Die Milchwirtschaft ist in Österreich nicht nur ein Wirtschafts-, sondern vor allem ein Politfaktor. Dafür sind weniger die Umsätze (2008 rund 2,14 Milliarden Euro), sondern primär die 44.000 Milchbauern ausschlaggebend, deren Zahl zwar beständig sinkt, hinter denen aber immer noch eine starke Lobby steht. | Der Erregungsgrad der Milcherzeuger lässt sich an einer einfachen Zahl bemessen: dem Erzeugermilchpreis. Das ist jenes Geld, das die Molkereien für die angelieferte Rohmilch zahlen. Die Bauern hätten gerne 40 Cent pro Kilo, erhalten derzeit aber nur 31 bis 35 Cent. Und sie befürchten ein weiteres Abrutschen, weil der Lebensmittelhandel soeben die Verkaufspreise gesenkt hat: Die billigste Milchpackung kostet in Österreich nach 89 Cent zu Jahresbeginn jetzt 69 Cent, in Deutschland gar nur 49 Cent pro Liter. Das erhöht den Druck auf die Molkereien, die ihrerseits die Bauern in die Pflicht nehmen. Grund für diese Abwärtsspirale ist, dass ein eklatantes Milchüberangebot auf den internationalen Märkten herrscht. Was, langfristig betrachtet, der Normalzustand ist.
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Ab Sommer 2007 war diese Situation kurzfristig auf den Kopf gestellt: Der Erzeugerpreis stieg über 40 Cent und lag im Jahresschnitt immer noch bei hohen 38 Cent.
Auslöser für die Preisspirale nach oben waren damals eine Dürre in den großen Milchländern Australien und Neuseeland und das Auflösen der subventionierten Butterberge und Milchseen in der EU. Zudem hatte China Milch als Nahrungsmittel entdeckt und gewaltige Mengen an Milchpulver importiert. Die Folge war eine seit Jahrzehnten ungekannte Milchverknappung.
Das gehört nun der Vergangenheit an. Langfristig werden die Milchpreise sogar noch stärker unter Druck kommen - vor allem wenn die Milchquote 2015, wie von der EU geplant, ausläuft.
Im Mai 2008 entlud sich der Zorn vieler Bauern in einem Lieferstreik, der die Molkereien zu Produktionsstopps zwang und wochenlang die Schlagzeilen diktierte. Organisiert wurde dieser Aufstand von der "Rebellenorganisation" IG Milch. Jetzt steht abermals ein Boykott im Raum. Erstaunlich ist dabei ein Schulterschluss, der sich zwischen der Landwirtschaftskammer (LK), dem Bauernbund und der IG Milch abzeichnet: LK-Präsident Gerhard Wlodkowski hat angekündigt, man wolle sich mit der IG Milch zusammensetzen, zumal "die Forderungen gar nicht so weit auseinander" lägen.
Noch im Mai waren die "Milch-Rebellen" ihrer gesetzlichen und politischen Interessenvertretung unversöhnlich gegenübergestanden. Offenbar hat man nun einen neuen, gemeinsamen Gegner gefunden: Die Arbeiterkammer wird für die Preissenkungen verantwortlich gemacht, weil sie mit ihren Vergleichen Druck auf den Handel ausübe, die Preise zu senken und billige ausländische Produkte anzubieten. Womit die Fronten wieder entlang der gewohnten Parteigrenzen verlaufen. *
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