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Bart der Stunde

Von Daniel Bischof

Politik

Hinterbänkler Jeremy Corbyn ist bei der Wahl zum Labour-Parteichef am Samstag Favorit.


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Wien/London. Wie konnte es nur so weit kommen? Verzweiflung und Wut machen sich unter den moderaten Abgeordneten der britischen Labour-Partei breit. Resigniert sehen sie ihre Partei bei der Wahl des neuen Vorsitzenden in eine katastrophale Zukunft driften. Sie befürchten einen irreversiblen Fehler, der Labour bei Wahlen nicht mehr mehrheitsfähig macht. Sogar von einer Aufspaltung der Partei ist die Rede. Die Ursache für die Untergangsstimmung liegt in der Person von Jeremy Corbyn, einem 66-jährigen Abgeordneten, den der britische "Guardian" jüngst als "ewigen Hinterbänkler" bezeichnete. Der politisch stark linksgerichtete Corbyn gilt für die Wahlen zum Labour-Parteichef in den Umfragen und bei den Buchmachern als klarer Favorit. Am Samstag steht das Ergebnis fest - seit Mitte August können registrierte Wähler ihre Stimmen abgeben.

Corbyns Forderungen nach mehr staatlichen Investitionen, höheren Steuern für Reiche und der Verstaatlichung der Bahn und Energieversorger sind besonders bei den jungen Briten populär. Teile von Labour befürchten jedoch, dass die Partei mit Corbyn einen zu starken Linksdrall bekommt, der Labour für die Mehrheit der Briten unwählbar macht.

"Die Wahl Corbyns könnte Labour für eine lange Zeit kompromittieren", sagt Lincoln Allison im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Laut dem Professor für Politik und internationale Studien an der britischen University of Warwick könnte Corbyn zwar in London und nördlichen Industriestädten punkten. Dagegen hätte seine Linkspolitik in zahlreichen konservativen Wahlkreisen - wie beispielsweise in Mittelengland - keine Chance. Eine Labour-Mehrheit bei Parlamentswahlen würde sich so niemals ausgehen, so Allison. Sollte Corbyn Parteichef werden, würden wirtschaftsfreundlichere Labour-Stimmen zu den bei den letzten Wahlen dezimierten Liberaldemokraten abwandern.

Corbyns Wahl könnte im traditionell linken Schottland, dass einst eine Labour-Hochburg war und sich nun in den Händen der Scottish National Party (SNP) befindet, zwar Teile der SNP-Führung beeinflussen. "Ich glaube aber nicht, dass sie Auswirkungen auf die schottische Unabhängigkeitsbewegung an der Basis haben wird", sagt Allison.

Neues Wahlrecht hilft Corbyn

Als Grund für den rasanten Aufstieg Corbyns wird oftmals die Änderung des Wahlsystems für den Posten des Labour-Parteichefs genannt - seit Anfang 2014 gilt das Prinzip "eine Person, eine Stimme". Nicht nur Labour-Parteimitgliedern und Personen, die über eine Labour nahestehende Gewerkschaft oder Organisation angemeldet werden, können an der Wahl teilnehmen. Auch jeder andere britische Wahlberechtigte kann sich für den Betrag von drei Pfund an dem Votum beteiligen.

"Labour hat sich ein wirklich dummes Wahlsystem gegeben", sagt Allison dazu. Ein Labour-Abgeordneter formuliert es im "Guardian" noch drastischer: "Wir haben es zugelassen, dass unsere Partei von Leuten gekidnappt wird, die sich für drei Pfund einkaufen." Unter die neuen Drei-Pfund-Wähler sollen sich auch einige Konservative gemischt haben, die für Corbyn votieren. Sie hoffen, dadurch Labour den Todesstoß zu versetzen.

Neben der Schwäche seiner farblosen Rivalen um das Amt erweist sich Corbyn als geschickter Wahlkämpfer. Als einziger Kandidat platzierte er auf seiner Website einen Link zur Drei-Pfund-Registrierung - ein Schritt, der im Zeitalter der Internet-Wahlkämpfe eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Bisher spielte Corbyn, der seit 1984 als Abgeordneter für den Londoner Bezirk Islington North im britischen Parlament sitzt, in der Politik nur eine unbedeutende Rolle.

Der Rebell stimmte seit 1997 über 500 Mal gegen die Parteilinie. Neben seinem Einsatz gegen den Irak-Krieg fiel er unter anderem damit auf, fünf Mal in Folge den Preis für den "Parlamentarischen Bart des Jahres" gewonnen zu haben. Doch innerhalb weniger Wochen drängte sich Corbyn aus dem politischen Nirvana in das Licht der Öffentlichkeit.

Die britischen Parlamentswahlen im Mai endeten in einem Triumph für die konservativen Tories unter Führung von Premier David Cameron. Sie erreichten die absolute Mehrheit. Labour erlitt eine vernichtende Niederlage, in deren Zuge Parteichef Ed Miliband zurücktrat. Labour begab sich daraufhin auf die Suche nach einer neuen Führung. Vier Kandidaten finden sich - darunter auch Corbyn, dessen Kandidatur anfangs als Witz angesehen wird.

"Politische Debatte verbreitern"

Nur mit viel Mühe gelangt er überhaupt zu seiner Nominierung, für die es der Stimmen von 35 Labour-Abgeordneten bedarf. Anfangs fehlt ihm die erforderliche Zahl. Dank einiger "Charity-Nominierungen" von Parlamentariern, welche mit Corbyn die "politische Debatte verbreitern wollen", gelingt ihm dann doch die Kandidatur. Falls Corbyn gewählt werden sollte und sich der Niedergang der Labour-Partei bewahrheitet, sieht Allison einen möglichen Ausweg: Da Corbyn sich bereits in einem fortgeschrittenem Alter befinde, könnte es bis zu den Parlamentswahlen 2020 für Labor eine gesichtswahrende Möglichkeit geben, Corbyn wieder loszuwerden, spekuliert Allison.