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Der "Fall Paterno" ist ein Beispiel dafür, dass die katholische Kirche immer öfter mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs konfrontiert wird. Der Priester Helmut Schüller versteht sich als Anwalt der Opfer und betont, dass aus seiner Erfahrung Beschuldigungen auf diesem Gebiet fast nie haltlos sind.
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In ganz Österreich wurden in den letzten Jahren Anlaufstellen für Personen eingerichtet, die in der katholischen Kirche sexuelle Übergriffe erlebt haben. In Wien besteht seit acht Jahren eine Ombudsstelle für Missbrauchsopfer, die der frühere Generalvikar Helmut Schüller leitet. Bei seiner Stelle sind seit 1996 etwa 100 Personen, die nicht alle zur Erzdiözese Wien gehören, des Missbrauchs verdächtigt worden.
Hinweise auf Übergriffe kommen nur selten von dritter Seite: "In den allermeisten Fällen wenden sich die Opfer direkt und persönlich an die Ombudsstelle."
Voraussetzung dafür, dass die Leute frei reden, ist die Zusicherung absoluter Vertraulichkeit. Nur mit dem Einverständnis des Opfers werden die Vorgesetzten des Beschuldigten, meist der Bischof oder ein Ordensoberer, informiert. Da "von der beschuldigten Person auch Gefahr für andere ausgehen" könnte, "gibt es dann Gott sei Dank oft die Bereitschaft, dass der Name an den Bischof weitergegeben werden darf. Der muss dann überlegen, was zu tun ist."
Die Art der Fälle ist sehr vielschichtig: "Wir haben es mit allen möglichen Varianten zu tun, mit homosexuellem und heterosexuellem Hintergrund. Es geht nicht nur um Minderjährige, wir hatten auch einen Fall mit einer betagten Pflegepatientin. Es geht auch um den Umgang mit erwachsenen Frauen im Seelsorgebereich, aber auch um alle Varianten der Kirche: Priester, Ordensfrauen, Laien, haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter." Gerade in der Kinder- und Jugendarbeit leisten Ehrenamtliche sehr viel Arbeit. Die Täter seien fast immer Männer, es gab nur "sehr selten, aber doch, auch Übergriffe von Ordensfrauen auf Mädchen".
Die Ombudsstelle zeige keinen an, betont Schüller, sie berät aber auf Wunsch die Opfer dabei und auch die kirchlichen Behörden: "Vorgesetzten empfehlen wir immer wieder, dem Beschuldigten eine Selbstanzeige nahe zu legen." Auch bei strafrechtlicher Verjährung des aufgezeigten Falles bestehe für die Kirche sehr häufig Handlungsbedarf: "Ein Bischof kann nicht darüber hinweggehen, wenn das drei Jahre schon verjährt ist, denn das heißt nicht, dass nicht akut Gefahr bestehen kann." Wichtig ist Schüller, den Opfern so weit wie möglich kirchliche Hilfe anzubieten.
Die Sorge, dass viele haltlose Beschuldigungen erhoben werden, teilt er nicht, damit hätte man bei einer Zeitung oder einem Anwalt mehr Effekt als bei einer kirchlichen Stelle. Die an ihn herangetragenen Fälle waren "so gut wie nie" aus der Luft gegriffen: "Gar nichts dran war nie. Es war nicht immer sexueller Missbrauch, aber zumindest die Anzeige eines problematischen Verhaltens."
Schüller verhehlt aber nicht: "Die Opfer haben in aller Regel ganz schlechte Karten. Die Täter sind meist allseits beliebte, charismatische Leute. Die Unschuldsvermutung ist ein kostbares Gut, sie wird aber gerne als reines Abwehrmittel eingesetzt." Oft wende sich die Stimmung in einer Gemeinde gegen das Opfer.
Die schwierigste Situation bestehe dann, wenn ein Fall nicht geklärt sei: "Manchmal steht Aussage gegen Aussage. Aber sowohl die Qualität der Aussage als auch die Reaktion des Beschuldigten lassen einUnbehagen zurück. Ich nenne das die nicht zweifelsfrei entlasteten Personen."
Bei den Tätern gehe es "vor allem um eine Krankheit". Sie hätten ihre Impulse nicht unter Kontrolle, wollten sich das selbst aber nicht eingestehen. In Rom sei bei einem Symposion zu diesem Thema für "Barmherzigkeit" plädiert worden. Dazu meint Schüller: "Barmherzigkeit kann der Deckmantel für Nichtstun und Feigheit sein. Die strenge, aber hilfeorientierte Behandlung von Tätern ist wesentlich barmherziger als das Wegschauen."