Rest blieb in den Banken festgefroren und wurde von Tag zu Tag weniger wert. Viele Argentinier mussten zusehen, wie sich vor ihren Augen der Traum vom Häuschen in nichts auflöste, auf den sie ein Leben lang hingespart hatten. Sie haben ihre Lektion gelernt. Seit damals horten die Argentinier Dollars in ihren Safes, um eines Tages allfällige Großzahlungen zu tätigen. Sogar Wohnungskäufe werden noch heute in bar getätigt. Doch was, wenn es eines Tages kein Bargeld mehr gibt? Dann könnte auch Europäern und Österreichern das blühen, was die Argentinier schon erlebt haben, fürchten Experten.
Stetig setzt sich in Europa das bargeldlose Zahlen durch. In Schweden akzeptieren inzwischen sogar Obdachlose EC-Karte, Kreditkarte oder Paypal. Frankreich forciert den Trend gleich von Staats wegen. Mit Scheinen und Münzen darf man dort per Gesetz nur noch Beträge bis 1000 Euro begleichen.
Bargeldloses Zahlen ist praktisch, egal ob mit Plastikkarte oder Handy. Es gibt kein Kramen in der Brieftasche, es ist international einsetzbar, die Sorgen um Fremdwährung werden sekundär, es macht Online-Bestellungen möglich und hält bei Verlust durch Sperren und Höchstbetragsgrenzen das Risiko gering. Gäbe es kein Bargeld mehr, wäre auch der Schattenwirtschaft ein Riegel vorgeschoben, meinen Korruptionsbekämpfer. Den zugesteckten Hunderter gäbe es dann nicht mehr. Doch Kritiker warnen vor verborgenen Gefahren.
"Bargeld ist eine Säule unserer Freiheit", erklärt der deutsch-US-amerikanische Ökonom Max Otte. Der ehemalige Professor an der Universität Graz und Leiter des Instituts für Vermögensentwicklung sagt, dass Menschen ohne Bargeld lückenlos überwachbar sind. Tatsächlich hinterlässt jede bargeldlose Zahlung digitale Spuren; der Einkauf kann einer konkreten Person zugeordnet werden. Bargeld hingegen ist anonym. Wer bargeldlos zahlt, dessen Konsumverhalten kann analysiert werden. Sogar Aussagen über die persönlichen Lebensumstände können getätigt werden. Einfaches Beispiel: Eine Frau, die bei ansonsten gleichbleibendem Einkaufsverhalten aufhört, Tampons und Alkohol zu kaufen, ist höchstwahrscheinlich schwanger. Je mehr man über einen Menschen weiß, um so besser kann man ihn manipulieren. "Das sind Methoden, die sich Diktatoren in der Vergangenheit gewünscht hätten, und heute steht das vor der Tür", sagt Otte.
Wenn Daten gehandelt werden
Im besten Fall wird nur - wie es derzeit bereits geschieht - maßgeschneiderte Werbung zugeschickt. Im Fall der Frau wäre das nach ein paar Monaten die neueste Windel-Aktion. In der futuristischen Horrorvision, in der alles digital abläuft, werden diese Daten auch gehandelt. Sie gelangen frühzeitig in die Hände ihres Arbeitgebers, der sie dann noch vor dem offiziellem Attest feuert.
Eine andere Sorge ist, dass man künftig den Geldinstituten vollkommen ausgeliefert wäre. Gibt es kein Bargeld mehr, ist man gezwungen, irgendjemanden mit der digitalen Aufbewahrung zu beauftragen. Doch was, wenn die Banken beschließen, Negativzinsen einzuheben? Dann kommt Argentinienfeeling aus der Jahrtausendwende auf. Abheben kann man dann nichts mehr. Während das Geld vor den eigenen Augen immer weniger wird, sind die Optionen beschränkt: Entweder das Geld so schnell wie möglich ausgeben - was sicherlich die Wirtschaft freut, oder anlegen, was je nach Wahl mit niedrigen bis hohen Risiken verbunden ist. Die Krönung wäre es, wenn das Geldinstitut bankrott geht und damit das ganze dort verbuchte Geld auch futsch ist.
Den Gefahren zum Trotz zeigt der Trend klar in die bargeldlose Richtung. In Schweden schätzt man, dass in acht bis neun Jahren die letzte greifbare Krone über den Ladentisch gehen wird. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, John Cryan, glaubt, dass schon in zehn Jahren Bargeld nicht mehr existieren wird. Es sei so fürchterlich "ineffizient".
"Die Frage, ob Bargeld abgeschafft wird, ist nebensächlich", erklärt wiederum Gerald Gruber, Chef von Mastercard Österreich. Firmen wie die seine, die in den Zahlungsverkehr eingebunden sind, müssen lediglich auf Entwicklungen reagieren, die unaufhaltsam scheinen. In Schweden beginnt sich das Verhältnis zwischen barem und bargeldlosem Zahlungsverkehr bereits umzukehren. Manche Geschäfte akzeptieren gar kein Bargeld mehr, auch Fahrscheine können nur noch mit digitalem Geld erworben werden. Und dies ist nicht etwa staatlich verordnet. Es ist das, wonach es die Kunden verlangt. Studien zeigen: Je jünger, desto affiner zum bargeldlosen Zahlen.
Österreicher sind da noch konservativ. Zu 89 Prozent begleichen sie ihre Rechnungen mit Bargeld (Stand 2015) - das ist EU-Rekord. Doch der generelle Trend in Europa ist auch hier zu spüren. Im Allianz Stadion in Wien kann man nur noch bargeldlos zahlen. Selbiges galt fürs Nova-Rock-Festival. Im Mai hat in Graz ein Bäcker das erste bargeldlose Geschäft Österreichs eröffnet. Der wachsende Online-Handel ist ohnedies nur bargeldlos zu bewerkstelligen.
Mastercard passt sich dieser Realität mit der Entwicklung neuer Apps und sichererer bargeldloser Zahlungsmethoden an. Im digitalen Handel muss es so sicher und so praktisch wie irgend möglich zugehen. "Wenn ich es nicht schaffe, die Zahlung reibungslos zu machen, verliere ich Kunden", erklärt Gruber. Derzeit laufen die Zahlungen noch über Passwort und Code. Das wird bald nicht mehr reichen. Die Zukunft gehört Apps mit biometrischen Daten - dem Bargeld wohl eher nicht.