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Der Einzug aller großen Bargeldnoten sendet Schockwellen durch die indische Wirtschaft. Die Stimmung auf dem Subkontinent droht zu kippen.
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Neu Delhi/Bangkok. (ce) In der Nacht auf den 9. November hat eines der größten wirtschaftlichen Experimente begonnen: Indiens Regierungschef Narendra Modi erklärte Scheine im Wert von 500 und 1000 Rupien, die wertvollsten in Indien, kurzerhand zum unzulässigen Zahlungsmittel. Der Theorie nach klang alles ganz simpel: Die Inder sollten einfach ihre alten Scheine einzahlen, um anschließend zunächst limitierte Beträge wieder abheben zu können - und sie sollten häufiger elektronisch bezahlen.
Allerdings gibt es noch nicht genügend neues Geld. Die Praxis sieht deswegen anders aus: Noch immer stehen viele Inder stundenlang in Warteschlangen vor Automaten und Bankfilialen. Der Wirtschaftskreislauf droht zu erliegen. Während Modis Reform Schockwellen durch die indische Wirtschaft schickt, wird immer klarer, dass auch sein politisches Schicksal daran hängt. Zu Beginn der zweiten Hälfte seiner Amtszeit setzt Modi alles auf eine Karte. "Wenn die Demonetisierung ein Erfolg ist, wird er der unumstrittene Anführer sein", vermutet der frühere indische Ministerpräsident H.D. Deve Gowda. "Wenn sie misslingt, ist er am Ende."
Handel mit Naturalien
Modi preist seine Reform als notwendigen Schlag gegen Korruption, Schattenwirtschaft und Steuerhinterziehung. Tatsächlich ist Steuerhinterziehung ein großes Problem. Erst im Mai wurde bekannt, dass nur rund ein Prozent der Inder überhaupt Einkommenssteuer bezahlen.
Doch was für Transparenz und Ordnung sorgen sollte, bewirkt immer mehr Frust. Vergangene Woche musste die indische Notenbank einräumen, dass sie die Folgen der Reform noch nicht abschätzen kann. Sie halte die Maßnahme zwar prinzipiell für sinnvoll, nach den aktuellen Turbulenzen würden sich viele Vorteile ergeben. Der künftige Ausblick sei angesichts der Demonetisierung allerdings weiterhin unsicher. Wie lange der Bargeldmangel noch anhalten wird, konnten auch die Geldpolitiker nicht sagen.
Es leiden vor allem die Armen. Während die urbane Mittelschicht längst mit Kreditkarte oder Handy zahlt, wickelte die Landbevölkerung ihre Geschäfte bis vor kurzem weitgehend mit Bargeld ab. Nun sei in abgeschiedenen Dörfern überhaupt kein Bargeld mehr im Umlauf, heißt es in Medienberichten. Dort werde jetzt wieder mit Naturalien getauscht. Noch haben hunderte Millionen Inder keinen Zugang zu dieser digitalen Welt: Die Hälfte der Bevölkerung verfügt noch nicht einmal über ein Konto. Für kleine Kaufleute sind Lesegeräte für Kartenzahlungen einfach zu teuer. Gerade einmal ein Drittel der Inder besitzt ein Smartphone, die Netzabdeckung bleibt lückenhaft.
Der indische Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen, derzeit Professor in Harvard, nennt Modis Aktion eine "despotische Aktion".
Wachstumsprognose gesenkt
Angesichts solcher Meldungen hat die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs ihre Wachstumsprognosen für das aktuelle Quartal von mehr als sieben auf vier Prozent gesenkt. Die Analysten des Geldhauses Ambit Capital in Mumbai rechnen für dieses Jahr sogar nur noch mit einem Wachstum von 3,5 Prozent - was in etwa eine Halbierung der Wachstumsrate wäre.
Mittlerweile versucht Modi den Übergang zur bargeldlosen Wirtschaft nicht mehr nur mit der Peitsche, sondern auch mit Zuckerbrot: Diese Woche verkündete er mehrere Anreize, um die Bevölkerung von seiner bargeldlosen Zukunft zu überzeugen: So sollen abgeschiedene Dörfer mit weniger als 10.000 Einwohnern jetzt zwei Kartenlese-Geräte vom Staat gestellt bekommen. Außerdem locken Rabatte bei staatlichen Tankstellen und der Eisenbahn.