Pochen auf eine EU-Vertragsänderung. | Diplomatie der Hauptstädte soll gestoppt werden.
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Brüssel. Seit einer gefühlten Ewigkeit war von Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso kaum mehr etwas zu hören. Mit seiner Grundsatzrede zur Lage der Union meldete er sich am Mittwoch vor dem Plenum des Europäischen Parlaments kraftvoll zurück. Freilich hatte er einen Leitfaden für seinen Auftritt gewählt, der der Mehrheit der EU-Abgeordneten gut gefällt: Der Ausweg aus der Krise müsse über mehr europäische Integration beschritten werden, die EU-Institutionen sollten wieder die Führungsrolle übernehmen. Vom Zeitpunkt her überraschend erfüllte er auch den lange vom Parlament gehegten Wunsch nach einer Finanztransaktionssteuer. Barroso stemmte sich gegen eine Wirtschaftsregierung der Mitgliedstaaten, bei denen Kommission und EU-Parlament nichts mehr mitzureden hätten - solche neuen Institutionen "brauchen wir nicht", rief er unter dem Applaus der Abgeordneten. "Die Kommission ist die Wirtschaftsregierung", donnerte er in Richtung Berlin und Paris, ohne die beiden direkt zu erwähnen. Die EU stehe angesichts der Krise vor "der größten Herausforderung ihrer Geschichte".
Nach der Verabschiedung des verschärften Stabilitätspaktes ("Six-Pack") im EU-Parlament kündigte er einen Vorschlag über die weitere wirtschaftliche Integration der Eurozone und deren Zusammenhalt mit der restlichen EU an. "Es war eine Illusion zu glauben, dass wir eine gemeinsame Währung und einen Binnenmarkt haben können mit nationalem Herangehen", sagte der Portugiese. Das könne vielmehr zum "Tod des geeinigten Europas, wie wir es wollen" führen. Für einen glaubwürdigen Euro bedürfe es neben der weiteren Abgabe von Kompetenzen an Brüssel - Barroso nennte das "Integration" - auch mehr Disziplin bei der Haushalts- und Wirtschaftsführung.
Eurobonds bei strikter Haushaltsführung
"Dann können wir selbstverständlich auch gemeinsam Schulden aufnehmen und Eurobonds einführen. Die Bedingung ist, dass es sich dabei um Stabilitätsbonds handelt." Der Kommissionspräsident will demnächst dazu ein Optionenpapier vorlegen. Nicht nur dafür "müssen wir uns überlegen, ob es nötig ist, weitere Veränderungen am Lissabonner Vertrag vorzunehmen."
Denn vor allem die immer noch bei wichtigen Entscheidungen notwendige Einstimmigkeit der EU-Staaten stört Barroso: "Es kann nicht sein, dass das langsamste Mitgliedsland das Tempo diktiert. So ein Veto ist nicht akzeptabel, wenn einer alle anderen blockiert."
Finanzsektor zahle zu wenig Steuern
Mehrfach von Beifall unterbrochen, ließ der Kommissionspräsident die Katze schließlich aus dem Sack: Mit 4,6 Billionen Euro hätten die Steuerzahler dem Finanzsektor in der Krise unter die Arme gegriffen. "Jetzt ist es Zeit, der Gesellschaft etwas zurückzugeben." Schon heute (Mittwoch) präsentiere er sein Modell einer Finanztransaktionssteuer (siehe Artikel unten). Es sei eine "Frage der Fairness" nicht Arbeit oder Konsum mehr zu besteuern sondern den ohnehin zu wenig zum Steueraufkommen beitragenden Finanzsektor. Fast im gleichen Atemzug betonte er aber auch ein für Österreich sensibles Thema: Fortschritte müsse es endlich bei der Zinsbesteuerung geben - das Thema erregt in Wien unter dem Schlagwort Bankgeheimnis die Gemüter. Die Kommission brauche endlich ein Mandat, um Abkommen zur Schließung der Steuerlücke bei Spareinlagen mit europäischen Nicht-EU-Ländern (Schweiz, Liechtenstein, etc.) zu verhandeln.
Schließlich erklärte Barroso noch, dass Griechenland in der Eurozone bleiben werde, und verbat sich indirekt Kritik am Vorgehen gegen die Euro- und Schuldenkrise durch US-Präsident Barack Obama. "Ich fühle mich gekränkt, wenn Menschen irgendwo auf der Welt Europa bevormunden wollen und uns sagen, was wir tun sollen." Zum Abschluss zitierte er noch den südafrikanischen Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela: "Es sieht immer unmöglich aus, bis es erledigt ist."
Im EU-Parlament bekam der Kommissionspräsident für seinen Auftritt anhaltenden Applaus. "Herzerwärmend" seien Barrosos Ausführungen gewesen, erklärte Joseph Daul danach, der Fraktionspräsident der Europäischen Volkspartei. "Wir haben lange darauf gewartet, endlich hat sich der Kommissionspräsident kämpferisch gezeigt", lobte auch der Vorsitzende der Sozialdemokraten Martin Schulz, der den Portugiesen viele Jahre kritisiert hatte. Einen "Sprung nach vorne", sah auch die Vorsitzende der Grünen, Rebecca Harms.