Barroso adaptiert seine Politik. | Formell für zweite Amtszeit nominiert. | Brüssel. Die formelle Bestätigung der Mitgliedsstaaten hat Jose Manuel Barroso seit Donnerstag in der Tasche. Sie wollen ihn für weitere fünf Jahre an der Spitze der EU-Kommission, beschlossen sie rechtlich verbindlich. Doch damit ist es für den Kommissionspräsidenten noch nicht vorbei: Zumindest bis zur Abstimmung im EU-Parlament, die auf September verschoben wurde, wird er sich wohl weiter sehr defensiv verhalten. Schon für die Unterstützung der Mitgliedsstaaten soll er den Staats- und Regierungschefs unablässig in den Ohren gelegen sein. Jetzt muss er versuchen, die Mehrheitsmacher im Parlament zufrieden zu stellen.
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So wandte er sich nach der Verkündung seiner formellen Nominierung durch den schwedischen Premier und EU-Vorsitzenden Fredrik Reinfeldt per Brief an den scheidenden Parlamentspräsidenten Hans-Gert Pöttering: "Das letzte Wort hat das Europäische Parlament", schreibt er. Für Treffen mit Fraktionsspitzen stehe er selbstverständlich immer zur Verfügung.
Besonders unangenehm dürften da die Beratungen mit dem Chef der Sozialdemokraten werden. Denn der SPD-Politiker Martin Schulz hat bisher keine Gelegenheit ausgelassen, Barroso öffentlich Unfähigkeit vorzuwerfen. Schulz verspürt offenbar Rückenwind, weil die Verschiebung der Abstimmung über den Kommissionspräsidenten auf Herbst gelungen ist: "Verbindliche Garantien" für eine sozialere Politik wolle er verlangen - und sozialdemokratische Kommissare für die Bereiche Industrie, Handel, Binnenmarkt, Soziales und Entwicklungspolitik. Allerdings ist auch Schulzens Spielraum nach der De-facto-Vereinbarung einer großen Koalition mit der Europäischen Volkspartei (EVP) gering; am Ende führt an Barroso wohl kein Weg vorbei.
EVP diktiert Barrosoihre Wünsche
Denn neben allen Mitgliedsstaaten unterstützt den Portugiesen auch die größte Parlamentsfraktion, die EVP. Diese diktiert dem Kommissionspräsidenten dafür verbindlich ihre Wünsche: Ein schönes Beispiel dafür ist der seit Monaten angekündigte und jetzt in der Schublade verschwundene EU-Gesetzesvorschlag für Sammelklagen gegen Kartelle. Mit diesem Vorzeigeprojekt wollte Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes Konzernen die Bildung von Kartellen endgültig versalzen.
Ähnlich wie in den USA sollten Verbraucherschutzverbände und Vereinigungen von Klein- und Mittelbetrieben oder auch dazu befugte Anwälte für eine von ihnen geschätzte Anzahl potentiell Geschädigter Milliardenklagen auf Schadensersatz einreichen können. Denn selbst die immer neuen EU-Rekordstrafen gegen Kartelle seien noch zu wenig, bei einem angerichteten Schaden von mindestens 13 Milliarden Euro pro Jahr, so die Logik.
Barroso habe den Gesetzesvorschlag zur Chefsache gemacht, um ihn noch vor dem Sommer durchzupeitschen, hieß es im Juni. Doch dann bekam er einen Brief des EVP-Fraktionsführers Joseph Daul. Der warnte ihn, dass "ein zu radikal formulierter Kommissionsvorschlag" ein "politischer Irrtum" wäre. Denn immerhin würden die Sammelklagen einer der "politisch umstrittensten Punkte" der kommenden Legislaturperiode - der Gesetzesvorschlag verschwand umgehend von Barrosos Agenda.
Immerhin dürften die Staats- und Regierungschefs erleichtert sein, dass die Nominierung der Mitgliedsländer formalisiert wurde. Sein fortwährendes Werben um Unterstützung ließ zuletzt sogar der besonders kooperativen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel den Kragen platzen: "Jose, ich unterstütze dich doch, aber lass mich jetzt in Ruhe", sagte sie laut "Spiegel" zum Kommissionspräsidenten.