Zum Hauptinhalt springen

Barroso: Lage der Roma "inakzeptabel"

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Frankreich will Integration der Roma vorantreiben. | Brüssel. Die Lage der Roma in der EU sei "dramatisch". Sie lebten unter Bedingungen, die für das 21. Jahrhundert inakzeptabel seien, sagte EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso vor rund 500 Teilnehmern der ersten EU-Romakonferenz gestern, Dienstag. | Mehr zum Thema: | Europas Ausgestoßene in Bedrängnis


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Mit dem Wandel der neuen Mitgliedsstaaten von kommunistischen zu kapitalistischen Ländern und dem darauf folgenden EU-Beitritt habe sich die Situation für die Roma noch verschlechtert, erklärte der US-Finanzinvestor George Soros. Damals hätten sie wenigstens Wohnungen und Arbeit zugewiesen bekommen. Heute seien die Jobs - etwa in der Schwerindustrie - wegrationalisiert.

Und der Registrierung von Roma per Fingerabdruck, wie in Italien angedacht, erteilte er eine scharfe Rüge: Die Erstellung von ethnischen Profilen sollte illegal sein, sagte Soros, der sich mit seinem Open Society Institute für die Rechte der größten Minderheit Europas einsetzt. Er hoffe, der Europäische Gerichtshof werde das bestätigen.

Doch die größten Problemfelder wie Bildung, Arbeitsmarkt und Wohnbau unterliegen der Kompetenz der Mitgliedsstaaten, erinnerte Barroso. Brüssel könne nur koordinierend zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Roma beitragen.

So versprach Christine Boutin - sie ist Wohnbauministerin des EU-Vorsitzlandes Frankreich - eine koordinierte Herangehensweise der Mitgliedsstaaten noch heuer auf den Weg zu bringen. Die soll von den EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Treffen im Dezember beschlossen werden. Boutin erinnerte die Roma-Vertreter allerdings daran, dass mit Bürgerrechten auch Verpflichtungen verbunden seien.

Weder Boutin noch Sozialkommissar Vladimir Spidla wollten indes den vom Vorsitzenden des deutschen Zentralrats der Roma und Sinti, Romani Rose, bemühten Begriff der Apartheid in der EU gelten lassen. Tatsächlich gebe es aber leider "viel zu oft rassistische Phänomene und Diskriminierung", räumte Spidla ein. Die Kommission werde alle möglichen Maßnahmen ergreifen, um die ungleiche Behandlung von EU-Bürgern aufgrund ethnischer Unterschiede zu verhindern, kündigte er an. Denn schließlich seien Nichtdiskriminierung, Reise- und Niederlassungsfreiheit und Datenschutz sehr wohl auf EU-Ebene geregelt.

Wissen: Roma

Immer hat man versucht, sie sesshaft zu machen - haben wollte sie aber keiner. Dies scheint das Dilemma der "Zigeuner" zu sein, die man lange unter diesem negativ behafteten Sammelbegriff zusammenfasste. Seit einigen Jahren hat sich in Europa die Diktion "Roma und Sinti" durchgesetzt, obwohl weitere Gruppen wie die "Gitanos" in Spanien existieren.

Traditionell konfrontiert mit Vorurteilen wie dem "Wandertrieb" sowie überschäumender Sexualität, sollten die Roma zur Sesshaftigkeit gezwungen werden, obwohl die betroffenen Gemeinden alles taten, um sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden.

Ab dem 14. Jahrhundert kamen die Roma von Indien nach Mitteleuropa, wo sie als Kesselflicker, Pferdehändler oder Musiker Heere begleiteten. Mit der Bildung erster europäischer Nationalstaaten in der frühen Neuzeit verdichtete sich das administrative und juristische Netz, welches immer weniger Raum für das vormoderne Lebensmodell der umherziehenden Roma ließ. Im Habsburgerreich zielten die Gesetze auf Vertreibung und Zwangsassimilation ab. Nach der NS-Zeit, in der 200.000 bis 500.000 Roma ermordet wurden, blieben sie behördlichen Schikanen ausgesetzt.