Votum am Sonntag für Machthaber reine Formsache. | Lukaschenko weiß das Volk hinter sich. | Minsk. Will Alexander Lukaschenko eigentlich wieder Präsident von Weißrussland werden? Nach gewöhnlichen europäischen Verhältnissen zu urteilen, wohl nicht: Keine Dreiecksständer, keine Plakate mit dem Konterfei des Favoriten zieren die Hauptstadt Minsk, und fährt man über das weite Land, wird man ebenfalls vergeblich nach Anzeichen suchen, dass der Wahlkampf für die am Sonntag stattfindenden Präsidentenwahlen in seine Endphase geht.
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Einzig ein paar junge Anhänger der Opposition haben im Zentrum der Hauptstadt, am "Prospekt der Unabhängigkeit" vor dem Kaufhaus GUM, ihre Zelte aufgestellt und werben dort für ihre Kandidaten Andrei Sannikow und Wladimir Neklajew. Für die Mehrzahl der Minsker, die im GUM noch schnell ihre Besorgungen machen, werden sie wohl so wirken wie Spendenkeiler von Greenpeace.
Alleinherrscher Lukaschenko scheint einen aufdringlichen Wahlkampf nicht nötig zu haben: Ein paar Plakate, die den Termin der Wahl ankündigen, sind genug. Den Präsidenten kennt man ohnehin: Laut dem liberalen Präsidentschaftskandidaten Jaroslaw Romantschuk wurde Lukaschenko in den staatlichen Medien bis November 12.500 Mal öfter erwähnt als alle Oppositionellen zusammen. Seiner Rede vor einer in der Verfassung nirgends festgeschriebenen "weißrussischen Volksversammlung" - einer bombastischen Veranstaltung mit 2500 Teilnehmern - wurde im Fernsehen ebenso wie in Printmedien breiter Raum gewährt. Die Kandidaten der Opposition kommen dagegen eher in Kabarettprogrammen vor - oder gar nicht: "Wenn die Medien von der Opposition sprechen, werden niemals Namen genannt", klagt Andrei Sannikow von der Plattform "Europäisches Weißrussland". Die Regimegegner kämen nur als etwas "Anonymes, Mystisches" vor.
Dabei ist dieser Wahlkampf auch nach Ansicht deklarierter Gegner des Präsidenten der bisher offenste seit Lukaschenkos Amtsantritt 1994: Die Behinderung der Kampagnen der Oppositionellen hält sich in Grenzen, das Fernsehen strahlte - ein Novum für Belarus - sogar eine TV-Debatte der Präsidentschaftskandidaten aus - freilich ohne Lukaschenko. Der hofft, mit zaghaften Liberalisierungsschritten die Anerkennung von OSZE und EU für seine Wiederwahl zu bekommen. Berichte über Behinderungen aller Art gibt es dennoch.
Über wie viel Unterstützung im Volk Lukaschenko wirklich verfügt, ist Gegenstand von Spekulationen - aber selbst Regimegegner vermuten, dass die Mehrheit hinter dem 56-Jährigen steht: "Ungefähr 30 bis 35 Prozent unterstützen den Präsidenten, rund 15 Prozent werden dezidierte Gegner sein, der Rest ist eher unpolitisch", schätzt ein Akademiker aus Minsk die Situation ein. Wirtschaftskrise und hohe Arbeitslosenzahlen in vielen Teilen West- und Mitteleuropas wirken nicht gerade wie eine Werbung für marktliberale Veränderungen. Auch die Situation in Russland und insbesondere in der Ukraine, wo Privatisierungsschritte rasch zum Entstehen einer Schicht neureicher Oligarchen führten, lässt viele Weißrussen lieber an ihrem bekannten System festhalten - und das ist noch immer zum Großteil ein planwirtschaftliches: Der öffentliche Sektor erwirtschaftet 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, Industrie und Banken befinden sich in der Hand des Staates.
Ruhe und Ordnung
Verarmt sehen die Menschen in Minsk - und auch in der Provinz - allerdings nicht aus. "Kann einer, der Schriftsteller ist, unseren Lebensstandard sichern und weiter entwickeln?", fragt Olga Simanenko, eine deklarierte Anhängerin Lukaschenkos, in Anspielung auf den Oppositionskandidaten Neklajew. Für die ehemalige Bankmitarbeiterin ist klar, dass Weißrussland seinen relativen Wohlstand - die sauberen und gut ausgebauten Straßen, die Maßnahmen gegen Obdachlosigkeit, den allgegenwärtigen Ordnungssinn mit der niedrigen Kriminalität - vor allem seinem Präsidenten zu verdanken hat: "Wir hatten vor seinem Amtsantritt bereits Lebensmittelmarken. Viele Weißrussen, auch ich, haben Zigaretten und andere Waren in Polen verkauft, um sich über Wasser zu halten", sagt die Pensionistin. Sie sieht in Lukaschenko einen "Batka naroda", ein "Väterchen des Volkes", der für Ordnung sorgt.
Für Alexander Skatschkow ist dieselbe Ordnung ein "totalitäres System": Der 29-Jährige besitzt Copy-Shops und ein Internetcafe, organisiert Reisen nach Russland und bietet auf dem Internetportal "maiki.by" T-Shirts an. Die nötigen Druckmaschinen kauft er im Ausland: "In Belarus ist es für Kleinunternehmer extrem schwer, ein gut gehendes Geschäft aufzubauen", stöhnt der Jungunternehmer über die weitgehend wettbewerbsfreie Staatswirtschaft seines Landes. Stimmen wird er für Neklajew: "Er hat von allen Oppositionskandidaten die meisten Chancen", glaubt Skatschkow.