Ein Schritt trennt José Manuel Barroso noch vom mächtigsten EU-Amt in Brüssel: Diese Woche muss sich der designierte neue EU-Kommissionspräsident dem Votum des Europäischen Parlaments stellen, das heute in Straßburg zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommt. Die Chancen, dass der frühere portugiesische Ministerpräsident das Vertrauen der Parlamentarier bekommt, stehen allerdings gut.
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Für einen Erfolg braucht Barroso die Stimmen von mindestens 367 der insgesamt 732 Abgeordneten. Zählen kann der konservative Politiker zumindest auf die 268 Stimmen der Europäischen Volkspartei (EVP). Eine Schlüsselrolle fällt vor allem den 200 Abgeordneten der europäischen Sozialdemokraten zu. Wie bei allen Fraktionen, trat der Kandidat vergangene Woche auch bei der SPE zur Anhörung an. Die Mehrheit der Abgeordneten sei aber "nach wie vor sehr skeptisch", hieß es anschließend in Fraktionskreisen.
Zustimmung hatten lediglich die 24 SPE-Abgeordneten aus Spanien und die 19 Kollegen aus Großbritannien signalisiert, also insgesamt 43. Am Mittwoch wird Barroso vor dem Plenum seine Bewerbungsrede halten. Eine Entscheidung über ihre Haltung wollen die Sozialdemokraten erst danach treffen. Die entscheidende Abstimmung am Donnerstag ist geheim, so dass der Fraktionsdruck kaum Bestand haben dürfte. Besonders der deutsche SPE-Fraktionsvorsitzende Martin Schulz hat sich mehrfach kritisch zur Nominierung des Portugiesen geäußert.
Zu Hilfe kommen könnten Barroso die Liberalen. Nachdem sich die bürgerliche französische Partei UDF deren Fraktion angeschlossen hat, stellen die Europäischen Liberalen jetzt 88 Mandate. Fraktionschef Graham Watson betonte nach der Anhörung vergangene Woche, der Kandidat sei "gut angekommen". Wie die Sozialdemokraten wollen auch die Liberalen aber abwarten, welche Zugeständnisse ihnen Barroso in seiner Rede am Mittwoch machen wird.
Die 42 Abgeordneten der Grünen werden dagegen aller Voraussicht nach genauso gegen Barroso stimmen wie die 41 Parlamentarier der Vereinigten Linken und die 33 Mitglieder der euroskeptischen Fraktion. Je nach politischer Couleur wird dem Kandidaten seine US-freundliche Haltung im Irak-Konflikt, eine zu wirtschaftsliberale Politik sowie zu wenig Engagement für den Umweltschutz oder die Schaffung von Arbeitsplätzen vorgeworfen. In den Anhörungen versuchte Barroso, die Kritik teilweise zu entkräften.
"Ich bin kein Konservativer", rief der Kandidat, der sich in seiner Studentenzeit als Maoist engagiert hatte, etwa den Sozialdemokraten zu. "Ich sehe mich eher als einen Reformer der Mitte."
Dass der mittlerweile zum konservativen Lager gehörende Politiker dem Irak-Krieg zustimmte, führte er auf sein Amt zurück: "In einem Konflikt zwischen einem Alliierten und Saddam Hussein kann ich nicht neutral bleiben", sagte er. "Aber ein Kommissionspräsident entscheidet anders als ein Regierungschef, der im nationalen Interesse handeln muss."
Klar ist jedenfalls, dass eine Mehrheit der Abgeordneten nach dem manchmal diffus wirkenden Romano Prodi einen starken Kommissionspräsidenten will. Und diesen Eindruck konnte der Portugiese durchaus vermitteln.