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Barrierefrei zur Kinder-Uni

Von Christoph Rella

Wissen
Schauplatz der "Kinder-Uni" ist der Campus im Alten AKH. Foto: rel

Dank "Tagestickets" sind 135 sozial bedürftige Kinder mit dabei. | Programm am Campus läuft noch eine Woche. | Wien. "Ich heiße Lena und meine Lieblingsfarbe ist Rot." Die Volksschülerin reicht den bunten Wollknäuel ihrer Nachbarin Zahir (Name von der Redaktion geändert) weiter. Den abgerollten Faden behält sie in der Hand. "Ich mag alle Farben", antwortet Zahir in einwandfreiem Deutsch, während sie das Knäuel weitergibt.


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Man sieht dem Mädchen die Herkunft aus Tschetschenien kaum an. Sie könnte genauso für eine Österreicherin gehalten werden. Was sie mit den österreichischen Kindern, die am Mittwochvormittag im Seminarraum 1 des Instituts für Slawistik am Uni-Campus im 9. Bezirk Platz genommen haben, gemeinsam hat? Ihre Familie gilt als sozial bedürftig. Die Eltern, die vor Jahren nach Wien geflohen sind, haben weder Geld noch Status. Eine Universität hat Zahir noch nie von innen gesehen.

Dass das Flüchtlingskind überhaupt am Programm der "Kinder-Uni", das noch bis Ende kommender Woche an den Wiener Universitäten angeboten wird, teilnehmen konnte, hat sie einer Initiative des Sozialministeriums zu verdanken. Zahir ist im Besitz eines sogenannten "Tagestickets", Busfahrt zur Universität und Mittagessen inklusive. "Kinder aus sozial schwachen Familien mit Migrationshintergrund sind für uns nur sehr schwer zu erreichen", erklärt Sonja Siegert vom Kinderbüro der Universität Wien. Asylsuchende und Flüchtlinge würden sich nicht mit der Selbstverständlichkeit zur Kinder-Uni anmelden wie etwa gut situierte Familien. "Da gibt es sehr viele Barrieren", sagt sie. Unterstützt werden die Organisatoren der Aktion "Tagesticket" von etablierten Flüchtlingsbetreuungs-Stellen wie etwa der Caritas, der Diakonie oder den Vereinen Interface und Ute Bock. Und das mit Erfolg: 135 Kinder haben sich bereits für das betreute Programm registriert. Dabei können sie genauso wie alle anderen rund 25.000 Teilnehmer aus dem Angebot der Alma Mater, der Technischen und der Medizinischen Universität frei wählen.

Einer, der ein "Tagesticket" ergattert hat, ist der 13-jährige Alexander aus Guntramsdorf. Von Baden aus geht die Reise mit dem Autobus direkt nach Wien. "Karli", der Buschauffeur, begrüßt die Kinder freundlich und bittet sie, die Kaugummis im Mistkübel zu entsorgen. "Meine Mama hat mir erzählt, dass es diese Uni für Kinder gibt und ich mitfahren könnte", erzählt Alexander. Außerdem habe er schon immer wissen wollen, was man in einer Universität tut, "was man da studieren kann".

30.000 Euro vom Ministerium

Sein Traum? "Ich will Schriftsteller werden", sagt Alexander. "Ich habe schon drei Bücher geschrieben, eine Fantasy-Geschichte, einen Gefängnis-Roman sowie eine Komödie über Romeo und Julia." Um seinen Berufswunsch zu verwirklich, will Alexander einmal studieren. Die Chance, den tertiären Sektor näher kennenzulernen, will er nun nutzen - mithilfe des "Tagestickets".

Finanziert wird das Projekt, das zum ersten Mal seit dem Start der Kinder-Uni vor 13 Jahren angeboten wird, vom Sozialressort und der EU-Kommission. 30.000 Euro wurden bereitgestellt. Damit werden 13 Busfahrten sowie die Personalkosten für das Betreuerteam rund um Sonja Siegert bestritten. "Durchschnittlich sind jeden Tag so zwischen 20 und 30 Kinder mit uns unterwegs", erzählt Siegert beim Mittagessen im nahen Universitätsbräu. Es gibt Pasta, Saft und Salat. Den Kindern schmeckt es ausgezeichnet.

Ebenfalls gekommen ist Sozialminister Rudolf Hundstorfer, "um sich ein Bild zu machen", wie er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" sagt. Der Politiker setzt sich zu einigen Kindern, um daraufhin scherzend festzustellen, "in einer tschetschenischen Kolonie gelandet" zu sein. Immerhin hätten die Kinder hervorragend Deutsch gesprochen, "viele von denen besuchen sogar eine AHS", sagt er. Allerdings sei es eine Schande, dass oft solche Menschen, die sprachlich bestens integriert sind, abgeschoben werden. Denn: "Integration hat mit Bildung zu tun." Dafür, nämlich um sozial benachteiligten Menschen den Zugang zur Universität auch weiterhin zu erleichtern, sei auch die Aktion "Tagesticket" ins Leben gerufen worden, so Hundstorfer. Ob es aber nächstes Jahr wieder Geld für diese Aktion geben wird, will der Minister nicht bestätigen: "Die Mittel sind über eine Sonderfinanzierung aufgebracht worden - es wird sicher Geld geben, über die Höhe kann ich aber noch nichts sagen."

Eine, die 2011 möglicherweise nicht mehr bei der Kinder-Uni mitmachen wird, ist Zahir. Grund: Sie könnte demnächst in ein "sicheres Drittland" oder gar in die Heimat abgeschoben werden. Anstatt mit einem "Tagesticket" würde das Mädchen mit einem Flugticket versorgt und aus Österreich rausgeworfen. Und den übrigen Kindern würde es wahrscheinlich nicht einmal auffallen.