Nach zehn Jahren Übergangsfrist tritt zum 1. Jänner das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz voll in Kraft - es wäre noch ausbaufähig.
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Was würden Sie tun, wenn Sie sich zu einem Abendessen zu zweit verabredet haben, aber feststellen: Das Restaurant hat keine geeignete Toilette für Sie? Sie gehen sicher ins nächste Restaurant. Und wenn Sie dort feststellen müssen, dass auch dieses keine Toiletten für Sie hat? Ein unvorstellbares oder unrealistisches Szenario? Für Menschen mit Behinderungen ist genau das Alltag. Die wenigsten Restaurants in Wien sind auf Rollstühle eingestellt, um nur ein Bespiel zu nennen. Das heißt, es gibt keine barrierefreie Toilette oder man kommt aufgrund von Stufen gar nicht erst hinein.
Damit Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, hat der Gesetzgeber bereits vor zehn Jahren beschlossen, Unternehmen und Dienstleister zur Barrierefreiheit zu verpflichten.
Diese Regelung tritt somit keineswegs über Nacht in Kraft, wie einige Politiker und Medien behaupten, sondern es gab eine Übergangsfrist von nicht weniger als zehn Jahren für das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz, das zum 1. Jänner 2016 voll in Kraft tritt. Das Sozialministerium hat der Wirtschaft rund 26 Millionen Euro für Umbaumaßnahmen zur Verfügung gestellt. Das Interesse war sehr gering.
Ab Jänner müssen bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung und andere gestaltete Lebensbereiche barrierefrei zugänglich sein. Allerdings mit einer wichtigen Einschränkung: Die Maßnahme muss dem Geschäftsinhaber wirtschaftlich zumutbar sein. Vor einer Klage ist ein Schlichtungsverfahren beim Sozialministeriumsservice durchzuführen. Damit soll abgeklärt werden, ob eine außergerichtliche Einigung erreichbar ist.
Diskriminierung passieren oft aus Unwissenheit und können in einem Gespräch beseitigt werden. Funktioniert das nicht, kann geklagt werden. Realistischerweise ist also nicht mit einer Klagewelle zu rechnen.
Trotzdem bin ich mir sicher, dass Menschen mit Behinderungen ihre Rechte künftig mehr und mehr wahrnehmen werden. Wir haben lange genug darauf gewartet, endlich gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben zu können. Jeder Geschäftsinhaber, der für ein paar hundert Euro eine Rampe anschafft, trägt dazu bei - und gewinnt zudem Kunden. Weil das nicht jeder versteht, hat der Gesetzgeber Barrierefreiheit zur Verpflichtung erhoben.
Dennoch: Menschen mit Behinderungen können zwar auf Schadenersatz klagen, aber sie können nicht einklagen, dass die Barriere beseitigt wird. Bisher ist eine Anordnung zur Beseitigung der Barriere im Gesetz nicht vorgesehen.
Das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz ist zehn Jahre alt. Seither hat sich auch das gesellschaftliche Verständnis verbessert, dass Menschen mit Behinderungen nicht an den Rand, sondern in die Mitte der Gesellschaft gehören. Damit sollte es heute möglich sein, nicht nur die Zahlung von Schadenersatz einzuklagen, sondern auch zu verlangen, dass die Barriere selbst beseitigt wird. Dafür bedarf es einer Gesetzesänderung. Österreich würde damit mit anderen Ländern aufschließen, in denen behinderte Menschen bereits heute die Beseitigung der Diskriminierung einfordern können. Es ist Zeit dafür. Die Gesellschaft ist in dieser Beziehung weiter, als die Politik glaubt.