Forscher erstellen eine Landkarte aller Zellen unseres Denkorgans.
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Wien. Seit Jahrzehnten setzen Hirnforscher Puzzleteil um Puzzleteil zusammen, um das menschliche Gehirn besser verstehen zu können. Hundert Milliarden sind es an der Zahl und bis dato ist nur die Hälfte davon zuordenbar. Dies könnte sich aber bald ändern, wie Forscher im Fachblatt "Nature Biotechnology" berichten. Denn mittels einer neuen Technologie können Neurowissenschafter nach und nach alle Zellen des Gehirns erkennen, deren Funktion aufzeigen und als Landkarte präsentieren.
Kombination zweier Methoden
Die Schwierigkeit zeigt sich im Detail: Denn "jede einzelne Gehirnzelle besteht wiederum aus unzähligen Bausteinen (Molekülen), die bestimmen, was eine Zelle kann und was nicht", erklärt Tibor Harkany, Leiter der Abteilung für Molekulare Neurowissenschaften der MedUni Wien gegenüber der "Wiener Zeitung". "Auf einem einzelnen Puzzleteil alleine kann man aber nicht erkennen, ob es sich um einen Baum, einen Ozean oder ein Gesicht handelt."
Bisher blieb den Forschern nichts anderes übrig, als sich Stück für Stück heranzutasten. Bisher konnte man die Gehirnzellen auch nur aufgrund gezielter Verdachtsmomente über ihre Funktion, ihr Aussehen oder ihre Kontakte zu anderen Zellen identifizieren.
Mit einer Kombination aus klassischen Methoden zur Zell-Identifizierung mit dem sogenannten "Single-cell RNA-Sequencing" gelingt es den Forschern der MedUni Wien in Kooperation mit dem Karolinska Institut in Stockholm allerdings nun, jeden Baustein der Zelle zu erkennen - und das zeitgleich und besonders schnell. "Wir können alle Codierungen zur selben Zeit lesen", betont Harkany, wobei sich die Zelle als Gesamtbild präsentiert. Hat man dafür früher noch eine Zeitspanne von zwei bis drei Wochen benötigt, seien es jetzt lediglich drei bis vier Stunden, so der Forscher.
Damit sei eindeutig bestimmbar, wofür unser Gehirn die jeweilige Zelle benötigt - etwa um zu essen, uns zu erinnern, oder um verärgert zu sein. Es ist damit also möglich, jedes Puzzleteil ohne jegliches Vorwissen zu durchleuchten und deren Bestandteile exakt aufzulisten. Dabei ergibt sich auch deren Aktivität und Funktion in den einzelnen Gehirnarealen.
Neue Therapieansätze möglich
"Diese Technologie ist ein revolutionärer Durchbruch, weil es damit möglich wird, die molekulare Basis für die gesamte neuronale Identität zu erfassen", betont Harkany. Dabei wird es auch möglich sein, zu kategorisieren, welche Neuronen miteinander verwandt sind, welche ähnlich funktionieren und wodurch sie sich unterscheiden. Die Forscher lernen dadurch, welchen Beitrag einzelne Zellen etwa bei der Verarbeitung von emotionalen oder Lern-Prozessen leisten.
Mit dieser Methode lassen sich aber auch relativ einfach Zellen identifizieren, an denen ein Schaden vorliegt und vor allem auch, wo diese Veränderungen entstehen, betont der Neurowissenschafter. Dies könnte für die Erforschung neuer Therapien zur Behandlung von Krankheiten wie etwa Alzheimer oder Parkinson hilfreich sein.