Kritik: Ein Umbau zu Barrierefreiheit ist nicht gesetzlich verpflichtend.
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Wien. Behindertenorganisationen kritisieren, dass das Behindertengleichstellungsgesetz zwar Barrierefreiheit zum Ziel hat - ein Umbau ist aber nicht verpflichtend. Konkret kann bei Diskriminierung in Gebäuden mit "Publikumsverkehr" wie Ämter, Geschäfte, Schulen, Sportstätten, Seniorenheime und Veranstaltungshallen auf Schadenersatz geklagt werden (siehe Infokasten). "Wir fordern einen Beseitigungsanspruch, nicht nur einen Schadenersatzanspruch", sagt Martin Ladstätter vom Verein Behindertenberatungszentrum "Bizeps".
Die Einführung eines Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs ist auch in der Evaluierung des Behindertengleichstellungsgesetzes im Auftrag des Sozialministeriums eine Handlungsempfehlung: "Schadenersatz führt weder zu einer Verbesserung der Situation für Menschen mit Behinderung noch zu einer raschen Herstellung von Barrierefreiheit im Sinne des Behindertengleichstellungsgesetzes. Konsequenterweise sollte, sofern der gesellschaftliche Wunsch nach umfassender Barrierefreiheit vorhanden ist und umgesetzt werden soll, eine Klagemöglichkeit auf Unterlassung möglich sein", heißt es in der Evaluierung. Hier legt sich allerdings dem Bericht zufolge die Wirtschaftsseite quer.
Im Sozialministerium wird das Gesetz "nicht als zahnloses Ins-trument" gesehen: "Das Gesetz zeigt mit der ,Schadenersatzkeule‘ Wirkung." Bisher habe es zum Beispiel mehr als 1000 Schlichtungsverfahren gegeben, bei dem die Betroffenen durchwegs erfolgreich waren und Schadenersatz bekommen haben oder ihnen ein Umbau zugesichert wurde.
"Oft Design im Vordergrund"
Sind Einrichtungen, die aus öffentlichen Mitteln gefördert werden, ab 2016 nicht barrierefrei, erhalten sie keine Förderungen mehr. Im Familienministerium wird geschätzt, dass von den insgesamt rund 400 Familienberatungsstellen bis Ende 2012 voraussichtlich bis zu 50 Prozent barrierefrei zugänglich sein werden. "Für die allermeisten übrigen Stellen gibt es schon jetzt konkrete Adaptierungspläne", heißt es aus dem Ministerium.
Förderungen für einen nötigen Umbau gibt es keine, was betroffene Stellen vor finanzielle Probleme stellt. "In unserem Gebäude in Salzburg kann nicht umgebaut werden, deshalb werden wir übersiedeln müssen. Wir stehen dem Anliegen, Gebäude barrierefrei zugänglich zu machen, positiv gegenüber. Bei der Umsetzung fühlen wir uns aber alleingelassen", sagt Christian Schacht von der Sexualberatungsstelle Salzburg.
"Barrierefreiheit wird oft mit rollstuhlgerecht gleichgesetzt - es betrifft aber auch Seh- oder Gehörbeeinträchtigte", betont Helga Bachleitner, Sprecherin der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs. "Leider steht beim Bauen oft das Design im Vordergrund. Dunkelgraue Schrift auf schwarzem Hintergrund ist aber auch für Ältere schwer lesbar", so Bachleitner.
Wissen: Behindertengleichstellungsgesetz
Das seit 2006 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz hat zum Ziel, Diskriminierungen von Menschen mit Behinderung zu verhindern und zu beseitigen und eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe in der Lebens- und Arbeitswelt zu ermöglichen. Eine mittelbare Diskriminierung liegt laut Gesetz allerdings nicht vor, wenn die Beseitigung von Barrieren rechtswidrig oder wegen unverhältnismäßiger Belastungen unzumutbar wäre. Der Umbau ist nicht verpflichtend, sondern es besteht ein Schadenersatzanspruch.
Fühlt sich jemand diskriminiert, kann er ein Schlichtungsverfahren vor dem Bundessozialamt einleiten. Sind die Fronten verhärtet, kann vor Gericht geklagt werden.